Unterricht auf hoher See: Magnus segelte ein halbes Jahr um die Welt
Autor: Sabrina Friedrich
Forchheim, Freitag, 29. August 2014
Sechs Monate lang reiste Magnus Gschoßmann mit dem "Klassenzimmer unter Segeln" durch die Welt. Am meisten vermisste er seine Privatsphäre und das gute Essen von Mama daheim in Forchheim.
Ein halbes Jahr lang tauschte Magnus Gschoßmann (18) sein Klassenzimmer im Forchheimer Ehrenbürg-Gymnasium gegen ein 50 Meter langes Segelboot ein. Im Projekt "Klassenzimmer unter Segeln" durchquerte er von November 2011 bis April 2012 den Nord-Ostsee-Kanal, den Atlantik und die Karibik.
Wer jetzt in die 9. Klasse kommt, kann sich für das 10. Schuljahr 2015/2016 bewerben (Infos unter www.kus-projekt.de). Gute Noten sind bei der Bewerbung Pflicht, soziales, sportliches oder interkulturelles Engagement erhöhen die Chancen zusätzlich. Wer einen der rund 30 Plätze ergattert, den erwartet ein halbes Jahr voller Abenteuer auf hoher See - aber auch Verzicht, raue Wellen und ein abgespeckter Speiseplan.
Es fällt ja in einem normalen Klassenzimmer manchmal schon schwer, die Konzentration aufrecht zu erhalten - wie ist das dann auf einem schaukelnden Segelboot?
Markus Gschoßmann: Es ging eigentlich. Unterricht war zum Glück nur jeden zweiten Tag und wir hatten auch nicht alle Fächer, nur die wichtigen Hauptfächer. Die Lehrer haben das mit praktischen Beispielen anhand der Reise wirklich toll gestaltet. Und wenn dann mal ein Schwarm Delfine kam und neben dem Schiff hergeschwommen ist, sind wir schon aufgestanden und durften den Unterricht verlassen (lacht).
Was habt ihr an den Tagen gemacht, an denen kein Unterricht war?
Wir wurden in zwei Gruppen unterteilt, die abwechselnd Unterricht und Wache hatten. Während der ersten Etappe von Kiel bis Teneriffa hatten wir aber noch keinen Unterricht. Da haben wir erst mal alles gelernt, was man übers Segeln wisse muss.
Hattest du vorher schon Segelerfahrung?
Ja, aber das war keine Voraussetzung für das Projekt. Auf dem Schiff war ich einer von zwei aktiven Seglern. Ich segle selber 29er, das ist eine kleine Jolle und wir haben ein Segelboot am Chiemsee, mit dem wir etwa zwei Mal im Monat rausfahren.
Da hattest du ja dann einen Vorteil gegenüber denen, die noch nie auf einem Schiff waren.
Definitiv. Die anderen mussten sich erst dran gewöhnen, aber das ging sehr schnell.
Also ist keinem im Matheunterricht schlecht geworden?
Am Anfang sind wir bei Dänemark in einen Orkan geraten - da wurde selbst der Captain seekrank, weil man sich nach einem Aufenthalt an Land erst wieder umgewöhnen muss. Während der ersten Woche konnten einige nicht mehr aktiv auf Wache gehen, weil sie so kaputt waren. Zu der Zeit gab es aber zum Glück noch keinen Unterricht. Wenn man seekrank wird, dauert es etwa drei Tage, bis es wieder vorbei geht. Danach können Wellen einem nicht mehr so viel anhaben.
Wie oft wart ihr an Land?
Wir haben häufig Halt gemacht, um zu tanken und die Vorräte aufzufüllen. Bei der Gelegenheit haben wir dann immer die Gegend erkundet, zum Beispiel in England, Teneriffa, Kapverden, Kuba oder Panama.
Wie bist du auf die Idee gekommen, das EGF gegen eine Jolle einzutauschen?
Meine Schwester hat vor mir an dem Projekt teilgenommen und war total begeistert. Das wollte ich dann auch unbedingt machen, habe mich mit dem Halbjahreszeugnis der neunten Klasse beworben. Es gab um die 250 Bewerber, von denen 50 für einen Probeturn ausgewählt wurden. Etwa 30 haben dann letztlich das Glück, dabei sein zu dürfen. Das Projekt wird vom Bayerischen Kultusministerium mit einem Schulbesuch im Ausland gleichgestellt, was gut ist, weil ich kein Schuljahr verlieren wollte.
