Druckartikel: Mit Schutzengel überlebt - Forchheimer berichtet vom Weltkrieg

Mit Schutzengel überlebt - Forchheimer berichtet vom Weltkrieg


Autor: Andreas Oswald

Forchheim, Sonntag, 12. Oktober 2014

Vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Der 21-jährige Josef Heim aus Mittelehrenbach war der erste Gefallene unserer Region. Herbert Burkholz aus Forchheim überlebte das Inferno. Der erschütternde Bericht eines Zeitzeugen.
Herbert Burkholz blickt mit 89 Jahren auf ein bewegtes Leben. Fotos: Andreas Oswald


Im Neuen Theater in Forchheim läuft "Nanon". In der Kinowerbung propagiert als Ufa-Großfilm "der Liebe und der Lieder, der Schönheit und des Glanzes". Im Beiprogramm: "Der Westwall". In Gößweinstein ist gerade die Adolf-Hitler-Straße mit einer Teerdecke überzogen worden, um die Staubplage zu beseitigen.

Man schreibt das Jahr 1939 - es ist Freitag, der 1. September. "Schwarze Gewitterwolken zogen sich zusammen, unter denen dann mit Donnergrollen, nach sommerlich heißen Wochen, ergiebige Niederschläge kamen", meldet die "Bayerische Ostmark", die NS-Zeitung des Kreises Fränkische Schweiz. Auch der politische Himmel hatte sich verdunkelt an jenem Freitag, an dem die deutschen Kanonen zu donnern begannen. Schon acht Tage später war der erste Landkreisbürger "auf dem Felde der Ehre" gefallen - mit 21 Jahren. Dokumente derer, die nie mehr heim kamen, und persönliche Erinnerungen von Menschen aus Forchheim und der Umgebung, die den Zweiten Weltkrieges überlebten, zeichnen ein Bild jenes Infernos, das das Leben so vieler Familien jäh durchtrennte.

Einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen ist der 89-jährige Herbert Burkholz aus Forchheim. Als 14-Jähriger erlebte er den Kriegsbeginn in Nürnberg, wo er gerade seine Ausbildung als Postjungbote begonnen hatte. "Ich wohnte damals bei meiner Cousine. Es war ein sonniger Tag in Nürnberg, als wir beim Spaziergang hörten, dass der Krieg ausgebrochen sei", erinnert sich Burkholz . Erschrocken sei er dabei nicht, gesteht er. In der von den Nazis geschürten Euphorie habe er sich leichtfertig gedacht: "Was soll's - Deutschland kann doch nichts passieren". Der Mann seiner Cousine allerdings habe schon dunkle Vorahnungen gehabt. "Der hat noch vom Ersten Weltkrieg gewusst, was das heißt", betont Burkholz. "Gedanken darüber gemacht, was Krieg bedeutet, habe ich mir erst, als die vielen Traueranzeigen in den Zeitungen erschienen - gefallen für Führer, Volk und Vaterland".


Der erste Tote

Der Krieg hatte erst wenige Tage gedauert, da tauchte auch schon die erste Gefallenen-Anzeige im Landkreis Forchheim auf: "Josef Heim, Infanterist, Abiturient am Alten Gymnasium Bamberg, ist im Alter von 21 Jahren am 8. September 1939 bei Niesolkow auf dem Felde der Ehre gefallen". Josef Heim stammt aus Mittelehrenbach und ist der erste Kriegstote aus der Region - viele sollten ihm noch folgen.

Sein Bruder, Franz Heim - der mittlerweile verstorbene ehemalige Bürgermeister von Leutenbach - konnte 1989, zum 50. Jahrestag des Kriegsausbruchs, unserer Zeitung noch berichten, was damals geschehen war. Er wusste es von den Schilderungen eines Gößweinsteiner Schulkameraden seines Bruders, der in der gleichen Einheit kämpfte: Es war Josefs erster Einsatz. An jenem Freitag, den 8. September - gerade eine Woche nach Kriegsausbruch - bekommt seine Einheit gegen 16 Uhr Feindberührung. Der Kampf ist nur kurz. Als der Gößweinsteiner Soldat hinterher über das Gefechtsfeld geht, entdeckt er unweit eines zerschossenen polnischen Panzers einen Gefallenen bei einem Baum liegen: es ist sein Schulfreund Josef. "Er muss sofort tot gewesen sein - ein Kopfschuss hatte ihn getroffen", heißt es in Franz Heims damaligen Erinnerungen.

