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Die ewige Jagd nach den Mördern Frankens: Heiße Spur in alten Fällen


Autor: Stephan Großmann

Aschaffenburg, Freitag, 06. Dezember 2019

Sie lassen Angehörige bangen und Ermittler nicht los: ungelöste Morde. Weil solche Verbrechen nicht verjähren, werden die Akten nie geschlossen. Manchmal kommt deshalb selbst nach Jahrzehnten wieder Bewegung hinein. Wie zwei Fälle aus Franken zeigen.
Ausgeraubt und getötet: Vor mehr als 13 Jahren wurde ein 61-jähriger Marktleiter aus Mitwitz  tot in seinem Büro gefunden. Bis heute wurde  der Täter nicht gefasst. Dank  DNA-Analysen und Hinweisen kommt wieder Bewegung in den Fall.  Archiv/Sven Kienel


Eine Stadt atmet auf. Fast 40 Jahre lang herrscht am Untermain quälende Ungewissheit darüber, wer die damals 15-jährige Christiane J. in Aschaffenburg tötete. Nun scheint der Täter gefasst.

Am 8. Januar 2020 beginnt der Mordprozess gegen den damals 17-jährigen Norbert B. am Aschaffenburger Landgericht. Viele, einschließlich Christianes Mutter, haben nicht mehr mit dem Durchbruch gerechnet. Doch weil die Kriminalpolizisten den Fall nicht aus den Augen ließen, wurde aus dem Cold Case wieder eine heiße Spur.

Es ist der Abend des 18. Dezember 1979. Im Schlosspark der unterfränkischen Stadt soll der heute 56-Jährige das Mädchen, das von einem Abendkurs auf dem Weg nach Hause war, sexuell missbraucht und anschließend ermordet haben. Danach stieß er sie wohl über das Geländer der Schlossgartenmauer, sie fiel 15 Meter tief. Tags darauf wurde das leblose Mädchen von Passanten entdeckt. Trotz sofortiger Sonderkommission, zahlreicher Spuren und einer hoch ausgesetzten Belohnung konnten die Ermittler damals keinen Verdächtigen finden.

Markus Schlemmer ist froh, nun den mutmaßlichen Täter präsentieren zu können. "Das war eine große Anstrengung", sagt der Aschaffenburger Kripo-Chef. Akribisch wühlten sich die Mitarbeiter seiner eigens für den Fall zusammengestellten Altfälle-Einheit (Cold Cases) durch zahlreiche Aktenordner von damals und begutachteten die vielen Beweisstücke erneut.

Indizien reichten lange nicht aus

In den Fokus der Beamten geriet der damals 17-Jährige schon früh, die Indizien reichten aber nie aus. Bis jetzt, bis moderne Möglichkeiten der Forensik schließlich den Erfolg brachten. Seit Mai sitzt Norbert B. in Untersuchungshaft. Verhandelt wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach Jugendstrafrecht, weil er zur Tatzeit selbst noch minderjährig war.

"Wir können endlich durchschnaufen", sagt Schlemmer. Allerdings nicht zu lange. Zwar passieren Kapitalverbrechen wie Morde in Franken recht selten. Aber es gibt sie. Auch wenn die Aufklärungsquote vergleichsweise hoch ist, sind ein bis zwei ungeklärte Fälle pro Jahr keine Seltenheit. Ende des vergangenen Jahres blieben in Bayern 198 Morde unaufgeklärt.

Eine landesweite Stelle für solche Cold Cases (englisch: "kalte Fälle") gibt es nicht. Vielmehr kümmern sich die Präsidien in unregelmäßigen Abständen selbst um ihre Altfälle. Gibt es neue Hinweise, richten sie Ermittlungs- oder Sonderkommissionen ein und knöpfen sich den Fall erneut vor.

Wie etwa aktuell beim "Edeka-Mord" von Mitwitz. Am 13. November 2006 wurde der 61-Jährige Norbert Ottinger in seinem Supermarkt in Mitwitz (Landkreis Kronach) ausgeraubt und getötet. Bis heute ist unklar, wer hinter dieser Tat steckt.

