Zu Fuß und per Rad Deutschland umrundet
Autor: Petra Malbrich
Neunkirchen, Mittwoch, 02. Oktober 2013
Einen Blick aus dem seit 23 Jahren wiedervereinigten Deutschland in die angrenzenden Länder warf ein Paar aus Neunkirchen - zu Fuß und auf dem Rad. Ein unvergessliches Erlebnis voller Facetten.
So facettenreich wie das Land selbst, sind die Bilder, die Annette und Harald Hüttmann von den einzelnen Etappen ihrer heuer beendeten Deutschlandumrundung noch lebhaft im Kopf haben. Obwohl: Etappen, das klingt nach sportlicher Disziplin. Und Sport war nicht die Motivation für die zurückgelegten 6000 Kilometer. Eher Bewegung im Urlaub und etwas sehen wollen.
Von der Landschaft und der Kultur, die sich im Grenzverlauf von Bundesland zu Bundesland ebenso wechselvoll gestaltet wie auf deutscher und ausländischer Seite. Je nachdem, wo sie wanderten oder radelten. Dieselbe Strecke war auf deutscher Seite anders als auf polnischer oder französischer Seite, gerade auch in grenzgeschichtlicher Hinsicht.
Jede Nation setzt andere Schwerpunkte, wie Österreich mit den Schmugglergeschichten, von denen die Leute erzählen, wie Annette Hüttmann weiß. "Ein Bauer aus Österreich ging nach Deutschland ins Wirtshaus oder ein anderer hatte die Weide in Deutschland, aber das Haus in Österreich", erinnert sich die 55-jährige an diese Erzählungen der "Grenzerfahrungen." Auf polnischer Seite hingegen sahen sie viele Kriegsgräber oder auch einen Panzer auf einem Marktplatz - als Mahnmal.
Wo die Dänen einkaufen
Wie das Leben der beiden Nationen an der Grenze selbst. Die dänischen Geschäfte, mit dänischer Reklame, dänischem Personal und ausschließlich dänischen Produkten in Deutschland. Dort kaufen die Dänen ein. Oder die Zigaretten, die für Deutsche in Polen billiger sind. "Wirkliche Grenzkontrollen konnten wir nur in der Schweiz beobachten", fügt Harald Hüttmann an. Seine Frau nickt zustimmend, auch zum unterschiedlichen Menschenschlag der einzelnen Bundesländer.
Auch manches Vorurteil bestätigt
"Man fährt mit dem Fahrrad und hört, wie sich die Dialekte ändern." "Hallö" sagten die Sachsen. Das schnelle "Moin, moin" höre man in Hamburg und das ruhige "Moin" in Ostfriesland, erklärt Annette Hüttmann einige sprachliche Differenzen. Dabei sieht sie auch manche Vorurteile bestätigt, wie das der bedächtigen, gemütlichen Ostfriesen. Auf der anderen Seite: "Die Situationen sind Momentaufnahmen." Für den Ultraläufer Harald Hüttmann blieb eine andere Auffälligkeit im Gedächtnis. "Es gibt viele Regionen mit einer grenzüberschreitenden Mischung", sagt er und fügt das Elsass als Beispiel an. Aber der Einfluss der Sprache oder des Essens wird umso dünner, je weiter man sich von der Grenze wegbewegt.
