Rollstuhl steht Wohnglück in Forchheim im Weg
Autor: Verena Pohl
Forchheim, Sonntag, 10. August 2014
Christian Feeß sucht in Forchheim eine Bleibe für seine Patchwork-Familie. Er ist erfolgreicher Tänzer und wurde bereits von der Stadt ausgezeichnet. Doch Vermieter lehnen ihn ab - weil er im Rollstuhl sitzt.
Christian Feeß ist mit Leib und Seele Forchheimer - und möchte es auch bleiben. Doch die aktuelle Lage auf dem Immobilienmarkt macht es dem 38-Jährigen nicht leicht: Als Rollstuhlfahrer braucht er eine barrierefreie Wohnung. Doch bei der Wohnungssuche scheint sein eigenes Handicap noch das kleinste Problem zu sein.
Der gelernte Industriekaufmann sitzt seit einem Badeunfall im Sommer 1999 im Rollstuhl. Trotzdem war er zehn Jahre im Leistungssport aktiv, ist sechsfacher Deutscher Meister im Rollstuhltanz und hat Deutschland bei Welt- und Europameisterschaften vertreten. Er engagiert sich (nicht nur) für Behinderte bei den Freien Wählern und erhielt auch schon eine Ehrenurkunde der Stadt Forchheim. Der 38-Jährige lebt in der Nähe des Königsbades in einer Zwei-Zimmer-Wohnung - eine klassische Junggesellenbude, 65 Quadratmeter. Für ihn allein war das prima. Doch dann kam Nicole.
Von Kassel nach Forchheim
Bereits vor neun Jahren haben sich Feeß und Nicole Raithel kennengelernt, vor gut einem Jahr wurden sie ein Paar und beschlossen zusammenzuziehen. Da Nicole in Kassel wohnte, war ein Aufschub des Umzugs keine Option. Und so zog die 36-Jährige im Oktober bei Feeß ein. Mit Sack und Pack - und ihrer 14-jährigen Tochter Leonie. Obwohl Raithel all ihre Möbel bei einer Spedition einlagern ließ, leben die drei nun sehr beengt, zudem verlangt die Speditioin monatlich 180 Euro für's Einlagern. "Wir haben uns gedacht, das ist ja nur für die Übergangszeit, bis wir eine größere Wohnung gefunden haben", erzählt Feeß, "aber da waren wir wohl ein bisschen zu optimistisch."
Drei Zimmer hätte die Patchwork-Familie gern, 80 bis 90 Quadratmeter. Bis 950 Euro warm könnte sich das Paar leisten, da beide in Vollzeit arbeiten. Aber in Forchheim eine barrierefreie Wohnung zu finden, ist schwierig. "Die Häuser, die jetzt in Forchheim neu gebaut werden, am alten Schwimmbad zum Beispiel, die sind alle barrierefrei, aber auch viel zu teuer", sagt Feeß. Da seien Preise von bis zu 1400 Euro kalt an der Tagesordnung. "Und Altbauten haben meist keinen Aufzug oder zu viele Stufen."
Geteilte Märkte
Diesen Eindruck kann der Immobilienmakler Karl-Heinz Polster bestätigen: "Es gibt in Forchheim nicht nur einen Immobilienmarkt, sondern mehrere Teilmärkte. Wenn Sie bereit sind, über 1000 Euro im Monat auf den Tisch zu legen, finden Sie sofort fünf Wohnungen, in die Sie morgen einziehen können. Wenn Sie aber eine Wohnung im normalen bis günstigen Preissegment suchen, finden Sie wenig bis nichts. Sie finden vielleicht noch eine Mietwohnung für sieben Euro pro Quadratmeter in einem älteren Haus, aber wenn Sie einen Aufzug brauchen, gehen die Preise ab neun Euro los."
Dabei bezeichnet sich Feeß selbst als sehr pflegeleicht: "Ich muss nur zurechtkommen." Seine derzeitige Wohnung liegt im Erdgeschoss und ist eigentlich auch nicht barrierefrei. Doch der Industriekaufmann ließ Rampen auf den Stufen an Haus- und Terrassentür anbringen und baute einen Badewannen-Lift ins Bad: "Der lässt sich einfach und problemlos herausnehmen und in jede Standard-Wanne einsetzen."
Schufa-Abfrage für Erstkontakt
Auf sämtlichen Immobilienportalen hat Feeß Benachrichtigungen für Wohnungen in Forchheim abonniert, seine Mutter wälzt die Zeitung, Freunde und Bekannte schicken ihm bei Facebook Links zu Wohnungsannoncen. Als weit weniger hilfsbereit hat Feeß allerdings manche Immobilienmakler kennengelernt. "Da gibt es Leute, die verlangen im Kontaktformular nach einer Kontonummer für die Schufa-Abfrage - nur für meine Frage, ob die Wohnung rollstuhlgerecht ist! Und dann bekommst du noch nicht einmal eine Antwort."
