Ausstellung Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Vereins "Straßenkreuzer" findet in der Erlanger Stadtbücherei eine Ausstellung statt. Dort zeigen 20 Straßenkreuzer-Verkäufer unter dem Titel "Gelandet!", was sie sich einst erträumt haben.
von unserem Redaktionsmitglied
Michael Busch
Erlangen — "Straßenkreuzer?" Freundlich. Unaufdringlich. Sympathisch. Und vor allem zuverlässig. Christian Oberdellmann steht an der Unterführung des Erlanger Bahnhofes und bietet das wohl bekannteste Magazin neben der Apotheken-Rundschau an. Wer den Straßenkreuzer nicht kennt, ist entweder nie in der Stadt oder verschließt die Augen, wenn die Verkäufer auf einen zukommen.
"Die Menschen sind abweisender geworden, es ist kälter in Deutschland geworden", meint Oberdellmann und meint nicht die winterlichen Temperaturen und den kräftigen Wind in dem Durchgang. "Ich begegne dem eben mit viel Optimismus und guter Laune." Und mit Zuverlässigkeit. Seine Stammgäste wissen das, denn die gehen auf ihn zu, wenn der neue Straßenkreuzer erschienen ist.
Das war unter anderem einer der Gründe, warum der "dienstälteste Verkäufer" nicht zu einer besonderen Veranstaltung kam, die in unmittelbarer Nähe zu seinem Standort stattfand. In der Stadtbücherei in Erlangen wurde die Ausstellung "Gelandet!" eröffnet.
Wünsche, Träume, Ideen "Wer den Straßenkreuzer verkauft, steht meist hart auf dem Boden der Tatsachen: Misserfolge und Enttäuschungen gehören zur Biografie", heißt es in der Projektbeschreibung. Nüchterne Worte für ein Projekt, das in der Metropolregion einen Namen hat und Spuren hinterlässt (
siehe Infokasten ). Hinter der Beschreibung stehen Menschen. Frauen und Männer, die als Kinder sicher auch andere Wünsche hatten als zum Beispiel als Obdachloser auf der Straße zu landen, als Süchtiger bezeichnet zu werden oder in der Dauerarbeitslosigkeit über eine menschenwürdige Existenz nachzudenken.
Da ist zum Beispiel Thomas Kraft. Der hat in einem ehemaligen Leben mal eine Kneipe in Bamberg sein Eigen genannt. Mitten im Leben. Aber dann lief irgendetwas, irgendwann aus dem Ruder. Heute ist er der Mittfünfziger der Sprecher der Verkäufer. Und einer derjenigen, die in der Ausstellung zu finden sind. "Mein Traum war es, Jazzmusiker zu werden, Saxofon vor Publikum zu spielen." Und fasst mit diesem Satz die Idee der Ausstellung zusammen.
"Geträumt!" Zum 20. Geburtstag des Vereins Straßenkreuzer zeigen 20 der Verkäufer, was sie einst für sich ersehnten. Der Fotograf Peter Roggenthin hielt die Wünsche im Bild fest. Mit dabei waren Schüler der Klasse 8b der Mittelschule Hummelsteiner Weg mit ihrer Lehrerin Gerda Reuß. Sie dienten als Komparsen, um den Bildern einen besonderen "Kick" mitzugeben, um die Bilder authentischer zu machen, um mit der Nebenrolle auf den Hauptakteur zu lenken.
Thomas Kraft suchte für seinen Traum "Jazzmusiker" bei einem Kostümverleih seine Kleidung selbst aus. Die Mädchen der Mittelschule haben ihn geschminkt und seine Haare toupiert. "Thomas war der Einzige, der alle Mädels für sein Foto haben wollte", erklärt die Lehrerin Gerda Reuß anlässlich der Ausstellungseröffnung. Sie merkt im Ausstellungskatalog an: "Er genoss seinen Auftritt auf der Bühne, vor allem gefiel ihm, von so vielen Mädels angehimmelt zu werden!" Er selber gibt aber zu: "Den Fototermin habe ich als reines Shooting empfunden, bei dem ich in eine Rolle hineingeschlüpft bin. Mein Traum ist dadurch nicht wahr geworden, aber das Bild bringt es zum Ausdruck."
Apropos Katalog: Der ist Pflicht, wenn man die Ausstellung besucht. Denn dort steht nicht nur drinnen, wie es zur Ausstellung gekommen ist, wer sich alles beteiligt hat, wer die nötigen Finanzen zur Verfügung gestellt hat. Alle 20 Abgebildeten haben neben dem Foto ein paar Sätze zu sich stehen. Gebrochene Biografien, Schicksale, die offerieren, dass manches sehr seltsam läuft.
Da ist Reinhard Semtner, der von einem Beruf als Tierarzt träumt. Einen Traum, den er trotz der Diagnose Krebs nicht aufgibt und nachfragt: "Soll ich mir wünschen, Lungenfacharzt zu sein?" Da ist Resmyie Sarigül, die gerne Polizistin geworden wäre, aber den Widerstand des Vaters nicht hat durchbrechen können. "Du bist eine Frau", musste sie sich anhören.
Glänzende Augen Aber auch die Schüler kommen zu Wort. Sie beschreiben das vorsichtige Annähern mit den Erwachsenen. "Es war am Anfang viel Aufregung dabei", schildert zum Beispiel Melissa. Die Aufnahmen wiederum seien toll, aber anstrengend gewesen. Cassandra bringt es auf den Punkt: "Es war gar nicht einfach auf Befehl fromm zu sein."
Es sind so viele, die im Bild sind und zu Wort kommen. Der 71-jährige Christian Oberdellmann ist auch dabei. Aber nicht mit einem "Traumfoto", er ist porträtiert. Obwohl er auch Träume hat. "Ich schaue aus meiner Wohnung den Flugzeugen hinterher!" Er zeichnet in dem Moment die Startbewegung eines Flugzeuges nach, während zeitgleich, nicht unpassend, ein ICE durch den Bahnhof donnert. "Ich wäre gerne an Bord, in Richtung Griechenland. Ohne Rückflugticket."
Seine Augen glänzen wie die der fotografierten Kollegen in der Ausstellung. Es sind Träume. Wer diese erleben will, hat in der Stadtbibliothek die große Chance. Bis zum 10. Februar ist die Ausstellung zu den üblichen Öffnungszeiten (Mo. bis Fr. 10 bis 18.30 Uhr/Sa. 10 bis 14 Uhr/Mi. und So. geschlossen) geöffnet.