Die Vielfalt des eigenen Landes entdeckt
In fünf Jahresurlauben radelte und lief das Ehepaar an den Grenzen entlang um Deutschland herum. Startpunkt war mit Flensburg an der Ostseeküste, der Heimat von Harald Hüttmann. Bis Swinemünde legten die Neunkirchner 1000 Kilometer zurück und wussten schon bald, dass man im nächsten Jahr dort anfangen würde, wo man heuer aufgehört hatte. Die Faszination für andere Länder hat man als junger Mensch. Doch das Ehepaar entdeckte längst die Vielfalt des eigenen Landes. "Hinter jeder Kurve stehen ein Abenteuer und viele kleine Erlebnisse", schwärmt das Ehepaar von den abwechslungsreichen Urlaubstagen. Hier der Wein und Flüsse, dort Berge und Seen. Kultur in Fülle auf engstem Raum und Strände, so lang, breit und leer, mit feinem weißen Sand und Dünen, lernten sie während ihrer letzten Etappe bei dem Inselhopping kennen und lieben. "Man kann beides haben: das städtische Nachtleben und Natur und eine unglaubliche Vogelwelt", betont Harald Hüttmann, der den Lauftreff in Neunkirchen leitet, aber auch Sportreisen, Sportcamps oder Gruppenreisen mit Laufkursen anbietet. Auch für seine Deutschlandumrundung stellten sie die Strecken teils selbst zusammen oder suchten geeignete Verbindungsstrecken. Mit einem als neuen Ilsradwanderweg empfohlenen Weg erlebte das Ehepaar in Bayern etwas Kurioses.
Anstrengende Passage
Der über 40 Kilometer lange Weg bis Passau war mit Fahrrad und Gepäck nicht zu bewältigen. Die Strecke muss man sich im bergauf gehenden Zickzack vorstellen. Harald Hüttmann und Ehefrau Annette schoben die erste Bergstrecke das Fahrrad hoch, dann lief Hüttmann zurück und holte das Gepäck. Die nächsten Meter legten sie auf diese Art zurück, bis sie nach 20 Kilometern aufgegeben hatten und lieber über Wald und Wiese grenznah die Alpen passierten. Aber auch solche Erlebnisse gehören dazu. Sicher werden auch die Erlebnisse des nächsten Vorhabens ebenso aufregend, wenn das Ehepaar Harald und Annette Hüttmann Europa queren, entlang des R1-Radweges von der Atlantikküste nach St. Petersburg.
Besondere Eindrücke der einzelnen Bundesländer an der Grenze entlang:
Schleswig Holstein "Viel Rückenwind. Man glaubt, dort ist es flach, doch es war die steilste Strecke mit fast 20 Prozent Steigung."
Mecklenburg Vorpommern "Die Villen haben ihren Stolz in den renovierten und restaurierten Bäderorten erhalten. Außer mit dem Tourismus ist dort nicht viel Geld zu verdienen."
Brandenburg "Sehr dominante Landschaft. Wir waren dort kurz nach dem Hochwasser, sodass die Fahrradwege mit Algen vom Flusswasser und Trockenholz überschwemmt waren. Völkerverständigende Initiativen beiderseits wie der Kulturaustausch, viele Kriegsgräberstätten auf polnischer Seite."
Sachsen "Vor allem Görlitz beeindruckte als Stadt, erinnert vom Baustil an das mediterrane Italien."
Thüringen "Landschaftlich schön, viele Wintersportorte mit Sprungschanzen, Olympiazentren und Naturschutzgebiete. Hier sind Hüttmanns auch viel auf tschechischer Seite entlang gelaufen und geradelt."
Erzgebirge "landschaftlich schön"
Bayern "Kurz nach dem Hochwasser waren die Wege mit Treibholz versperrt, drei Wochen Regen, was wir bei dieser Fußetappe über die Alpen nicht bemerkten."
Baden Württemberg "Besonders beeindruckend die Rheinfälle, insbesondere nach tagelangem Regen; auf der anderen Seite in Basel gibt es die einzigen Rheinschwimmer, eine Tradition. Mit wasserdichten Taschen und Gepäck schwimmen sie kilometerweit den Rhein hinunter."
Saarland "Alte Hütten und verlassene Stahlwerke zeugen von einem großen Industriegebiet."
Rheinland-Pfalz "Die Weingegend kennen gelernt und mit dem Elbling die älteste Weinsorte getrunken."
Nordrhein-Westfalen "Viele Radwege, viel von Holland übernommen. In den Niederlanden sind die Radwege breiter als für Autos. Räder haben vor dem Auto Vorrang."
Niedersachsen "die gigantische Meyer-Werft"