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Tim Lunz hat sich von einer 110-Kilo-Last befreit


Autor: Ekkehard Roepert

Forchheim, Donnerstag, 08. Oktober 2015

Als der 33-Jährige aus Kirchehrenbach 207 Kilogramm wog, blieb ihm die Luft weg. Heute bringt er weniger als die Hälfte auf die Waage.
Adipositas wird im Team besiegt: Oberärztin Dewald, Ernährungsberaterin Lamprecht und Chirurg Sturm (von links) zeigen die Kleider, von denen sie Tim Lunz befreit haben. Foto; Barbara Herbst


Bilder aus dem Jahr 2010 zeigen Tim Lunz als 28-jährigen Mann, dessen Kopf direkt auf den Schultern sitzt. "Jetzt hab ich meinen Hals wieder", sagt der 33-Jährige und lacht.
Dieses befreiende Lachen hat er sich hart erarbeitet. Über 200 Kilogramm brachte Tim Lunz auf die Waage, als er sich vor einem Jahr von Oberarzt Michael Sturm operieren ließ. Und auch diese Operation musste er sich hart erarbeiten. Denn wer an krankhaftem Übergewicht - im Fachjargon Adipositas genannt - leidet, kann sich nicht einfach mal so auf den OP-Tisch legen und ist dann sein Fett los.
Hinter jedem exzessiven Übergewicht steckt eine Leidensgeschichte. Im Alleingang wird die Pfunde niemand mehr los. "Behandlung von Adipositas ist Teamwork", sagt Oberärztin Elisabeth Dewald.
Als Tim Lunz 2001 nach dem Tod seiner Mutter in eine Depression verfiel, war ihm der Zusammenhang zwischen seiner Schwermut und seinem Essverhalten nicht bewusst.

Der stattliche, 1,87 Meter große Mann, arbeitete damals am Bau, später in einer Kneipe. Und die Mengen an Süßigkeiten und zuckerhaltigen Getränken, die er verzehrte, wurden immer größer. "Wenn ich nachts von der Arbeit heimkam habe ich manchmal drei Pizzen gegessen." Zehn Jahre später passte er kaum noch hinter das Lenkrad seines Wagens. Sein Hals verschwand, der Rücken "zwickte" und manchmal blieb ihm plötzlich die Luft weg: "Ich musste mich mitten auf die Straße setzen."
2010 dann die Einsicht, dass er so nicht weiterleben konnte. Der erste Schritt führte ihn zu der Ernährungsberaterin Sabine Lamprecht; der zweite "zum Seelenklempner". Und er begann sich bei einer Bewegungstherapie im Schwimmbad den "peinigenden Blicken" der Badegäste auszusetzen. Doch die Pfunde wurde er nicht los.
2014 genehmigte die Kasse endlich die OP. Chirurg Michael Sturm veränderte die Anatomie von Tim Lunz. "Der Magen, der vorher einen Umfang von bis zu drei Maßkrügen hat, wird auf die Größe eines Schnapsglases verkleinert", verbildlicht der Chirurg den Eingriff. Zudem werde der "Restmagen" direkt an den Dünndarm angeschlossen. Dank dieser "Umgehung" beginnt die Verdauung viel später.
Und so begann nach diesem Eingriff im Januar 2014 die erleichternde Lebensphase von Tim Lunz. 207,7 Kilo vor der OP, nur noch 186 Kilo vier Wochen später. Nach einem halben Jahr: 139 Kilo. Heute: 99.3 Kilogramm.
Tim Lunz zeigt die Hosen und Hemden, die er einst trug: "Neun Mal XL". Dann streicht er fröhlich über das Fußball-Trikot, das er so gerne anzieht. Auf dem Rücken steht "Götze" und vorne - kein Bauch. "Ich kann es wieder tragen und ich kann seit 16 Jahren wieder Fahrrad fahren."
110 Kilogramm weniger Gewicht, das sei wie das Leben in einer anderen Welt, sagt Elisabeth Dewald. Es ist aber nicht nur eine angenehme Welt, in der Tim Lunz jetzt lebt. Hier gelten strikte Bewegungs- und Ess-Regeln. Anfänglich gabs nur teelöffelweise Suppen oder Quark. Mittlerweile kann der 33-Jährige alles essen - "ausnahmsweise auch mal einen Burger".
Als er krank war, nahm er täglich bis zu 6000 Kalorien zu sich, jetzt dürfen es nur noch 1000 sein. Doch der verkleinerte Magen sei keine Garantie, die Adipositas für immer überwunden zu haben, warnt Dr. Sturm. "Ein sicheres Mittel gibt`s keins, auch der Dünndarm ist dehnbar."
Die Ess-Disziplin, die Tim Lunz übt, hat er sich schon vor der OP erworben. Dank der engen Begleitung der Ärzte und der Ernährungsberaterin fühle er sich "angestachelt, weiter Gewicht zu verlieren". Die neue Lebensqualität sei die größte Motivation.
Zum Geburtstag bekam er Eintrittskarten für ein Spiel in der Allianz-Arena. Seine Vorfreude sei riesig. Nicht nur weil Tim Lunz Bayern-Fan ist, sondern weil er endlich wieder in den Schalen-Sitz eines Fußballstadions passt.