Als die Molkerei die Türen schloss

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So sah die Molkerei von Ernst Blümlein am Lauerarm aus. Im Hintergrund das noch vorhandene Trafohäuschen und das Studienseminar. Foto: Werner Schubert
So sah die Molkerei von Ernst Blümlein am Lauerarm aus. Im Hintergrund das noch vorhandene Trafohäuschen und das Studienseminar.  Foto: Werner Schubert
Luzie, Rita, Sohn Ernst und Vater Ernst Blümlein vor der Molkerei. Der kleine Ernst starb früh bei einem Unfall. Repro: Wolfgang Blümlein
Luzie, Rita, Sohn Ernst und Vater Ernst Blümlein vor der Molkerei. Der kleine Ernst starb früh bei einem Unfall.  Repro: Wolfgang Blümlein
 
Ernst, Luzie, Rita und (vorn) Wolfgang Blümlein im Milchgeschäft in der Riemenschneiderstraße. Repro: Wolfgang Blümlein
Ernst, Luzie, Rita und (vorn) Wolfgang Blümlein im Milchgeschäft in der Riemenschneiderstraße.  Repro: Wolfgang Blümlein
 

Wolfgang Blümlein hat sich auf Spurensuche begeben und in alten Fotobänden geblättert. Vor 80 Jahren musste sein Vater seine florierende Molkerei schließen, die er erst elf Jahre zuvor eröffnet hatte.

Er ist der "Molker". Ein seltsamer Spitzname, wenn man bedenkt, dass Wolfgang Blümlein eigentlich Architekt ist. Mit dem Namen "Molker" trägt er eine Familientradition weiter, die schon längst ihr Ende gefunden hat. Begonnen hat sie um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Damals zog der 1860 geborene Großvater von Wolfgang Blümlein, Theodor Blümlein, von Euerdorf nach Bad Kissingen, wo er eine kleine Molkerei eröffnete. Der Münnerstädter geht davon aus, dass sie in der Hemmerichstraße lag, dort gab es jedenfalls ein Milchgeschäft, das seine Tante betrieb. Schon sehr früh seien in der Molkerei Kefir und Joghurt produziert worden, erzählt er. Denn die wohlhabenden Kurgäste aus Russland oder Bulgarien verlangten danach.

Irgendwann, so Mitte der 1920er Jahre dürfte es gewesen sein, seien Vertreter des Milchwirtschaftsverbandes auf seinen Großvater zugekommen mit dem Vorschlag, in Münnerstadt eine Molkerei aufzumachen. Doch das überließ Theodor Blümlein dann lieber einem seiner elf Kinder, seinem Sohn Ernst, dem Vater von Wolfgang Blümlein. Der kaufte das alte Wilhelmsbad am Lauerarm neben dem Novizengarten und eröffnete 1927 seine Molkerei. "Er hatte ein riesiges Einzugsgebiet", sagt Wolfgang Blümlein. Das weiß er aus Erzählungen seiner Eltern. "Bis nach Kleinbardorf ist er frühmorgens gefahren, und damals gab es ja auch noch kein Asphalt." Eine schwierige Aufgabe für ihn und den kleinen Lkw mit Holzvergaser.

Damals wurde noch nicht so viel Käse produziert, Quark war eines der wichtigsten Molkereiprodukte, erzählt Wolfgang Blümlein und natürlich Kochkäse. Das Milchgeschäft seiner Schwester in Bad Kissingen, eines in Schweinfurt-Oberndorf und eines direkt in Schweinfurt hat sein Vater beliefert. Zu den besten Kunden zählte ein Hotel im thüringischen Zella-Mehlis. Das belieferte Ernst Blümlein mit Sahne. Diese wurde bis zum Abtransport unter der Brücke am Laueram gekühlt, erinnert sich sein Sohn. Das wussten auch die Kinder. Da kam es schon mal vor, dass die Buben mit den Händen von der Sahne naschten, die damit natürlich unbrauchbar war. Jedenfalls hat ein Junge einmal gegenüber Wolfgang Blümlein dessen Vater eine "ordentliche Handschrift" bescheinigt: Der Bube war beim Schlecken erwischt worden und hatte von Blümleins Vater eine Tracht Prügel kassiert.

