Druckartikel: Von Forchheimer Mauerscheißern und ihren Nachbarn: Autor Martin Droschke im Interview

Von Forchheimer Mauerscheißern und ihren Nachbarn: Autor Martin Droschke im Interview


Autor: Stephan Großmann

Ebermannstadt, Donnerstag, 15. Oktober 2020

Der Coburger Autor Martin Droschke erklärt im Interview, warum Ortsschimpfnamen wie "Forchheimer Mauerscheißer" nicht unbedingt böse gemeint sein müssen. Und weshalb die maulfaulen Franken so treffsicher schimpfen können.
"Gebrunzt wird immer": Autor Martin Droschke Foto: Ramona Hallama


Martin Droschke liebt das Fränkische. Genuss, Bier, Leute - und das Derbe. In seinem Buch "Von Hundefressern und Zwiebeltretern" hat er zusammengetragen, wie die fränkischen Ortsschimpfnamen zustandekommen. Auch die Forchheimer Gemeinden kommen nicht ungeschoren davon.

Herr Droschke, Franken ist der schönste Fleck in Bayern. Oder?

Martin Droschke: Natürlich ist es Franken. Es ist unser Fleck, dadurch kann es kein anderer sein. Die anderen mogeln immer, wenn sie es sagen. Die waren wohl noch nie in Franken und können es gar nicht wissen.

Also sollte Franken das Hauptziel aller Bayern sein?

Nein, sonst kommen die alle, trinken uns alles weg und schauen uns die ganze Schönheit weg. Dass die Massen immer ins Allgäu und die Berge pilgern, ist schon richtig. Der Franke als gemütlicher Menschen will und braucht seine Ruhe.

Gelten die Schwaben als amüsant sparsam, wird den Franken eine gewisse Rohheit unterstellt. Ist Ihnen das auch schon aufgefallen?

Natürlich. Wenn wir auf das Thema Ortsschimpfnamen kommen wollen, dann manifestiert sich das in dieser Kultur. Sich also für die Nachbarn messerscharf-böse Spitznamen auszudenken und diese gezielt und hinterrücks einzusetzen. Der Schwabe steht am Gartenzaun und braucht eine ganze Stunde, um über den anderen zu lästern. So viel Zeit verschwendet der Franke nicht - ein Wort genügt.

Die Franken schimpfen also sehr effizient.

Es ist unglaublich effizient. Wenn man sich die Ortsschimpfnamen anschaut, ist es oberflächlich betrachtet immer nur ein einziges Wort. Wenn man dann schaut, was dieses Wort bedeuten könnte, dann entwickeln sich riesige Geschichten. Es ist eine geballte Ladung, die der Franke als maulfauler Mensch in einem Wort konzentriert.

Bisher haben Sie sich eher dem Bier gewidmet. Woher rührt Ihr Faible für die böse Zunge?

Da sind wir in Hof. Wir haben einen Craftbierführer für Franken geschrieben und sind dort auf eine Kneipe gestoßen, die uns umgehauen hat. Dort gab es internationale Biere, die es nicht einmal in Berlin gab. Im Buch haben wir etwas mit dem Begriff "Bayerisch Sibirien" gespielt. Daraufhin kam von einem Heimatpfleger ein dreiseitiger, böser Brief. Da dachte ich mir, dass da wohl etwas lebendig sein muss, was bisher noch niemand beachtet hat. Und prompt habe ich mich reingewühlt.

Forchheimer heißen Mauerscheißer, Kirchehrenbacher sind Baggersfresser: Nett klingen die Bezeichnungen aus Ihrem neuen Buch oft nicht. Mögen die Franken ihre Nachbarn nicht?

