Zu Besuch bei Asha Tamang
Autor: Franz Galster
Seidmar, Samstag, 18. Februar 2012
2011 war Asha Tamang als Au-Pair-Mädchen in die Fränkische Schweiz gekommen. Jetzt brachen die Gastgeber von damals nach Nepal auf - zum Gegenbesuch.
Als Au-Pair-Mädchen war Asha Tamang bis November 2011 bei der Familie unserer Tochter Anja zu Gast gewesen. Sie verbrachte immer wieder auch Zeit in Seidmar, es entwickelte sich eine schöne Freundschaft. Sie lud uns beim Weggehen ein und nachdem sie aus Katmandu, ihrer Heimatstadt, mehrmals angerufen hatte, war uns klar, sie meint es ernst.
Ende Januar besteigen meine Frau Marianne und ich das Flugzeug, in zwölf Stunden geht es über Abu Dhabi in die nepalesische Hauptstadt. Asha erwartet uns zuverlässig am kleinen und sehr einfachen Airport. Traditionsgemäß legt sie uns einen gelben Schal als Willkommensgruß um den Hals. Ihr Schwager Manching, Angestellter eines Taxiunternehmens, sollte von da an bis zu unserer Abreise ein absolut zuverlässiger und unverzichtbarer Begleiter sein.
Erstes Ziel ist eine Neubausiedlung mit recht ansehnlichen Häusern, wo uns aber die täglichen Probleme sofort einholen. An der Eingangstür warten die Eltern. Sie haben zwei Pflanzenstöcke an der Türschwelle aufgestellt und Räucherstäbchen entzündet. Bevor wir die Schwelle des Hauses überschreiten, drücken sie uns noch je einen roten Punkt als gute Geste auf die Stirn. Ein kurzes, fast festliches Zeremoniell, das Willkommen und Wohlergehen für uns ausdrückt.
Seit zwei Monaten hatten sie das Haus gemietet, drei Räume plus Küche. 80 Euro im Monat bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 50 Euro bedeutet für die große, achtköpfige Familie eine echte Herausforderung. Die gesundheitlich stark angeschlagenen Eltern betreiben einen kleinen Straßenladen. Ein Sohn mit Frau und zwei Kindern versucht sich als Sammeltaxifahrer.
Namenlose Straßen
Das gasbetriebene Auto steht vor der Tür, kein Treibstoff zurzeit verfügbar. Weitere Verwandte und Asha finden hier Unterkunft. Den ganzen Tag gibt es keine Elektrizität. Abends Essen in der Großfamilie bei dusterem Kerzenschein. Alle sind sehr freundlich und trotzdem ist es irgendwie bedrückend. Draußen ist es stockdunkel. Auf die Straße zu gehen, so man den Staubweg überhaupt so bezeichnen kann, wird nicht empfohlen. Es gibt keine Straßennamen, keine Hausnummern.
Schon um 19 Uhr finden wir Ruhe in unserem geräumigen Zimmer. Alle anderen teilen sich die anderen zwei Räume. Heizung oder warmes Wasser gibt es nicht. Eine harte Liegefläche, gut angezogen und zugedeckt, so kann man die kühlen Nächte durchstehen. Nachts zwischen 1 und 4 Uhr gibt es dann Strom.
Dann am Morgen der erste Eindruck vom kulturellen Reichtum der Hauptstadt: Die Straßen im nicht touristischen Teil sind übersät von Staub und Löchern. Ein völlig chaotischer Verkehr von Autos, Mopeds, Fahrrädern, Rikschafahrern und Fußgängern prägt das Bild; dazwischen viele Hunde, ab und zu geruhsam eine Kuh oder die Affen an den Heiligtümern, die schon einmal eine Kamera klauen. Wohltuend, die Harmonie zwischen Mensch und Tier. So will es ja dort auch die Religion.