Seit Dezember 2018 befassen sich Kripo und Staatsanwaltschaft Coburg wieder intensiv mit dem Fall. Jede einzelne der 730 Spuren von damals wird erneut unter die Lupe genommen. Helfen könnten zudem die zahlreichen Hinweise, die seit der Ausstrahlung in der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY ungelöst" Anfang Oktober bei der Polizei eintreffen.

Neue Technik und alte Spuren

Allmählich rückt Licht ins Dunkel. Die Beamten sicherten damals etliche Mikrospuren, darunter eine kaum sichtbare Hautschuppe des mutmaßlichen Täters. Knapp 13 Jahre später ist das DNA-Muster vollständig und dank weiterentwickelter Untersuchungsmethoden analysierbar. Seither wurden 80 DNA-Proben bei Männern durchgeführt, die zur Tatzeit 16 bis 18 Jahre alt waren. Deren Abgleiche dauern derzeit an. Dabei kommen gigantische Datenbanken wie die DNA-Analyse-Datei (DAD) des Bundeskriminalamtes ins Spiel. Dort lagern aktuell mehr als 1,2 Millionen Datensätze (870 000 Personendaten, 340 000 Spurendaten), die allen Kripos für Abgleiche bereitstehen.

In beiden genannten Fällen bekamen die Beamten vor Ort Unterstützung aus München, von Experten der Operativen Fallanalyse (OFA). Diese "Profiler" untersuchen den Fall auf Basis aller objektiven Daten (Tatort und Spuren) und Informationen zum Opfer. Sie versuchen, die Tat genauestens zu rekonstruieren und ein Täterprofil zu erstellen. Oft mit Erfolg.

Da Mord strafrechtlich gesehen nicht verjährt, wird ein Cold Case, auch wenn er noch so lange zurückliegt, nicht geschlossen. Einzig die Faktoren Zeit und Personaldichte schieben der kontinuierlichen Beschäftigung mit Cold Cases im Polizeialltag leinen Riegel vor. "Aktuelle Fälle gehen vor", sagt Schlemmer.

Gut 60 ungeklärte Morde in Franken

Alleine in Frankens Kripos sind aktuell noch etwa 60 Mordfälle mit dem Stempel "ungeklärt" versehen. Große Aufmerksamkeit etwa zog der Mord an der damals elfjährigen Martina S. auf sich. Das Mädchen wurde 1971 in Obertheres (Landkreis Haßberge) missbraucht und erwürgt. Trotz großflächiger DNA-Tests ist der Mörder noch auf freiem Fuß. Oder der Fall Peggy, der aufgrund seiner wechselvollen Geschichte wohl nicht mehr als Vorzeigestück der Kriminalistik in die Geschichtsbücher eingehen wird.

"Wenn wir einen Mörder einmal nicht gleich erwischen, dann soll er wenigstens mit eingezogenem Genick herumlaufen", sagt Aschaffenburgs Kripo-Chef Markus Schlemmer. Die Polizei vergesse keinen Mord und irgendwann komme die Wahrheit ans Licht, meint er. Dessen sollten sich die Täter stets bewusst sein. "Den perfekten Mord gibt es nicht."

Gesetze und Verjährungsfristen

Der Paragraf 211 Strafgesetzbuch regelt Mordfälle. Demnach gilt als Mörder, wer "aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet".

Mord verjährt nach deutschem Strafrecht (seit den 1960er Jahren) nicht. Was als Mord gilt, muss juristisch geklärt werden, denn andere Tötungsdelikte verjähren durchaus.

Laut § 78 StGB ist für die Verjährungsfrist das erwartbare Höchstmaß im Falle einer Verurteilung entscheidend. Fahrlässige Tötung (etwa im Straßenverkehr) verjährt demzufolge nach fünf Jahren, Totschlag nach 20 Jahren (im besonders schweren Fall erst nach 30 Jahren).