Druckartikel: Als die Lebensmittel knapp wurden

Als die Lebensmittel knapp wurden


Autor: Manfred Welker

Lonnerstadt, Donnerstag, 16. Oktober 2014

Erster Weltkrieg (13)  Der Mangel an Arbeitskräften und Zugtieren führte dazu, dass die Preise für Getreide, Fleisch, Milch, Eier und andere landwirtschaftliche Produkte stark stiegen. Die Bauern waren als Selbstversorger nicht so sehr betroffen.
Nur wenn die Soldaten auf Heimaturlaub in Lonnerstadt waren, gab es genügend Erntehelfer. Foto: Archiv Rainer Hörlin


von unserem Mitarbeiter Manfred Welker

Lonnerstadt — Karl Christian Bullemer war von 1909 bis 1919 Pfarrer in Lonnerstadt. Er hielt während des Ersten Weltkriegs Briefkontakt mit vielen Soldaten an der Front, schrieb aber auch die Ereignisse in der Heimat nieder.
Zur besseren Versorgung wurden 1916 Stadtkinder in Bauernfamilien in Lonnerstadt untergebracht. Sie stammten hauptsächlich aus Nürnberg, Fürth, Erlangen und Bamberg, aber auch aus Hof und Frankfurt. 41 Schulkinder wurden in Lonnerstadt und in Unterwinterbach untergebracht. Die Gastfamilien machten unterschiedliche Erfahrungen. Die Gäste waren von dankbar bis faul und diebisch, für sie war der andere Lebenstakt ungewohnt, das frühe Aufstehen und die Kost. 1917 und 1918 war in Lonnerstadt niemand mehr bereit, Stadtkinder aufzunehmen.
Da die Getreideernte bei Kriegsbeginn im Jahr 1914 ins Haus stand, machte sich das Fehlen der Arbeiter bemerkbar, es gab erste Klagen. Trotz des Arbeitermangels bewältigte die Landwirtschaft mit staunenswerter Kraft und Ausdauer auch in den Kriegsjahren die Aufgaben. Die Alten arbeiteten wieder mit, die Bauersfrau führte Pflug und Sense.

Die Schüler waren motiviert

Durch den Entzug von Millionen von Arbeitskräften gerieten sowohl industrielle als auch handwerkliche und landwirtschaftliche Betriebe in personelle Bedrängnis. Die Zuweisung von Arbeitslosen aus den Städten bewährte sich nicht. Sie wollten ihren Acht-Stunden-Tag und verlangten hohen Lohn und gutes Essen. Besser bewährten sich die aushelfenden Schüler der Hoch- und Mittelschulen. "Bei diesen Jungen war die Begeisterung fürs Vaterland die Triebfeder. Reiner Idealismus ließ viele die harte Arbeit nicht scheuen und die ländlichen Unbequemlichkeiten und Mängel willig ertragen", konnte Bullemer beobachten.
Von den Behörden wurden Pferde, Ochsen, Rinder und Kühe, aber auch Kleinvieh von den Bauernhöfen abgezogen. Ein gutes Pferd war bei der Mobilmachung für 800 bis 1000 Mark zu haben. Bei Kriegsschluss kostete ein heruntergekommenes Ross aus Heeresbeständen rund 2000 Mark. Bei guter Pflege konnte es dann bis zu 3000 Mark wert sein. Auch Ziegen, die 20 Mark wert waren, wurden zu Kriegszeiten für 80 Mark verkauft. Ihr Wert stieg nach dem Krieg auf 150 Mark. Der Mangel an Arbeitskräften und an Zugtieren, das Fehlen von Kunstdünger (zum Beispiel Stickstoff) und das Brachliegen von Ackerflächen brachte ein Zurückgehen des Ertrags der Landwirtschaft mit sich.
Auf Marken mussten Fleisch, Brot, Fett, Butter, Milch, Eier, Zucker, Seife, Kartoffeln bezogen werden, oftmals erhielt man aber auch gegen Marken nichts mehr. Das tägliche Brot musste rationiert werden. "Die Brotmarke bestimmte das Tagesteil des hungernden Deutschen", notierte Bullemer. Allerdings war auf dem Land die Kriegsnot weniger zu spüren. Die Bauern waren Selbstversorger, Getreide, Fleisch, Butter, Milch und Eier hatten sie aus dem eigenen Betrieb.

