Gerhard Müller - der unstillbare "Tausendsassa"
Autor: Volker Schneller
Buckenhofen, Dienstag, 14. März 2017
Der 71-Jährige steht seit 58 Jahren zwischen den Pfosten, längst hat er die Marke von 1500 Spielen übertroffen. An sportlichen Ruhestand denkt er aber nicht
Was haben Jan Holpert (48) und Gerhard "Gregg" Müller (71) gemeinsam? Beide waren - beziehungsweise sind - Handballtorhüter, wenngleich auf unterschiedlichen Leistungsebenen. Der Flensburger Holpert (245 Länderspiele), deutscher Meister mit Flensburg-Handewitt sowie viermal Pokalsieger, stand in mehreren Europapokalendspielen und erlebte dreimal Olympische Spiele. Sein Erlanger "Kollege" Müller sammelte immerhin einige bayerische Titel.
Aber bei genauerer Betrachtung gibt es noch mehr Parallelen zwischen den Charakterköpfen. Beide waren - beziehungsweise sind - so etwas wie Dauerbrenner ihrer Zunft. Und sie eint, im deutschen Handball bemerkenswerte Rekorde aufgestellt zu haben: Kein Bundesligaspieler hat es so wie Holpert auf 618 Einsätze im deutschen Oberhaus gebracht. Fast noch eindrucksvoller aber sind die bislang 1563 dokumentierten Pflichtspiele, die der 71 Jahre alte "Gregg" bis zum heutigen Tag bestritten hat.
Diese Marke dürfte nicht nur den berühmten Kollegen von der Förde beeindrucken, sondern wohl auch einmalig in Handball-Deutschland sein, zumal Müller weiterhin im Kasten steht. Ende offen. "Wenn es einen Handballer gibt, der mehr Spiele hat, soll der sich bitte melden - den möchte ich gerne kennenlernen", sagt er. Wie lange Müller noch weitermachen will? "Bis 2046", scherzt der ewig jung gebliebene Torhüter. Dann wäre er 100 Jahre alt.
Müllers Einsätze fanden meist außerhalb des breiten, überregionalen Medieninteresses statt. Der einstige Bankkaufmann begann 1959 in der B-Jugend der SG Siemens Erlangen, ehe er 1960 zum TB Erlangen wechselte. 1964 wurde das Talent in die erste Mannschaft geholt. Dort fasste "Gregg" - diesen Spitznamen bekam er als zwölf Jahre alter Fußballtorwart, weil er mit seinen Paraden an den legendären nordirischen Keeper Harry Gregg von Manchester United erinnerte - sowohl auf dem Großfeld als auch in der Halle rasch Fuß. Zu den Aufstiegen, draußen wie drinnen, aus der Bezirksliga bis in die bayerische Oberliga 1970 (damals dritthöchste Spielklasse in Deutschland) trug er maßgeblich bei, wurde mit seiner Mannschaft zweimal bayerischer Feldhandballmeister (1970 und 1973).
Schnell entwickelte sich Müller zum bayerischen Torwart-Original. Das lag allein schon an seinem Outfit - und am unorthodoxen Torwartstil. Auf dem Großfeld und in der Halle: Stets in einer vom Fußball abgeschauten kurzen Stepphose und Stutzen gekleidet, erwischte der knapp 1,80 Meter "kleine" Schlussmann dank seiner beachtlichen Sprungkraft viele schier unhaltbare Würfe. Das große Fußballtor und "Gregg" - diese Rechnung ging auf. Doch auch in der Halle akklimatisierte sich der Keeper schnell. Dort konnte er sich auf seine tollen Reflexe und seinen großen Mut verlassen. Das sprach sich schnell herum. Müller war gefragt. Er spielte beim Lokalrivalen TV Erlangen-Bruck, für die TS Bayreuth, ehe es wieder zum TB Erlangen ging. Gemeinsam schaffte man innerhalb von zwei Jahren die Rückkehr in die Bayernliga, das war 1980.
Seit 1986 in der "AH"
Mit dem Bayernliga-Comeback war auch der richtige Zeitpunkt für Müller gekommen, sich aus der ersten Mannschaft zurückzuziehen. Ans Aufhören aber dachte er natürlich nicht. Es folgten regelmäßige Einsätze in der zweiten Mannschaft sowie parallel bei den "Alten Herren" des Fusionsklubs HG Erlangen. 1986 wurde Müller Torwart der Dritten, während er weiter durchgängig für die "AH" spielte. Von 1991 bis 2015 war er Torhüter der vierten Mannschaft. Müller wurde Zeuge mehrerer Fusionen in seiner Heimatstadt - aus der HG war inzwischen der HC Erlangen geworden - und erlebte viele Trainer und Funktionäre, mit denen er in verschiedenen Mannschaften zusammengespielt hatte, in neuer Rolle.
Er selbst zog es vor, weiterhin Bälle abzuwehren. Als der HC 2015 seine vierte Mannschaft abmeldete, folgte er dem Ruf des SV Buckenhofen, wo er bis heute regelmäßig im Kasten der Reserve und der "AH" steht.
Wer rastet, der rostet
Doch damit nicht genug: Müller ist vom Torwartdasein offenkundig nicht ausgelastet. Seit 1988 hat er 362 Triathlon-Wettbewerbe bestritten - darunter diverse Ironman-Distanzen. Er ist deutscher "Rekord-Finisher", ausgezeichnet mit zahlreichen nationalen und internationalen Medaillen. Klar: Dabei sein ist für Müller eben nicht alles. So ganz nebenbei erwarb Müller von 1979 bis heute 38 bayerische Sportabzeichen in Gold und genauso oft das deutsche Sportabzeichen.Zum Altwerden hat "Gregg" schlicht keine Zeit. Wer rastet, der rostet. Ob da allerdings noch Platz fürs Privatleben bleibt? Der "glücklich verheiratete" Multi-Sportler weiß, wen er an dieser Stelle zu erwähnen hat: "Ich habe eine sehr verständnisvolle Partnerin, die mich immer unterstützt." Auch, als er - wie 1989 geschehen - mal einen früheren Trainer besuchte, der schwer erkrankt in einem Leverkusener Krankenhaus lag. Dafür nahm er mit dem Motorrad an einem Tag rund 900 Kilometer auf sich. Müller ist immer zur Stelle, wenn Weggefährten und Freunde seine Hilfe brauchen. Auch das haben er und Jan Holpert übrigens gemeinsam.