Ein halbes Jahr weg von daheim - da war die Aufregung sicher groß oder?
Es ging eigentlich. Es ging mit dem Bus erst mal hoch nach Kiel, wo wir eine knappe Woche lang das Schiff in der Werft fertiggestellt und beladen haben. Danach gab es noch ein Abschiedsfest mit den Eltern und Verwandten. Als wir losgefahren sind haben natürlich alle Mädchen ganze Bäche geweint, aber wir Jungs haben es einfach auf uns zukommen lassen.
Wie lief so ein Tag auf dem Schiff ab?
Gefrühstückt haben immer die Wachgruppen miteinander. Die anderen hat man teilweise gar nicht gesehen, weil wir einen unterschiedlichen Rhythmus hatten. Das Zusammenleben mit den Anderen hätte ich mir aber nicht so krass vorgestellt. Wir sind eine achtköpfige Familie und ich liebe meine Privatsphäre - das war dort unmöglich, wenn man nie alleine ist und sich mit sechs Leuten eine winzige Schlafkammer teilt.
Darauf waren sicher nicht alle gefasst.
Ich wusste zwar schon viel von meiner Schwester, aber als ich dann auf dem Schiff war, dachte ich: Oh, das ist doch anders als du dachtest. Man kann es mit nichts anderem vergleichen. Du wirst aus deiner Welt rausgerissen und musst dich in dieser völlig neuen Umgebung mit lauter fremdem Menschen anpassen - mit allem was dazu gehört. Und dann noch jeden glücklich zu stimmen war eben nicht immer einfach und nicht immer möglich.
Was hat dir am meisten gefehlt?
Essen und Milch (lacht). Es war ja alles reglementiert: Es gab nur einen kleinen Schuss Milch zum Müsli, ein halbes Glas Orangensaft zum Frühstück und Nutella nur zwei Mal die Woche zum Frühstück. Pro Tag wurden vier Leute zum Kochen eingeteilt und die haben natürlich auch nicht immer das perfekte Essen gezaubert. Da habe ich mich oft ins Hotel Mama zurückgewünscht, wo immer was Gutes auf den Tisch kommt.
Ihr habt in dem halben Jahr wahrscheinlich so viel erlebt, wie manch einer in seinem ganzen Leben nicht. Welches Ereignis ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Sehr schön war unsere Ankunft an den Tobago Keys in der Karibik. Wir sind nachts angekommen und dann um sechs Uhr aufgestanden, um uns den Sonnenaufgang anzuschauen. Da stand ich mit meinem besten Freund, den ich dort kennengelernt habe, Arm in Arm und die Sonne ging hinter der Insel auf und der ganze Himmel war rot.
Klingt so, als wäre das deutlich besser als der normale Schulalltag.
Auf jeden Fall! Ich bin leidenschaftlicher Segler und das Segeln mit super Leuten und einem ganz abgedrehten Lebensablauf zu verbinden war schon cool. Es war auch schön, mal von zu Hause wegzukommen und unabhängig zu sein.
Glaubst du, dass dich das halbe Jahr auf See verändert hat?
Ich denke ich bin zwangsweise reifer geworden. Wenn man ein halbes Jahr lang mit allen klarkommen muss, muss man sich einfach so anpassen, dass man kaum noch Rücksicht auf sich selber nimmt. Das habe ich - glaube ich - auch beibehalten. Ich bin auch selbstständiger und selbstbewusster geworden, weil ich mich ja um alles selber kümmern musste. Meine Familie und Freunde sagen außerdem, dass ich jetzt viel offener bin als früher.
Welchen Rat würdest du Schülern geben, die sich für das Projekt bewerben wollen?
Derjenige, der es macht, der soll überzeugt sein, dass er es wirklich will. Sonst hat man keinen Spaß daran, und das ist schlecht für alle, die auf dem Schiff sind. Man muss auch bereit sein, allen Luxus aufzugeben, den man von zu Hause kennt.
Kamen dir zwischendurch mal Zweifel?
Jeder hat sein Zuhause vermisst; manche mehr, manche weniger. In so mancher Extremsituation denkst du dir dann schon: Oh Gott, warum tue ich mir das an? Aber letztendlich haben alle gesagt, dass es die beste Zeit ihres Lebens war.