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Pflegekind-Streit: Schwere Vorwürfe gegen Erlanger Jugendamt


Autor: Ekkehard Roepert

Kleinsendelbach, Dienstag, 17. Juni 2014

Ohne Vorwarnung holt Erlanger Jugendamt ein Kind aus der Schule ab und entzieht es der Pflegemutter. Von einer Missbrauchs-Vergangenheits des Kindes hat das Amt offenbar gewusst. Sonja Beierl wirft der Behörde nun vor, diese Informationen ihr gegenüber "verschleiert" zu haben.
Symbolbild Foto: EPA/HOW HWEE YOUNG


Seit dem 27. Mai hat Sonja Beierl zwei große Probleme. An jenem Dienstag hat das Jugendamt Erlangen der 41-Jährigen ihr Pflegekind weggenommen. Ohne Vorankündigung. Verantwortliche des Jugendamtes holten die siebenjährige S. von der Schule in Forchheim ab, seitdem hat die Pflegemutter das Kind nicht mehr gesehen.
"Es ist schrecklich, die Kleine war wie mein eigenes Kind." Doch Sonja Beierl sorgt sich nicht nur um ihr Pflegekind. Auch ihr persönlicher Ruf sei beschädigt, sagt die 41-Jährige aus Kleinsendelbach. Das Vorgehen des Jugendamtes hinterlasse den Eindruck, sie habe sich etwas Schwerwiegendes zu Schulden kommen lassen.
Als Dreijährige war S. im Dezember 2009 nach Kleinsendelbach gekommen. Hier lebte sie viereinhalb Jahre mit Sonja Beierl und deren 13-jähriger Tochter. Im Februar 2010 begann die Schrei-Phase des Pflegekindes. "Sie hat fast eineinhalb Jahre durchgeschrien", erinnert sich Beierl. Außerdem offenbarte das Mädchen reihenweise Symptome, die auf einen schweren sexuellen Missbrauch hinweisen. "Es wurde viel verschleiert, das Amt hat zu spät reagiert", sagt die Pflegemutter rückblickend.

Vorgeschichte verschwiegen?

Als sie dem Jugendamt ihre Schwierigkeiten mit S. schilderte, wurde die Betreuung drastisch ausgeweitet: S. wurde nun zehn Stunden pro Woche zu einer Heilpädagogin geschickt; die Missbrauchsbeauftragte wurde in die Arbeit eingebunden; ein hauswirtschaftlicher Dienst und eine Schulbegleitung unterstützten plötzlich die Erziehung von Sonja Beierl.
All dies sind für die Pflegemutter Hinweise, dass ihr von der Behörde Informationen über die Vorgeschichte des Pflegekindes vorenthalten wurden.
Edeltraud Höllerer, die Leiterin des Erlanger Jugendamtes, ist der Meinung, dass weder das Amt noch die Pflegemutter Details dieses Falles preisgeben sollten. Nur so könne das Persönlichkeitsrecht des Kindes geschützt werden. Im übrigen werde der Richter über den Verbleib des Kindes entscheiden. Daher begründet Höllerer die Vorgehensweise des Amtes nur sehr allgemein: "Es gab Informationen aus dem Umfeld des Kindes und auch von Fachkräften, die in der Familie tätig sind."

Dass die Behörde Fehler gemacht haben könnte, schließt Edeltraud Höllerer kategorisch aus: "Wir sind das Jugendamt. Ich brauche mir keine Vorwürfe machen lassen."
Dass S. möglicherweise aus Kleinsendelbach weg musste, weil sie dort nicht mehr sicher war, dazu äußert sich Edeltraud Höllerer nicht. Von einer Bedrohung der Pflegefamilie wisse sie nichts. Doch diese Bedrohung hat es nachweisliche gegeben, Sonja Beierl hat sie der Polizei angezeigt. Als im Februar 2011 ein schwarz gekleideter Mann mit Springerstiefeln um das Haus der Pflegefamilie schlich; als im Garten Sachen zerstört und die Reifen von Sonja Beierls Auto aufgeschlitzt worden waren, ließ die Pflegemutter ihr Haus in einen "Sicherheitstrakt" verwandeln.
Beraten von der Polizei, wurden massive Schlösser und Türriegel eingebaut und auch sämtliche Fenster mit speziellen Sicherungen ausgestattet. "Bezahlt wurde die Maßnahme vom Jugendamt", sagt Sonja Beierl. Das sei ihr nicht bekannt, sagt Amtsleiterin Höllerer.

