Die Alt-Germanen singen noch
Autor: Leo Hühnlein
Kirchehrenbach, Freitag, 25. August 2017
Zwar haben etliche Sänger des TSV Kirchehrenbach ihre Karriere schon längst beendet, die Zusammenkunft im Sportheim lassen sie sich aber nicht nehmen.
An den Abpfiff ihres letzten Spiels in der eigenen Kickerkarriere können sie sich meist gar nicht mehr erinnern. Und so mancher Knochen ist schon längst morsch, doch sie singen ihre Fußball-Lieder noch immer voller Inbrunst. Am ersten Mittwoch jeden Monats schallen die Schlachtgesänge der einstigen TSV-Rasenhelden im Germania-Sportheim in Kirchehrenbach. In den Liederpausen frischen die Pensionäre mit Anekdoten über ruhmreiche Siege und bittere Niederlagen die vergangene Zeit wieder auf.
Wackere Sänger
Während etwa ein Dutzend "Alt-Germanen" um 15 Uhr bereits den Refrain zum Ehrabocher Lied ("...liegt mein Heimatdorf Kirchehrenbach") aus voller Brust schmettern, trudeln noch ein paar Nachzügler ein. Rudi Fischer, der gegenüber dem Sportgelände wohnt und sein Schifferklavier nicht weit zu tragen hat, sitzt abseits auf der Bank an der Fensterreihe. Dort hat er mehr Platz, um seine Quetsche zu bedienen. Mit Gesellschaftsliedern, wie "Überall auf der Welt scheint die Sonne" und "Der treue Husar" singen sich die Dorf-Pavarottis langsam ein. Inzwischen kamen nahezu 20 TSVler zusammen, manch Trainer wäre froh, wenn er so viele Leute bei seinem Training begrüßen dürfte. Vor allem in den höheren Passagen brillieren Georg Zimmermann, Heinrich Welsch und Baptist Heidorn, die seit Jahrzehnten dem örtlichen Cäcilia-Chor angehören.
Der ehemalige TSV-Keeper Oskar Dietz, dessen Humor auch vor sich selbst nicht stoppt ("Früher ham´s za mir schwarzer Panther g´socht") kommentiert die Künste schlagfertig: "Da Görch, da Heiner und da Babist könna des freilich bessa wie mir, die worn a lang genuch im Träningsloocha im Gsongverein." Mit dem "Ossi", wie der Spaßvogel vom Dienst seit jeher genannt wird, sind durch Heinz Konhäuser und Franz Amon gleich drei einstige TSV-Torhüter vertreten. Die meisten der Ruheständler haben nach ihrer aktiven Zeit noch langjährige Vereinsämter übernommen oder sind bis heute in verschiedenen Diensten für den TSV im Einsatz.
Der Vater des Sportheims
Hans Gebhardt, der "Reich-Hans", sitzt an seinem einstigen Stammplatz hinter der Garderobe, er gilt als Vater des 1964 erbauten Sportheims. Fast ein halbes Jahrhundert diente er als Wirtschaftsführer und feiert im Oktober seinen 90. Geburtstag - wie der 1927 gegründete TSV, der im Juni das Jubiläum feierte. Nicht ohne Grund hängt schon seit über 20 Jahren ein Foto des Urgesteins mit der Würdigung "Er hat sich um den TSV verdient gemacht" an der Wand.Mit dem "Reich-Hans", Baptist Heidorn und Otmar Meußel sind drei Ehrenmitglieder unter den Anwesenden. Letzterer diente dem TSV über Jahrzehnte als Kassier und finanzieller Berater, Heidorn fungierte über 25 Jahre als Spielleiter. Außerdem prägte er zusammen mit seinen beiden Neffen Friedl und Ludwig sowie deren Vater Fritz Petersik in der sportlichen Leitung die erste herausragende sportliche Ära beim TSV nach Neugliederung der Amateurligen Anfang der 70er Jahre.
Friedl Petersik, einer der besten Kicker, den der TSV je hervor brachte, ging als 18-Jähriger zur SpVgg Fürth und schaffte es dort bis in die Halbprofi-Mannschaft in der Regionalliga-Süd (zu jener Zeit mit der 2. Bundesliga vergleichbar). Mit 24 Jahren kehrte er als Spielertrainer ans Walberla zurück und schaffte prompt den Aufstieg in die A-Klasse (heutige Kreisliga).