Rationierung und Schleichhandel

Die Getreidepreise wurden durch den Staat reglementiert. 100 kg Weizen, die zunächst 15 Mark kosteten, erzielten später den Höchstpreis von 20 Mark. 100 kg Mehl kosteten aber 30 bis 40 Mark. Hier verdienten die Müller und der Zwischenhandel kräftig mit. Ein Liter Milch kostete 1914 noch 12 bis 14 Pfennige. Im September 1919 mussten 40 Pfennige dafür aufgewendet werden. Das Ei kostete im Höchstpreis 20 Pfennige, das Pfund Butter drei Mark, der Zentner Frühkartoffeln war im August 1919 für elf Mark zu haben.
Knappheit der Lebensmittel führte zur Rationierung, zum Hamstern und zum Schleichhandel. Zu Beginn wurden Verwandte auf dem Land besucht, dann gingen die städtischen Arbeiter bettelnd und auch Zahlung anbietend von Haus zu Haus und kehrten mit gefülltem Rucksack wieder heim. Hamstern aus Not war das.
Es gab aber auch den Schleichhandel. Beauftragte schafften um jeden Preis Lebensmittel in die Städte: " ... ganze Lieferungen an Mehl, Fleisch, Butter, Eiern. Schweine und Kälber wurden verkauft, geschlachtet und fortgeschafft." Die Schleichhändlerpreise bewegten sich in doppelter bis fünffacher Höhe über den sogenannten Höchstpreisen.
Dagegen benötigten die Bauern Zucker und Öl aus der Stadt. "Am Hamster- und Wuchergeist ist Deutschland zugrundegegangen", zeigte sich Pfarrer Bullemer überzeugt. "Dass unser christliches Landvolk so tief sinken würde, hätte man früher nie für möglich gehalten. In diesem Punkt hat das Christentum versagt, es war zu keiner hemmenden und auf rechte Bahn leitenden Macht in den Herzen geworden."
Ersatzstoffe bildeten in den Städten Zuckerersatz statt Sacharin und Süßstoff, es gab Fettersatz und Honigersatz statt Kunsthonig. Hafer und Gerste wurden zu Graupen und Flocken verarbeitet und bildeten den Ausgleich für fehlendes Fleisch, Brot oder Kartoffeln.
Die Preise für Kleider und Schuhe stiegen mit Fortdauer des Krieges ins Ungeheure. Ein Herrenanzug kostete 700 Mark statt 70 Mark in Friedenszeiten. Stiefel mussten mit 50 bis 70 Mark bezahlt werden, zuvor waren es 15 bis 20 Mark. Statt der richtigen Lederschuhe mussten Holzschuhe und Holzsohlen verwendet werden.

Das Heer hatte Vorräte

"Mit Kriegsende besserte sich die Lage etwas, weil aus den Heeresbeständen noch riesige Vorräte vorhanden waren", berichtete Bullemer. Für Kleider wurden Nesselfasern verarbeitet. In Lonnerstadt und Unterwinterbach sammelten die Schulkinder unter Anleitung des Pfarrers die hohen Nesseln. 68 Pfund getrocknete, von Blatt und Blüte befreite Stengel erzielten aber nur 13 Mark und 20 Pfennige.
Zu Kriegszwecken wurde Kupfer beschlagnahmt, die Lonnerstadter mussten ihre kupfernen Waschkessel, Töpfe aus Kupfer und Zinn, aber auch Aluminium genauso wie Messing-Pfannen und Leuchter abgeben. Es wurden viele schöne alten Sachen zerstört.
"Besonders schmerzlich war der Eingriff in die Glocken und Orgeln", vermerkt Pfarrer Bullemer. Zwar blieb Lonnerstadt zunächst verschont, die zwei Glocken aus den Jahren 1450 und 1588 blieben hängen. Erst im August 1918 wurde die mittlere, 18 Zentner schwere Glocke von Mitarbeitern der Firma Leopold aus Forchheim abgenommen und zum östlichen Schallloch in den Garten hinabgeworfen. Zur Ablieferung kam es aber durch das Kriegsende nicht mehr.