Die Briefe, die in Josefs offener Brusttasche steckten, sind den Hinterbliebenen noch zugesandt worden. Sie waren laut Franz Heims Schilderungen "blutgetränkt".

In jenen Zeiten sortierte der Postjungbote Herbert Burkholz in Nürnberg bergeweise Feldpost. "Wir haben Tag und Nacht gearbeitet", erzählt er. Auch den "Stürmer", das Nazi-Hetzblatt des berüchtigten Juden-Hassers Julius Streicher, musste der junge Postangestellte verpacken. "Das hat einen natürlich beeinflußt", gibt er unverblümt zu. Als er damals aber zum ersten Mal Juden mit einem Stern am Mantel gesehen habe, "habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, was das alles bedeuten soll", betont Burkholz.


Die Feuertaufe war ein Schock

Seine vormilitärische Ausbildung begann im Januar 1943, als der damals 18-Jährige zum Reichsarbeitsdienst ins Edelwechter Moor bei Oldenburg eingezogen wurde. Torf stechen stand an , und Exerzieren - zunächst noch mit dem Spaten. Doch der wurde mit dem Gewehr vertauscht, als am 28. April 1943 daheim in Kunreuth der Einberufungsbefehl zum Grenadier-Ersatzbataillon Würzburg ins Haus flatterte. Doch weil das Marschieren nicht seine Sache war, meldete sich Burkholz als Freiwilliger zur Sturmartillerie nach Neisse in Oberschlesien.
"Unseren ersten Einsatz hatten wir in den Karpaten", erinnert sich der jetzt 89-Jährige und gesteht: "Es war ein Schock für mich, als unsere Einheit nach kurzem Gefecht mit den Russen sämtliche Geschütze verlor und dabei auch etliche Kameraden getötet wurden".

Dass der Krieg endgültig eine Wende nahm bemerkte Burkholz 1944 als er im Artillerieregiment 67 in Lettland an der Front lag: "Die Russen haben uns Tag und Nacht beschossen".

Mit einem Oberschenkel-Steckschuß wurde der junge Soldat am 2. Dezember 1944 in der Gegend von Frauenburg (Lettland) verwundet. "Ich hatte einen Schutzengel dabei", sagt Burkholz heute: "Sonst wäre ich unter den 21977 deutschen Soldaten, die dort beerdigt sind". Nur halb narkotisiert wurde er auf dem Hauptverbandsplatz operiert. "Lasst mich leben" habe er geschrien - war er doch der einzige Sohn, den seine Eltern hatten.

Die Verwundeten, die nicht mehr einsatzfähig waren, bekamen ein Schild mit einem "H" um den Hals - die anderen mussten wieder an die Front. "Ich bekam ein 'H' und wurde mit einem Lazarettschiff nach Danzig verfrachtet", erzählt Burkholz. Von dort ging's im Zug in ein Lazarett nach Schwetz an der Weichsel.


Lebensrettende Schuhgröße

Die Wunden waren noch nicht richtig verheilt, da standen die Russen vor der Tür - und alles was laufen konnte, musste wieder an die Front. Nur der Tatsache, dass er "auf großem Fuße" lebte, ersparte dem 19-Jährigen dieses Schicksal. "Ich sollte mir Stiefel suchen - aber in meiner Größe 47/48 (!) war nichts zu finden", erzählt Burkholz. "Ohne Stiefel kannst Du nicht an die Front", befand sein Vorgesetzter. So haben ihm seine großen Füße das Leben gerettet!