Die Krönung des Ganzen erlebte Feeß dann bei einer Besichtigung. "Um Weihnachten herum haben wir eine explizit rollstuhlgerechte Wohnung in Buckenhofen angeschaut", erinnert sich der 38-Jährige. "Wir wollten die Wohnung nehmen, der Makler hatte uns auch explizit dem Eigentümer empfohlen. Doch der Vermieter ließ ausrichten, er wolle keine Rollstuhlfahrer - weil die Reifen den neuen Parkett zu stark abnutzen würden." Der ehemalige Leistungssportler ist immer noch fassungslos, wenn er daran denkt. "Ich hätte kein Problem damit, wenn mich jemand ablehnt, weil ich ihm unsympathisch bin. Aber von jemandem, dem ich nie begegnet bin, einfach so pauschal abgestempelt zu werden, tut weh."
Zu wenig Barrierefreiheit
"Leider ist es noch viel zu oft so, dass Menschen Vorbehalte gegen Behinderte haben", sagt Manfred Hümmer, zweiter Vorsitzender der Offenen Behindertenarbeit (OBA). "Es ist schade, dass man in so einem Fall auch gar nichts tun kann: Das Privileg des Vermieters, sich seinen Mieter auszusuchen, hat Vorrang vor dem Antidiskriminierungsgesetz." Die OBA bekomme immer wieder Anfragen nach barrierefreien Wohnungen, doch die Betroffenen werden dann an die Wohnungsbaugenossenschaften verwiesen. "Es gibt in Forchheim generell zu wenig barrierefreien Wohnraum; das betrifft ja nicht nur Menschen mit Handicap, sondern auch Senioren."
Christian Feeß hat auch bei den städtischen Wohnbau-Genossenschaften GWS und Gewog angefragt. Die Wartelisten dort sind lang. Und: "Ich bin ja kein Sozialfall. Ich brauche keine geförderte Wohnung, ich will einfach nur ein schönes Zuhause - und bin ja auch bereit, dafür einen vernünftigen Preis zu zahlen." Er fordert: "Die Stadt sollte nicht alle Bauplätze an Investoren verkaufen, sondern an Leute, die normale Häuser für durchschnittliche Preise bauen. Das belebt die Innenstadt."
Eigenbedarf vorgeschoben
Vor vier Wochen hat Feeß eine Anzeige gesehen: für eine schöne Wohnung am alten Hallenbad. Ihm fiel auf: Die Annonce hatte er schon mal gesehen, damals war ihm die Wohnung zu teuer. Jetzt wurde die Miete heruntergesetzt, weil sich offenbar kein Interessent finden ließ. Feeß machte einen Termin aus, sagte zu. Er hätte schon zum 1. August einziehen müssen. Auch das hätte er gemacht. Dann sagte der Vermieter plötzlich ab - und meldete Eigenbedarf an, seine Nichte hätte sich von ihrem Freund getrennt. Nur ein paar Tage danach war die Wohnung wieder inseriert. Zum alten Preis - und mit neuen Bedingungen: maximal zwei Personen sollten einziehen, keine Raucher, keine Haustiere. Auch hier bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Feeß ist sauer. "Barrierefreiheit beginnt im Kopf!"
Sebastian Körber, FDP-Stadtrat und frisch gewählter Barrierebeauftragter, ist empört angesichts solch offener Diskriminierung. "So etwas ist inakzeptabel. Besonders das Argument über die Abnutzung der Fußböden ist albern. Hier muss die Kommune eingreifen und Aufklärungsarbeit leisten." Es könne schließlich auch von Vorteil sein, einen Mieter mit Handicap zu haben: "Das sind meist sehr langfristige Mieter und ziehen nicht einfach so nach einem Jahr wieder aus." Körber verspricht auch, sich im Stadtrat dafür einzusetzen, dass Bestandswohnungen barrierefrei umgebaut werden.
Sinken die Mietpreise?
Immerhin: Beim Mieterbund Forchheim sind bisher keine weiteren Fälle bekannt, bei denen Bewerbern der Einzug wegen ihrer Behinderung verweigert wurde. Vielleicht finden Feeß und seine Patchwork-Familie ja doch noch eine bezahlbare und rollstuhltaugliche Drei-Zimmer-Wohnung. Makler Polster prophezeit: "Die Blase ist geplatzt, in einem Jahr werden die Mieten sinken. Es gibt in Forchheim zu viele teure Wohnung, für die werden sich zu den Preisen keine Mieter finden lassen. In ein paar Monaten werden die zu niedrigeren Preisen auf dem Markt sein."
Ob Christian Feeß davon noch profitieren wird, ist zumindest fraglich. Der 38-Jährige hat seinen Suchradius inzwischen ausgeweitet. "Ich würde sehr gerne in Forchheim bleiben. Aber Leonie ist in der Pubertät, das gibt Reibungen. Wir können nicht ewig weitersuchen."