Am Abend wieder die gleiche Situation. Kein Strom. Kerzenlicht, zu wenig zum Lesen; also gehen wir früh schlafen. Ich bin versucht, den Aufenthalt abzukürzen, Marianne widersteht erfolgreich meinem Ansinnen. Ich habe eine Art Lagerkoller, fühle mich am Ende der Welt verloren, kein Fernsehen, kein Radio, absolut keinerlei strukturelle Anbindung nach draußen, nicht einmal eine Adresse. Dies in einer 1,5 Millionen-EinwohnerStadt, die explosionsartig gewachsen und selbst bei einfachen Dingen völlig überfordert ist. Mir kommen die allabendlichen Talkshows mit ihren "Sorgen" in Deutschland in den Sinn, die mir plötzlich so absurd erscheinen.
Ashas Bruder Prem, 30 Jahre, kommt am selben Tag nach fünf Jahren Einsatz als Koch aus Tunesien zurück. Er hat, zusammen mit Manching, eine achttägige Rundreise für uns geplant.
Wir brechen am nächsten Tag auf - eine abenteuerlichen Fahrt in das 200 Kilometer entfernte und landschaftlich sehr attraktive Pokhara, dem Gegenstück von Katmandu. Es ist beschaulicher, die umliegende Natur dominiert. Viele Fremde nutzen den Ort als Ausgangspunkt zu Trekkingtouren in den lockenden Himalaya.
Hier versuche ich Geld abzuheben und stecke neugierig meine EC-Card in den Geldautomat an der Bank. Der spuckt zu unserer Verblüffung das Geld fast so schnell wie daheim aus, was ein gutes Gefühl der Unabhängigkeit gibt.
Bemerkenswert sind die tadellos sauberen und günstigen Unterkünfte. Weiter geht es nach Lumbini an der indischen Grenze, dem Geburtsort Buddhas, UNESCO-Weltkulturerbe.
Ganz in der Nähe finden wir ein Kreuz an einem Haus. Wir klopfen an und landen in einer englischsprachigen Schule, geführt von einem indischen Baptisten und seiner Frau. In geschliffenem Englisch erzählt er uns unverblümt, dass er als Missionar hierher kam, um "die armen und ungebildeten Nepalesen" zu lehren. Jeder zweite Satz gleicht einer Predigt vom "großen Lord". Die beengten Verhältnisse der Klassenräume für 280 Schüler sind wenig überzeugend. Auf der Weiterfahrt explodiert unser Prem förmlich. Er ist ein aufgeklärter, praktizierender Buddhist; er war stummer Zeuge des Gesprächs. "Dieser Missionar ist ein Lügner, als Inder versteht er sein Geschäft."
"Hundefleisch"
In einer Nachtfahrt gelangen wir zum Nationalpark nach Chitwan, wo wir, abseits der vielen Touristen, bei einer Tante von Manching zu Gast waren. Prem erläuterte uns beim Essen, dass ein vorgesetzter Topf "Hundefleisch" enthalte, weshalb Marianne und ich uns betreten ansahen und keiner den ersten Griff wagte. Prem merkte dies und klärte auf, dass es sich nicht um "dog meat", sonder um "duck meat" handle, also Entenfleisch. Ein Hörfehler, der herzhaftes Lachen hervorrief. Hunde würde man, im Gegensatz zu Nachbarländern, nie in Nepal schlachten.
Bei den Besuchen von Verwandten bestätigte sich, was in Reiseführern nachzulesen ist. Wer kann, geht außer Landes, um das notwendige Geld zum Leben zu verdienen. Prem verbrachte zehn Jahre im Ausland, um die Familie daheim zu stützen. Er wird diese Tage wieder gehen, aber er weiß noch nicht so recht, wohin.
Bei unserer Abfahrt ist das Sammeltaxi des Bruders wieder unterwegs. Eine Gasflasche gibt es auch wieder für die Küche - nach acht Wochen Wartezeit. Nach zwei Wochen verlassen wir ein Land, das uns fast heimisch geworden ist. Alle Verwandten finden sich zum Abschied vor dem Haus ein. Bevor wir die Schwelle überschreiten, werden wir mit einem Ritual von den kranken Eltern und allen Verwandten verabschiedet. Wir haben wunderbare Menschen gefunden, und plötzlich fällt uns der Abschied schwer.