Ein Zukunftsgewächs: die Esskastanie
Autor: Diana Fuchs
Mainbernheim, Donnerstag, 04. Oktober 2018
Anfang Oktober reift ein besonderer Herbst-Snack im Grünen: die Esskastanie. Sie hat nicht nur kulinarische Qualitäten.
Sie würde ziemlich lange überleben. Zumindest würde Eva Gebhardt nicht verhungern, wenn sie sich im Wald verirrt. Als Kräuterfachfrau und Biolandwirtin weiß sie, was in der Natur essbar ist, schmeckt, heilt oder einfach satt macht. Vor wenigen Tagen hat sie die ersten Edelkastanien des Jahres gesammelt und daraus ein herbstliches Picknick zubereitet. Förster Achim Volkamer hatte ihr besonders schöne Exemplare der Esskastanie gezeigt. Ihm schmeckt das Buchengewächs gleich in mehrfacher Hinsicht - wegen seiner Holzeigenschaften und weil es ein klimatoleranter "Zukunftsbaum" ist.
Dürre Ästchen knacken bei jedem Schritt. Viel buntes Laub liegt bereits am Boden. Die Trockenheit heuer hat auch im Stadtwald von Mainbernheim, nicht weit entfernt vom Drei-Franken-Eck, ihre Spuren hinterlassen. Achim Volkamer von der Bayerischen Forstverwaltung sucht mit den Augen den Waldrand ab. "Da", sagt er und deutet auf ein etwa drei Meter hohes Bäumchen mit länglichen, grün-gelben Blättern. "Diese Esskastanie haben wir hierher gepflanzt, neben Eiche, Ahorn und Douglasie." Die Baumart sei forstlich vor allem für warm-trockene Standorte wie den Landkreis Kitzingen und weite Teile Frankens interessant. "Sie mag milde Jahrestemperaturen von elf Grad Celsius und übersteht auch Trockenperioden. Lösslehm liebt sie besonders, aber sie wächst auch auf sandigeren, ärmeren Böden gut."
Wenige hundert Meter weiter steht mitten im Wald ein 25 Meter hohes Prachtexemplar von "Castanea sativa". Die Kronenblätter sind schon rotbraun verfärbt und am Boden liegen unzählige Stachelkugeln. Manche sind ganz frisch vom Baum gefallen und noch grün, andere sind beige-hellbraun und aufgeplatzt, so dass man schon die dunkelbraunen Früchte erkennen kann. Sie sind etwas kleiner als die der Rosskastanie, die jeder kennt, deren Früchte aber für den Menschen ungenießbar sind.
Eva Gebhardt packt sogleich die Sammelleidenschaft: Ruckzuck hat sie ein Täschchen voller Esskastanien beisammen. "Sieht viel aus, reicht aber noch lange nicht für eine Mahlzeit", sagt sie lachend und erklärt, wie sie die Nussfrüchte - mit Handschuhen - zunächst von der Stachelschale befreit. "Wenn die Maronen kleine Löcher haben, deutet das auf Wurmbefall hin, dann werfe ich sie in den Biomüll." Wenn nicht, ritzt die gebürtige Niederbayerin, die seit Jahrzehnten auf dem Thomasbauernhof im unterfränkischen Gnötzheim zu Hause ist, die braune Schale an der runden Seite der Früchte kreuzweise ein, legt sie auf ein Backblech und röstet sie etwa 20 Minuten lang im Backofen. "Danach gehen die Schale und die Samenhaut darunter prima ab."
Wer die nussig-süßlichen Maronen nun nicht einfach pur oder mit Butter und Salz essen möchte - was auf Weihnachtsmärkten ein beliebter Snack ist - , kann sie auf verschiedene Weise verarbeiten. "Ich habe sie in Milch gekocht", erklärt Eva Gebhardt, während sie mitten im Wald eine Picknickdecke ausbreitet und Teller darauf verteilt. Sogar ein Kartoffelsieb hat die "Gästeführerin Gartenerlebnis Bayern" dabei. Dort hinein gibt sie nun die vorgekochten, gelb-weißen Maronenkerne und presst sie durch die Löcher im Metall. Das Ergebnis sieht fast aus wie helles Hackfleisch. Eva Gebhardt lacht: "Im Rezept heißt es Maronenreis. Den kann man als Beilage zu herzhaften Gerichten essen. Oder man vermischt ihn mit geschlagener Sahne, echter Vanille, Zimt und etwas Zucker - und schon hat man ein cremiges Dessert." Man könne die Edelkastanien auch trocknen und danach mahlen. "Mit Maronenmehl - übrigens glutenfrei - kann man Brot backen und Gnocchi, Pasta oder Polenta herstellen."
Appetitliche Aussichten
Kann jeder einfach in den Wald gehen und Maronen sammeln? "Im Prinzip schon", sagt Förster Achim Volkamer. Allerdings muss man erst einmal schöne Esskastanien finden. In Franken machen sie weniger als ein Prozent des Baumbestandes aus. Doch das soll sich ändern. Neben ihren Früchten und ihrer Klima- und Umgebungstoleranz ist für die Forstwirtschaft auch ihr Holz wertvoll: Es hat ähnliche Eigenschaften wie das der Eiche, ist sogar noch langlebiger. Die zahlreichen Stockausschläge ergeben überdies gutes Brennholz. "Die Esskastanie ist in vielerlei Hinsicht eine sehr willkommene Baumart", stellt Achim Volkamer fest. "Nicht nur für Waldbesitzer." Wer einen Garten hat und eine Esskastanie pflanzt, schenkt damit Bienen eine hervorragende Nahrungsquelle. Die fleißigen Nektarsammler bedanken sich dafür mit Honig, der wiederum auf karamellisierten Maronen mundet.
Sind das nicht ausgesprochen appetitliche Zukunfts(baum)aussichten?