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St. Michael in Bamberg: Die Heilung wird kompliziert


Autor: Philipp Demling

Bamberg, Donnerstag, 12. März 2015

Was fehlt dem 1000 Jahre alten Patienten namens St. Michael? Und wie kann er wieder auf die Beine kommen? Der Statiker Günter Döhring suchte nach Antworten.
Für die Sanierung der Schäden an St. Michael müssen Millionen von Euro in die Hand genommen werden. Foto: Ronald Rinklef


Dem Organisten ist beim Spielen der Putz auf den Kopf gerieselt. Bei einer Begehung durch Bauexperten platzte von oben ein zwei Kilogramm schwerer Steinbrocken ab und riss einen drei Zentimeter tiefen Krater in eine massive Eichenbank. Nicht auszudenken, wenn dort ein Mensch gesessen wäre.

Das Bamberger Wahrzeichen, das stolz auf dem Michelsberg thront, braucht ausgerechnet zu seinem 1000. Jubiläum eine Notsicherung und ist für die Öffentlichkeit gesperrt. Bertram Felix, Finanzreferent der Stadt und auch für die Bürgerspitalstiftung zuständig, in deren Besitz die Kirche St. Michael ist, vergleicht die Anlage mit einem "Patienten mit 1000-jähriger Krankheitsgeschichte" - der leider viel zu spät zum Arzt gegangen sei.
Deshalb wird die Heilung umso komplizierter und langwieriger. Doch im Moment sind die Fachleute noch mit der Diagnose beschäftigt. Einer der Diagnostiker ist der Statiker Günter Döhring vom Bayreuther Architekturbüro Burges und Döhring. Er gab den Zuhörern im vollbesetzten Mehrzwecksaal der Städtischen Musikschule in der St. Getreu-Straße einen Einblick in die Vielfalt der Schäden an der Kirche - und die Vielzahl der Bausünden, die sie möglich gemacht haben.

Erschreckend viele Risse

Der Statiker spricht von "erschreckend vielen Rissen" an allen Bauteilen des Gotteshauses. In der Marienkapelle gehen diese fast senkrecht von unten nach oben. Zudem seien zahlreiche Holzbalken durch Feuchtigkeitsschäden gefault und von Pilzen befallen.

Döhrings Aussage, an der Michaelskirche sei "fast nichts mehr im Lot", ist auch wörtlich gemeint: "Die Türme kippen 15 Zentimeter nach Westen." Dabei ziehen sie die Wände mit. Weil diese aber nicht mitwollen, reißen sie im Bereich der ebenfalls sanierungsbedürftigen Fenster. Die Dientzenhofer-Fassade, erklärt Döhring, hängt "wie ein Rucksack" zwischen den Türmen, wodurch die Wände nach Westen hin auseinandergezogen werden. Auch die Seitenschiffe stabilisieren das Bauwerk nicht, weil ihre Anker irgendwann gekappt wurden.

Die Türme, so der Diplom-Ingenieur, schwingen bei jedem Glockengeläut mit: "Das lässt sich aber nicht durch Turmschäden erklären, sondern durch Schäden im Fundament." Einheitlich ist dieses nämlich nicht. Der Grund des Klosterbaus ist tiefer als der der Kirche. Unter den Türmen wurde in der Barockzeit nämlich ein Entwässerungskanal gebaut. Problematisch ist das deshalb, weil die Kirche nicht auf Sandstein, sondern auf Lettenschichten steht, die bei Trockenheit steinhart und bei Nässe weich werden. Wozu das führt, erklärt Döhring so: "Die Kirche schwimmt wie auf einem Wasserbett."

Apropos Wasser: "Wir wissen nicht mal, wie das Kanalnetz unter der Anlage genau verläuft", erklärt Bertram Felix. "Weil jede Generation gemeint hat, neue Abwasserkanäle verlegen zu müssen." Allein die Sanierung dieses weit verzweigten Netzes dürfte Millionen verschlingen, meint Felix.

Armada von Fachleuten

Wann der 1000 Jahre alte "Patient" wieder in altem Glanz erstrahlt, und wie viel seine Heilung kosten wird, kann niemand vorhersagen, betont der Finanzreferent. Nur dass es eine Sache von vielen Jahren und vielen Millionen Euro ist, daran besteht kein Zweifel. Eine "Armada von Fachleuten" (Felix), unter anderem vom Landesamt für Denkmalpflege, wird jeden einzelnen Schritt genehmigen müssen.

Auch scheinbar einfache Fragen zu dem komplexen Sanierungsvorhaben sind noch ungeklärt - zum Beispiel, wie die Baufahrzeuge zur Kirche kommen sollen. Bekanntlich gibt es nur die Zufahrt durch den Torbogen. Der ist für Lastautos deutlich zu niedrig.

Einige Zuhörer zweifelten an, dass es wirklich nötig war, die Kirche ausgerechnet zu ihrem 1000. Jubiläum dicht zu machen. Döhring und Felix machten deutlich, dass aus ihrer Sicht kein Schritt daran vorbeigeführt habe.
Döhring erinnerte an die Anfang 2006 eingestürzte Eishalle in Bad Reichenhall. "Damals hat man auch gesagt: Lasst die Leute noch ein halbes Jahr lang rein, und saniert sie dann", sagte der Statiker. Das Ergebnis ist bekannt: 15 Tote und sechs Schwerverletzte.