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Nächte so lang, wie ein ganzes Leben


Autor: Petra Malbrich

Gräfenberg, Samstag, 11. Mai 2013

Wenn Brigitte Iberl eine Sirene hört, zuckt sie noch heute zusammen. Dann fühlt sich die Gräfenbergerin für einen Moment zurückversetzt in den Februar 1945, als britische und US-amerikanische Flieger Dresden bombardierten. In den Kellern zitterte damals auch Brigitte Iberl.
Brigitte Iberl kommt auch heute nicht von ihren Erinnerungen los. Foto: Malbrich


Für Menschen, die den Krieg erlebt haben, ist er wohl nie so ganz zu Ende. Die Erinnerungen mögen verblassen, vollständig verschwinden tun sie nicht. Auch heute nicht, 68 Jahre, nachdem am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg offiziell zu Ende gegangen ist. "Jetzt geht es langsam, wenn ich eine Sirene höre", sagte Brigitte Iberl aus Gräfenberg. Als Kind hat die 79-Jährige den alliierten Bombenangriff auf Dresden erlebt.
Mit dem heulenden Pfeifton der Sirenen, der vor den Bombenangriffen der Alliierten warnte, fing damals alles an. Schon zuvor waren deutsche Städte von Bombenteppichen überzogen worden. "Kinderverschickung" lautete deshalb oft die Parole. "Mit zehn Jahren kamen wir zur Kinderverschickung nach Herrnhut, etwa 90 Kilometer südöstlich von Dresden.

Dort gingen wir auch zur Kirche und sie sagten uns: Bete, wenn es dir nicht gut geht."

Züge waren voller Flüchtlinge

Dass sie dies bald unablässig tun würde, ahnte sie damals noch nicht. An Weihnachten durften sie nach Hause, kurz danach ging es wieder zurück. Doch am 12. Februar 1945 holte die Mutter ihre Kinder ab, denn die Rote Armee marschierte mit ihren Panzern bereits in Görlitz ein und der Flüchtlingstreck zog durch Dresden. "Die Züge waren voll mit Flüchtlingen. Alte Menschen, Kinder, Frauen - alle standen am Hauptbahnhof oder saßen bereits in den Zügen, um irgendwie weiter zu kommen", erinnert sich Brigitte Iberl.
Ihre Familie wohnte in Neustadt an der Elbe. Das war ein neuer Stadtteil Dresdens, der mit einer Brücke mit der Altstadt verbunden war. Die Mutter, die eine gebürtige Schlesierin war, hatte einen aus Dresden stammenden Mann geheiratet. Sie fand eine Anstellung im Haushalt des Grafen von Schwerin. "Wir lebten in der Chauffeurwohnung der alten Villa", erklärt Brigitte Iberl.

In der Nacht des 13. Februar heulten dann die Sirenen auf. "Wir standen auf und rannten aus dem Haus, durch den halben Park in den alten Keller. Der Hausmeister war der Luftschutzwart. Auch Kölner, Hamburger und Berliner waren in dem Keller. Sie hatten die Bombenangriffe auf ihre Städte schon miterlebt und mahnten uns: Hinlegen, sonst zerreißt es dir die Lunge. Dann kamen die Bomben. Unablässig bumm, bumm, bumm. Der Boden, die Wände, alles hat gewackelt und gezittert wie bei einem Erdbeben. Wir saßen nicht im Keller. Wir lagen und schickten unablässig Stoßgebete in den Himmel" erinnert sich Brigitte Iberl.
Stille Stoßgebete. Nach der Entwarnung gingen der Luftschutzwart und einige Erwachsene, auch Brigitte Iberls Mutter, nach oben in die Zimmer und durchsuchten vor allem den Dachboden nach nicht explodierten Brandbomben. "Als wir dann in dunkler Nacht nach draußen kamen, war es taghell. Alles brannte lichterloh. Auch die alte Holzfabrik brannte. Und ringsherum war alles eingefallen, lag in Schutt und Asche", erzählt Iberl.
Es war ja bitterkalt. Und schon bald kamen die nächsten Angriffe. Die ersten beiden Bombenangriffe flogen die Briten. Beim dritten Mal waren es die Amerikaner.

Jetzt heulten nicht einmal mehr die Sirenen. Sie waren kaputt. "Es war so schlimm. Alle unsere Bekannten aus der Altstadt waren tot. Entweder erstickt oder verbrannt. Die Stadt war derart zerstört, dass man nur noch ahnen konnte, wo jemand gewohnt hatte. Jeder rannte panisch davon. Vor der Hitze, vor dem Rauch. Auf dem Altmarkt stand ein großes Wasserbecken, als Löschteich angelegt, in das die Leute sprangen. Und doch verbrannten.
Jeder rannte an die Elbe und ans Wasser. Sie flohen vor der Hitze. Auch die Tiere aus dem Zoo und des Zirkus Sarrasani flohen. "Die Löwen, Esel und Zebras rannten zusammen mit den Menschen an die Elbe. Auch sie hatten Angst", erzählt die Brigitte Iberl. Sie hat das einmal von einem Zoowärter erzählt bekommen. Ihn hatten sie in einem Auffanglager in Radebeul getroffen.

Endlose Stunden im Keller

Tödliche Angriffe aus der Luft, das alles hat sie später noch einmal erlebt, in Pforzheim. "Acht Tage mit den Zügen kreuz und quer durch Deutschland vor den Bombenangriffen geflohen. In Augsburg war wieder ein Angriff, so fuhr der Zug nach München. Man konnte nirgends halten. In Pforzheim stiegen wir aus. Doch auch da kamen die Tiefflieger, die Franzosen, und schossen auf die Menschen. Auch auf die, die noch im Zug saßen. Wir warteten im Keller unter dem Bahnhof, bis es vorbei war", erinnert sich Iberl.
Erst am 14. November, ein halbes Jahr nach Kriegsende saßen wir in einem kleinen Auto, um in eine kleine Stadt gebracht zu werden - nach Gräfenberg. Ihren Bruder, der in Dresden geblieben war, sah sie erst 1950 wieder. Da konnte er "schwarz" über die Grenze flüchten. Aber das Leben ging weiter. Irgendwie.
Viel hat Brigitte Iberl nie über ihre Kindheit erzählt, die vor allem von den Bombennächten und deren Folgen geprägt war. Bei Lärm und Sirenengeheul ist sie aber zusammengezuckt. Dann dachte Brigitte Iberl für einen kurzen Moment, die Bomben kommen wieder