Als die Franken Hunger litten
Autor: Manfred Franze
LKR Forchheim, Freitag, 04. November 2016
Im Kriegswinter vor 100 Jahren verschärften Missernten und die Seeblockade der Engländer die Hungersnot der Deutschen. Es schlug die Stunde der Steckrübe.
Vor 100 Jahren gingen im Herbst die großen Materialschlachten von Verdun und an der Somme zu Ende, in denen die deutschen Truppen über 800 000 Mann verloren. Im Wiesent-Boten und den beiden Forchheimer Tageszeitungen häuften sich die Gefallenenanzeigen.
Der Wunsch nach Wiederherstellung des Friedens - so berichtete es im Frühjahr 1916 der Forchheimer Bezirksamtschef Josef Völker fast in jedem seiner Wochenberichte an die Regierung - macht sich mehr und mehr geltend. Ursache seien nicht nur die Einschränkungen in der Lebensmittelversorgung, sondern auch die Sorge um die Angehörigen an der Front, die Verlustmeldungen, die neuerlichen Einberufungen und die lange Trennung der Familienangehörigen.
Immerhin - so Völker - will niemand Frieden um jeden Preis.
Der "totale Krieg"
Ende August 1916 übernahm General Paul von Hindenburg (1847-1934) mit seinem Stabschef Erich Ludendorff (1865-1937) die Oberste Heeresleitung. Mit ihrem sogenannten Hindenburg-Programm forderten sie die Ausweitung der Rüstungsproduktion auf Kosten der Konsumwirtschaft. Um neue Soldaten zu rekrutieren, sollten kriegsunwichtige Betriebe eingestellt und dafür die Waffen- und Munitionsindustrie verdoppelt und verdreifacht werden. Ein neu geschaffenes Kriegsamt lenkte ab 1. November zentral die gesamte Wirtschaft. Ludendorff selbst bezeichnete im Rückblick diese Art von Kriegsführung als "totalen Krieg". Sie verschärfte nicht nur die Lebensmittelknappheit der Zivilbevölkerung, sondern setzte von nun an die Politik unter das Diktat des Militärs.
In Bamberg und Nürnberg kam es im Herbst 1916 zu Protestaktionen, weil es an Brot, Eiern und Butter fehlte. Bei dem Auflauf in Nürnberg bewarfen die Demonstranten - meist Frauen - die Wachleute mit Steinen und Pferdemist. In Bamberg mussten einige sogar verhaftet werden, weil sie der polizeilichen Auflösung der Ansammlung nicht Folge leisteten.
Aus Höchstadt berichtete das Bezirksamt, dass die Stimmung gerade der ländlichen Bevölkerung durch die Nachrichten, welche Soldaten von der Front und aus der Garnison nach Hause geben, negativ beeinflusse: So muss man immer wieder hören, dass Soldaten von der Front und aus der Garnison nach Hause melden, sie müssten Hunger leiden, sie bekämen nicht genug zu essen. Das ging so weit, dass von der Front aus die Angehörigen aufgefordert wurden, keine weiteren Kriegsanleihen zu zeichnen, weil damit nur der Krieg verlängert werde.
Die Bezirksämter kämpften mit großem Aufwand gegen diese Verweigerungshaltung. Gegen die Meinung, durch Nichtbeteiligung an der Zeichnung für die fünfte Kriegsanleihe zur Abkürzung des Krieges beitragen zu können, so klagte das Bezirksamt Forchheim, wird in öffentlichen Versammlungen energisch angekämpft werden müssen, nicht zuletzt durch Einwirkung auf die Frauen.
Doch die Stimmung besserte sich nicht. Im Winter - dem kältesten seit Menschengedenken - erreichte die Lebensmittelknappheit ihren Höhepunkt. Durch Missernten und die Seeblockade der Engländer kam es in Deutschland zu einer Hungersnot. Dem Berliner Reichsernährungsamt gelang es nicht, den wegen des Fehlens von Fleisch gestiegenen Kartoffelverbrauch zu befriedigen. Als Ersatz kamen Steckrüben in den Handel. Sie wurden zu Suppen, Aufläufen, Koteletts, Puddings, Marmeladen und Brot verarbeitet. Beim Brot wurde der Anteil von Weizen und Roggen reduziert und durch Gerste, Hafer, Mais und Kartoffelmehl gestreckt.