Das Leben verlief in angenehmen Bahnen. Eines der Bauerntöchter, die kostenlose Molke für die Tiere abgeholt haben, gefiel Ernst Blümlein besonders gut. 1929 wurde geheiratet. Bald erblickten Tochter Rita und Sohn Ernst das Licht der Welt. Wolfgang Blümlein hat herausgefunden, dass die kleine Molkerei einen Jahresumsatz von 150 000 Reichsmark hatte. Eine für die damalige Zeit stolze Summe. Doch das Glück sollte nicht lange währen.

In Archiven gestöbert

Der 1946 geborene Wolfgang Blümlein kann sich auf Gespräche mit seinen Eltern berufen und hat in Archiven gestöbert. Daraus hat er ein ungefähres Bild der Geschehnisse entwickelt. Offensichtlich forderte der Milchwirtschaftsverband im Jahr 1938 Ernst Blümlein auf, seine Molkerei zu schließen. Wolfgang Blümlein hat recherchiert, dass ein anderer Molkereibesitzer im Landkreis Bad Kissingen ein überzeugter Nazi war. Das kann er anhand verschiedener Schriftstücke belegen. Und dieser Molkereibesitzer scheint seine Position ausgenutzt zu haben, um sich unliebsame Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Ein dritter Molkereibesitzer aus dem Landkreis, der ebenfalls schließen musste, hat sich nach dem Krieg in einem Brief heftig über den Nazi und seine Methoden beschwert. Das Schreiben liegt Wolfgang Blümlein vor. Und es deckt sich mit den Erzählungen seiner Eltern.

Ernst Blümlein jedenfalls fragte einen Freund um Rat, wie er die Schließung vermeiden könnte. Der riet ihm, in die Partei einzutreten, was Ernst Blümlein auch tat. Geholfen hat das allerdings nicht. Immer wieder hat seine Mutter Luzie Wolfgang Blümlein vom Besuch des Nazi-Molkereibesitzers erzählt, der sich - in brauner Uniform gekleidet - auf den Schreibtisch von Luzie Blümlein gesetzt und der Schließung Nachdruck verliehen hat. Luzie Blümlein hatte ihrem Mann den anstehenden Besuch verschwiegen und ihn unter einem Vorwand weggeschickt. "Sie wollte verhindern, dass etwas passiert", sagt Wolfgang Blümlein. Er zeigt eine Kopie aus dem Stadtarchiv: Am 30. Dezember 1938 hat Ernst Blümlein sein Gewerbe abgemeldet, am 1. Januar 1939 hat der Bürgermeister Eduard Hußlein die Abmeldung unterschrieben. Später wurde Ernst Blümlein als Hilfsarbeiter in einer Molkerei in Bad Neustadt eingesetzt. Die Familie führte ein Milchgeschäft in der Riemenschneiderstraße, das viele Münnerstädter noch kennen. Dort lebt Wolfgang Blümlein bis heute.

Damit ist die Geschichte noch nicht ganz zu Ende erzählt. Ernst Blümlein wurde bei der Entnazifizierung wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft als Mitläufer eingestuft. Eine Entschädigung, die er wegen der Schließung seiner Molkerei bekommen sollte, sei ihm deswegen verwehrt worden, sagt Wolfgang Blümlein. Ihn ärgert, dass der andere Molkereibesitzer mit der braunen Uniform ebenfalls als Mitläufer eingestuft wurde. "Aber es war ja immer so", sagt er. Die Geschichte kann Wolfgang Blümlein nicht mehr umschreiben, aber die Geschichte seiner Vorfahren möchte er gerne noch ein wenig genauer kennenlernen. Deshalb recherchiert er weiter.