Die Franken haben sich diese Schimpfnamen als friedensstiftende Maßnahmen überlegt, damit sie nicht die ganze Zeit eine Schlägerei anzetteln müssen. (lacht) Die Oberbayern haben so etwas ähnliches, das Derblecken. Da treffen sich die Leute im Wirtshaus, wer den derbsten Reim zusammenbringt, ist der Sieger. Zu so etwas ist der Franke nicht in der Lage, er spricht nicht gerne. Das liegt ihm nicht. Also hat sich der Franke etwas einfallen lassen, um mit einem Wort auszukommen. Alles bleibt friedlich, aber man ist voneinander abgegrenzt. Das ist etwas zutiefst Menschliches.

Je derber die Ausdrucksweise, desto höher die Wertschätzung?

Nein, je treffgenauer.

Wie der Mauerscheißer: Der muss auch genau treffen, sonst geht"s nach hinten los...

Der Mauerscheißer ist mehrfacher Hinsicht gut beobachtet. Der Begriff hat mit dem 30-Jährigen Krieg zu tun. Es war das letzte Mal, dass Forchheim eine bedeutende Rolle in der Weltgeschichte gespielt hat. Als sich der Bamberger Bischof vor den Schweden dorthin zurückgezogen hat. Die Schweden belagerten Forchheim, dann stiegen die Bewohner auf die Stadtmauer und machten von der Mauer. Um den Schweden zu zeigen: Wir haben noch genug zu essen. Wer scheißen muss, muss vorher was gegessen haben. Der Name erinnert die Forchheimer immer an die üblen Jahre der Belagerung. Gleichzeitig ist es das letzte Mal, dass Forchheim eine bedeutende Stadt war. Das ist richtig schön mit dem Finger in der Wunde bohren.

Vor allem in unserer Gegend scheint bei Schimpfnamen eine Affinität zum Fäkalem zu existieren.

Die menschlichen Grundbedürfnisse sind generell eine Steilvorlage, um einen bösen Witz zu reißen. Damit lassen sich andere gut vorführen. Was im Buch nicht vorkommt: Es gibt Unmengen an Schimpfnamen, die aus heutiger Sicht völlig langweilig sind. Manches ist heute nicht mehr verständlich. Aber es wird überall geschissen und gebrunzt. Überall wo ein Eimer im Spiel ist, sind etwa die "feinen Pinkel" gemeint.

Von Ort zu Ort ziehen und mit dem Schimpfnamen wedeln: Wie gefährlich war die Recherche ?

Die Recherche selbst nicht. Erst danach. Nicht alle Orte freuen sich über das Buch. In Hof (Bayerisch Sibieren) wurde das Buch beispielsweise von einer Buchhandlung boykottiert.

Wie viele Bürgermeister haben Ihnen die Freundschaft gekündigt?

(lacht) Ich bin nicht mit so vielen Bürgermeistern befreundet. Aber es kam zum Teil böse Leserpost. Es war aber letztlich damit zu rechnen.

Politische Korrektheit gilt mittlerweile selbst als Schimpfwort: Dürfen Sie noch alles sagen?

Wer will es mir denn verbieten!

Jetzt sind Sie bald in Ebermannstadt zu Gast. Also bei den Hungerleidern, wie es im Buch heißt. Sie bringen also Ihre Stullen selbst mit?

Nein, ich esse natürlich eine Bratwurst und schimpfe dann, dass ich nicht die aus meiner Heimat Coburg bekomme.

Infos zu Buch und Autor

Martin Droschke lebt in Coburg und ist wegen einiger Bücher vor allem rund ums fränkische Bier bekannt. In diesem Werk hat er sich den hiesigen Ortsschimpfnamen gewidmet. Am 23. Oktober wird er in Ebermannstadt aus seinem Buch lesen; laut Touristinfo gibt es allerdings im Vorverkauf keine Karten mehr zu erwerben.

www.martindroschke.de

Buch "Von Hundefressern und Zwiebeltretern. Wie die Franken ihre Nachbarn nennen und warum"; mit einem Vorwort von Helmut Vorndran, zahlreiche Abbildungen. Emons Verlag, 2019, 224 Seiten, 14,95 Euro.