Die Klagen über das sogenannte Kriegsbrot wehrte der Ebermannstadter Wiesent-Bote mit Durchhalteparolen ab: "O ihr Kleingläubigen. Was haben denn Eure Großeltern gegessen? Durchgemahlene Gerste, Wicken und Roggenbrot, das kohlschwarz, aber kernig und saftig war; nicht so ausgetrocknet wie unser angeblich unentbehrliches Weißbrot. Und gesund waren unsere Vorfahren, gesünder und widerstandsfähiger als wir und wurden dabei steinalt. Freuen wir uns, daß uns die Not dazu zwingt ein anderes Leben zu führen als bisher; ein Leben, das uns zu größter Einfachheit und damit zur Sparsamkeit und Gesundheit zurückführen muß. Mit Hadern und Schimpfen, Jammern und Klagen ist nichts getan, da heißt es herzhaft zugreifen und mit dem nötigen Gottvertrauen entsagen."
Die Regierung von Oberfranken versuchte über die Bezirksämter mit Aufklärungs- und Lichtbildervorträgen vergeblich gegenzusteuern und die Volksstimmung zu heben. Allein, die Not war einfach zu groß. Forchheim hing von Zuweisungen der Landeskartoffelstelle ab, die aber mehrfach nicht oder nur unzureichend lieferte. Gleichzeitig war der Kohlemangel derart groß, dass in Forchheim die Schließung von Schmieden, Werkstätten und eines Elektrizitätswerks drohte, das 13 Gemeinden im Bezirk Forchheim versorgte. Verschärft wurde die Situation durch den wilden Aufkauf der Städter aus Nürnberg, Fürth und Erlangen.
Wut auf die Hamster
Aus Forchheim, Ebermannstadt, Höchstadt und Pegnitz häuften sich die Klagen über das freche, gewalttätige und eigenmächtige Auftreten mancher Hamster; das berichtete die Regierung von Oberfranken an das bayerische Innenministerium.
Dadurch werde der Sicherheitszustand auf dem Lande erheblich gefährdet.Die Hamsterfahrten der Großstädter wurde zunehmend zur Landplage. Ermahnungen und Belehrungen sind ohne Erfolg, die Gendarmerie ist dem Massenandrang gegenüber machtlos, berichtete das Bezirksamt Höchstadt im Mai 1917. Über die Pfingstfeiertage kamen Tausende aus den Städten, berichtete der Wiesent-Bote aus Ebermannstadt. Wer es konnte, hatte sich mit Lebensmitteln für einige Tage versorgt und es war erstaunlich, was für einen Inhalt oft ein Rucksack barg. Für den Abtransport der Fremden hatte die Eisenbahnverwaltung genügend Sorge getragen, so dass alles glatt vonstatten ging. Was die Zeitung höflicher Weise verschwieg war, dass die Hamsterer zu Wucherpreisen auf dem Schwarzmarkt kauften und damit der Allgemeinheit Lebensmittel entzogen. Die meisten Hamsterwaren floss en über den Schleichhandel den Reichen zu, schreibt Klaus-Dieter Schwarz in seiner Untersuchung über die Zustände in Nürnberg. Diese zahlten jeden Preis, während die Minderbemittelten mit knurrendem Magen zuschauten, wie sie ihnen die Preise verdarben.
Die notwendige Folge war, dass die Erbitterung der Armen gegen die Reichen ständig wuchs. Als sich die Regierung von Mittelfranken bei der Nürnberger Eisenbahndirektion darüber beschwerte, dass die Bahnverwaltung einen zusätzlichen Sonntagsabendzug eingesetzt hatte, der im Volksmund allgemein Hamsterzug genannt wurde, erhielt sie die recht unfreundliche Antwort, die Maßnahme sei aus Sicherheitsgründen notwendig geworden. Die Eisenbahn wurde so zur wichtigsten Schleuse des Schleichhandels zwischen Bauern und Städter.