Die Pflegemutter belauscht

Dass das Jugendamt von Gefährdungen nichts wissen will, macht Andrea Bekaan stutzig. Die studierte Psychologin ist eine Nachbarin von Sonja Beierl. Bekaan beteuert die herausragende Leistung der Pflegemutter ("Wahnsinn, was sie geleistet hat.") - und sie wundert sich, dass "Personen, die zur Unterstützung von Sonja Beierl eingesetzt waren, massiv gegen die Pflegemutter gearbeitet haben". Andrea Bekaan weist darauf hin, dass etwa die Schulbegleiterin "Tür-und-Angel-Gespräche" von Pflegemutter und Pflegekind belauscht, dokumentiert und sie dem Jugendamt geschickt habe. Ja, sagt Sonja Beierl, die Begründungen des Jugendamtes fußen teils auf "Protokollen" der Schulbegleiterin - und "zu 90 Prozent auf Vorwürfen", die angeblich das Pflegekind selbst gegen die Pflegemutter erhoben haben soll.

Für Andrea Bekaan ist das der eigentliche Skandal an der Geschichte: Das Jugendamt berufe sich auf Aussagen eines Kindes, das in seinen frühen Jahren möglicherweise gefoltert und von Sex-Tätern manipuliert worden sei; ein Kind, das offensichtlich traumatisiert sei und daher "seine Wahrnehmung abspaltet", sagt Andrea Bekaan.
Sie habe selbst "über den Zeitraum von vier Jahren auffällige Leute vor dem Haus vorbeipatrouillieren sehen". Sie befürchte, dass es sich um "ehemalige Täter" handeln könnte, die nun erneut versuchten, Zugriff auf das missbrauchte Mädchen zu bekommen. "Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, wie das Jugendamt handelt. Es hängen so viele Personen an dem Fall. Ein Case-Manager müsste Klarheit in den Fall bringen", fordert die couragierte Nachbarin.

Zu einer rechtlich klaren Situation jedenfalls hat die Behörde bislang wenig beigetragen. Am 27. Mai bekam Sonja Beierl noch zu hören, dass die "Herausnahme" mit dem Paragraf 8a des Kinderschutzgesetzes begründet sei. Später sprach das Amt nicht mehr von einer "Inobhutnahme"; sondern davon, dass S. "in Absprache mit der leiblichen Mutter" aus der Pflegefamilie genommen wurde.
Der Erlanger Rechtsanwalt Michael Baczko, der die Pflegemutter und das Recht des Kindes vertritt, hält das Vorgehen des Jugendamtes für unhaltbar: "Anfangs wurden nur allgemeine Vorwürfe erhoben. Wenn es aber um eine gegenwärtige, sofortige Gefahr des Kindeswohls geht, reicht das nicht." In solchen Fällen, sagt der Fachanwalt für Sozialrecht, "schreibt das Gesetz eine Anhörung vor". Stattdessen seien die Verantwortlichen des Jugendamtes ohne Vorankündigung aufgetaucht. "Sie haben wahrheitswidrig behauptet, der Vertrag sei aufgelöst", kritisiert der Anwalt.
"Mittlerweile wird eingeräumt, dass eine Anhörung unterblieben ist", resümiert Michael Baczko: "Das halte ich der Behörde vor: Die Art und Weise entspricht nicht den rechtsstaatlichen Grundsätzen."

Warten auf das Gutachten

Was daraus folgt, das wird nun der Richter beurteilen. Eine außergerichtliche Einigung sei gescheitert, bedauerte Sonja Beierl am Dienstag. "Jetzt muss ein Gutachten erstellt werden, so was kann ein ganzes Jahr dauern."
Mit Hilfe des Gutachtens muss der Richter dann entscheiden, ob das Jugendamt korrekt gehandelt hat, oder ob S. in ihre Pflegefamilie zurück darf. "Das Urteil des Richters muss aber auch für mich eine Rehabilitation sein", betont Sonja Beierl. "Es muss klar gestellt werden, dass es keine Kindeswohlgefährdung war."