Was der Demografiewandel für Probleme und Chancen bereithält
Autor: Sarah Seewald
Poxdorf, Mittwoch, 30. November 2016
Gemeinden müssen wie Produkthersteller Werbung für sich machen, um den Demografiewandel zu meistern.
Ein Blick nach Oberfranken, ein Blick nach Unterfranken - ob Schonungen im Landkreis Schweinfurt oder Poxdorf im Landkreis Forchheim.
Der Demografiewandel beschäftigt die Bürgermeister vor Ort. Der eine, Stefan Rottmann (SPD), hat mit der demografischen Entwicklung bewusst Wahlkampf gemacht und ist damit jüngster Bürgermeister Bayerns geworden. Der andere, Pauls Steins, versucht gerade aktiv in seiner Gemeinde Baugebiete zu gewinnen, damit sich junge Familien niederlassen können. Für Rottmann ist klar, dass in den nächsten Jahren in größeren Einheiten gedacht werden muss. Er fordert ein "Ende des Kirchturmdenkens" und erklärt seinen Ansatz wie folgt: "Das größte Problem bei der Umsetzung von Projekten ist die Engstirnigkeit. Die persönliche Identifikation eines jeden Bürgers mit der Großgemeinde ist mein Ziel."
Wettbewerb der Kommunen
Eine interkommunale Zusammenarbeit sei für die Entwicklung langfristig gesehen interessant und entscheidend. "Aktuell muss eine Art Konkurrenzkampf im Landkreis entfacht werden. Im Prinzip ist der Landkreis wie die Bundesliga: Jede Gemeinde, jeder Verein möchte vorne mitspielen. Die Rathausverwaltung als Team muss durch begeisterte Anhänger - sprich Bürger - motiviert, unterstützt und getragen werden", erklärt Rottmann. Er vergleicht das mit der Wirtschaft: "Während in der Bankenwelt Kunden abgeworben werden, kämpft eine Gemeinde um jeden Einwohner." Das sieht auch Steins so: "Ich sehe keinen Strang, an dem die Kommunen ziehen. Der Demografiewandel bewirkt Wettbewerb. Wer attraktiv ist, wer gute Anreize schafft, kann Defizite ausgleichen." Welche Folgen es haben könnte, wenn Orten wie Poxdorf schlichtweg der Nachwuchs wegbricht, macht Steins deutlich: "Kein Kindergarten, keine Schule, kein Vereinsleben - das würde bedeuten, dass Poxdorf an Attraktivität verlieren würde." Für Steins gibt es zwei Sichtweisen auf den Demografiewandel: Für Poxdorf bedeute der Demografiewandel, dass bis 2024 die Altersgruppe über 65 Jahre um 61,7 Prozent wächst. "Dadurch muss Poxdorf für seine Senioren bisher nicht gekannte Einrichtungen schaffen, es ist also die Chance, Neues zu entwickeln." Ob Bürgerbus, Seniorentreff oder Einkaufsdienst. Dem gegenüber stehen für ihn die Fragen, wie in Zukunft Kindergarten und Schulen erhalten werden können. Sorgen macht ihm auch, dass es vor Ort keine Metzgerei, keine Post, nur noch eine Bäckerei gibt ...
Die Probleme sind bekannt: "Die Umsetzung entsprechender Lösungen ist allerdings schwierig, weil die Auswirkungen der Abwärtsentwicklung von Poxdorf sich noch nicht bei allen Bürgern vergegenwärtigt hat und die allgemeine Zufriedenheit noch überwiegt."
Auch wenn Kommunen im Wettbewerb stehen, beschäftigen sie letztlich die gleichen Probleme. Wohnraum ist ein großer Schwerpunkt. Poxdorf tut gerade alles dafür, Baugrundstücke zurückzugewinnen, um diese neu zu verkaufen und festzulegen, dass auf diesen Grundstücken in einer gewissen Frist auch gebaut wird.
Für Stefan Rottmann ist der Demografiewandel "schon auch Katastrophenszenario". Denn: "Viele schlafen noch, wenn es um das Thema in der eigenen Gemeinde geht." Den Vorteil, den beide Bürgermeister sehen: Die Region - Franken - hat einiges zu bieten - auch eine starke Wirtschaft und somit Arbeitsplätze. Rottmanns Motto lautet: "Auf dem Land wohnen und auf nichts verzichten!" sd
Kommentar: Das Ziel muss sein: Alle wollen hier alt werden
Der Demografiewandel ist eine Chance. Leichter geschrieben, als letztlich begründet. Schließlich wird diese gesellschaftliche Herausforderung doch häufiger mit dramatischen Zahlen wie einer steigenden Pro-Kopf-Verschuldung oder schrumpfenden Einwohnerzahlen untermauert.
Was mir persönlich die Serie "Alt werden in Franken" in den letzten Tagen bewiesen hat: Hinter der rein wissenschaftlichen Bevölkerungsentwicklung steht vor allem eines oder besser gesagt jemand - Menschen. Ganz egal, ob jung, alt oder sogar steinalt. Letztlich zwingt uns die Verschiebung der Altersstruktur in den nächsten 20, 30 Jahren noch stärker dazu, miteinander zu sprechen und Generationen zu verbinden.
Wir müssen uns darauf einlassen, unseren Mitmenschen, den Älteren wie den Jüngeren, zuzuhören, auch wenn sie nicht mehr wie früher in einem traditionellen Mehrgenerationenhaus zusammen unter einem Dach wohnen.
Die Aussicht darauf, wirklich sehr alt zu werden und dabei auch lange fit zu bleiben, erfordert die Bereitschaft, sich auf das Alter rechtzeitig einzulassen. Wo möchte ich im Alter leben und wie kann ich mir diese Wünsche (finanziell) erfüllen? Darüber nachdenken, wie wir uns im Alter in der Gesellschaft einbringen können - entweder ehrenamtlich oder teilweise beruflich. Sich Gedanken darüber machen, was kann ich dazu beitragen, dass sich alle Generationen wohlfühlen.
Das mag naiv klingen, ist aber der Punkt, an dem jeder etwas gegen den Bevölkerungsschwund tun kann. Wenn junge Leute erkennen, dass sie von Älteren lernen können. Und wenn im Gegenzug die Senioren sich mit verantwortlich fühlen, dass nicht nur die Interessen der "stärksten Kohorte" vertreten werden, sie ein Gespür dafür entwickeln, dass sich auch die jungen Leute Gedanken machen, Sorgen und Hoffnungen haben, dann ist ein Miteinander der Generationen in neuen Lebensformen möglich.
Demografie ist ein sperriges Wort - keine Frage. Vielleicht kann die Botschaft dieses Begriffes lauten: So leben, sich so für Werte einsetzen, damit wir alle in Franken alt werden wollen - und können.