Robert Finze, mit Rudi Fischer von den Anwesenden damals in der Meister-Elf, erinnerte daran, dass diese Spielklasse im Vergleich zu heute eigentlich Bezirksliga-Niveau hatte. "Wir bekamen es mit SC Eltersdorf, FSV Erlangen-Bruck, SpVgg Erlangen, ATSV Erlangen, ASV Herzogenaurach, ASV Weisendorf und dem SC Adelsdorf mit lauter Krachern zu tun und behaupteten uns dort fast bis Anfang der 80er."
Dann wird wieder gesungen, es reiht sich Lied an Lied. Dazwischen wird geflachst, was das Zeug hält - und manchmal auch etwas übertrieben. Oder gegeneinander gefrotzelt. Genauso wie es früher - aber auch heute noch - immer in den Kabinen oder nach den Spielen zuging.
Nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden verabschieden sich die ersten Oldies bis zur nächsten Zusammenkunft. Zum Abschluss erklingt wie immer das (der Schalker Hymne entlehnte) TSV-Lied "Blau und Weiß, wie lieb ich dich!", zufrieden blickende Alt-Germanen stoßen mit dem allerletzten "Hipp Hipp, Hurra" nochmals ihre Gläser zusammen.
"Klassenerhalt wäre mehr wert als Aufstieg”
Friedl Petersik, mehrfacher Trainer beim TSV, ist für seine genauen Analysen bekannt. Zudem machte sich der 69-Jährige als Bayernliga-Coach der SpVgg Stegaurach sowie beim SC 08 Bamberg einen Namen. Robert Finze ist der ältere Bruder des Erfolgstrainers Kurt Finze, der den TSV vor 20 Jahren erstmals in die Bezirksliga führte. Der 67-jährige "Schlot", wie er genannt wurde, ist trotz Umzugs nach Weilersbach im Herzen immer Ehrabocher geblieben und hofft, dass die TSV-Elf trotz erst zwei Zählern nach sechs Partien die Kurve kriegt: "Mit vier Direktabsteigern in der 18er-Liga, die sich größtenteils mit Vereinen aus dem Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen zusammensetzt, wäre der Klassenerhalt fast mehr wert als der Aufstieg. Die restlichen Vereine sind fast schon kleinere Städte, die haben kaum Nachwuchsprobleme, wie sie in unseren dörflichen Gebieten inzwischen die Regel sind." Beim 2:7 gegen Herzogenaurach habe man den Unterschied gesehen. "Insgeheim hoffen wir alle, dass sich die Jungs fangen und mehr Punkte holen als vier weitere Mannschaften. Wenn es am Ende nicht reicht, sollen sie die Saison nutzen, um Erfahrungen zu sammeln. Sie haben ja die besten Jahre noch vor sich."
Für Friedl Petersik ist das schwierige Fußfassen als souveräner Meister doch etwas überraschend. Er sieht den Quantensprung nicht nur in der Stärke der anderen Vereine: "Vielleicht hat man sich zu lange zu passiv verhalten?", fragt Petersik. Nach dem Walberla-Fest war davon auszugehen, dass man vor der DJK Weingarts ins Ziel kommt und sich Gedanken über den Kader machen müsse: "Der Zeitpunkt wurde nicht nur verpasst, die beiden abgewanderten Stammspieler hätten bei entsprechender Gesprächsbereitschaft noch eine Saison drangehangen, wie ich mich bei ihnen vergewissert habe."
Da sich Trainer Stephan Schleiwies erst nach Ablauf des Leutenbacher Jobs so richtig um eine Kaderauffrischung kümmern konnte, verstrich die wichtigste Phase zu passiv: "Schleiwies sprach mit 40 Kontakten, wie er mir sagte, und war fast auf sich allein gestellt. Ab da waren jedoch nur noch die üblichen Spieler am Markt, die nur gegen Gage gewechselt hätten". Der Vorsitzenden Silvia Wagner macht der Ex-Coach keinen Vorwurf: "Sie tut alles für den Verein, bräuchte aber Leute an ihrer Seite, die die Ärmel hochkrempeln.
Dass die Reserve nicht richtig unterstützt wurde, wirkt sich nun aus." Dennoch glaubt Petersik, dass der Klassenerhalt keine Utopie sein muss: "Es wird aber schwer". Robert Finze gibt der jungen Generation noch seine Erfahrung mit auf den Weg: "Wir haben auch nicht jedes Spiel gewonnen, haben aber danach bei einem Bier unsere Lieder, die wir von den Alten gelernt haben, trotzdem gesungen. Wir haben gesungen, weil es zusammenschweißt und weil wir die Texte auch singen konnten."