Martin in die Mangel genommen
Autor: Ekkehard Roepert
Forchheim, Mittwoch, 28. Juni 2017
Manfred Otzelberger hat die Biografie "Martin Schulz. Der Kandidat" geschrieben.
Forchheim Das Private ist politisch - diesem Leitgedanken ist der Schulz-Biograf Manfred Otzelberger gefolgt. Am Dienstag besuchte er seine Heimatstadt Forchheim, um sein Buch über den SPD-Bundeskanzlerkandidaten Martin Schulz zu präsentieren.
Wobei Otzelberger das Publikum in der Stadtbücherei vor allem dadurch für sich gewann, dass er auf eine klassische Lesung verzichtete. Sondern das Gespräche suchte. Dafür fand er in Forchheim ideale Bedingungen. Im Publikum saß beispielsweise Reinhold Otzelberger (SPD-Stadtrat und Bruder des Autors), der das Schulz-Bild mit kritischen Bemerkungen über die Wirtschaftskompetenz des Kanzlerkandidaten anreicherte. Und beispielsweise verdeutlichte, dass Schulz durch seine Nähe zu Jean Claude Junker und durch seine lasche steuerpolitische Einstellung gegenüber den Großkonzernen ein "Glaubwürdigkeitsproblem " habe.
Seinen eigentlichen Dialog-Partner fand der Schulz-Biograf an diesem Abend aber in Oberbürgermeister Uwe Kirschstein (SPD). Zum Einstieg trug Manfred Otzelberger zehn Argumente vor, warum Schulz Kanzler werden kann - und zehn Argumente, warum er es nicht werden kann. Etwa könne er es, weil er ein brillanter Redner sei, der lieber die Nähe kleiner Leute als die roten Teppiche aufsucht und mit seiner Europa-Begeisterung den Nerv der Zeit trifft. Gegen ihn spreche eine fehlerhaft agierende SPD; aber auch, dass Schulz wichtige Themen liegen lasse, keine "goldene Idee" präsentiere und die Kanzlerin zu lange mit Samthandschuhen angefasst habe.
Dann wollte Otzelberger von dem "Gewinnertyp Kirschstein" wissen, wie er die Auftritte und Chancen des Kandidaten Schulz im Wahl-Rennen sieht. Kirschstein zeigte sich beeindruckt von der Offenheit, mit der Schulz die Brüche in seiner Biografie (vor allem seine einstige Alkoholsucht) öffentlich thematisiert. "Ich glaube, es ist kein Kalkül und seine Offenheit wird ihm nutzen."
Manfred Otzelberger versuchte auch, den Schulz-Stoff mit den Erfahrungen des Forchheimer SPD-Oberbürgermeisters zu kontrastieren und zu vergleichen. Eine Parallele sah er beim Thema "Präsenz": Schulz sei zwar permanent unterwegs, habe aber bewusst auf wirksamen Ämter verzichtet. Gerade weil er die Nähe der kleinen Leute suche, seien ihm wenige medienwirksamen Auftritte beschieden.
Gespräche am Gartenzaun
"Ich verstehe Martin Schulz hundertprozentig", sagte Uwe Kirschstein: "Die Gespräche am Gartenzaun sind zwar unsexy, aber sie sind wichtig". Er habe selbst die Erfahrung machen müssen, dass nach 1615 Terminen in drei Monaten der Vorwurf im öffentlichen Raum stand, nicht genug agiert zu haben.Manfred Otzelberger, Politik- und Wirtschaftsredakteur bei der Zeitschrift "Bunte", zeichnete an diesem Abend nicht nur das bewegende Bild eines leidenschaftlichen "Phönix-Typs", der aus der Asche der Alkoholsucht zum glänzenden Europa-Politiker und Kanzlerkandidat aufstieg. Otzelberger gab auch Einblicke in seine Recherche-Arbeit; schilderte die Kontakte zu Schulz-Schwester Doris, der Patronin der Familie; oder einige Anekdoten über Schulz-Ehefrau Inge, einer Landschaftsarchitektin, die sich aus der Politik ihres Mannes raushält. Und deren "grüner Daumen" so stark ausgeprägt ist, dass sie schon mal Schnittblumen als Geschenk ablehnt, weil sie Blumen mit Wurzeln bevorzugt.
Beeindruckend auch die Einblicke in die Produktionsbedingungen eines Biografen: Noch lange vor dem Schulz-Hype hatte sich Manfred Otzelberger mit dem "Mister zweite Chance" beschäftigt und auf ihn als Kanzlerkandidaten (eine Flasche Champagner) gewettet. Als dann der Hype einsetzte und Otzelberger beim Herder-Verlag anfragte, ob Interesse an einer Biografie bestehe, musste es schnell gehen: Drei Wochen gab ihm der Verlag. Trotz 20 Interviews, die der Autor noch führte, gelang es ihm, am 5. April rechtzeitig zu liefer.
Schon sechs Wochen nach Erscheinen von "Martin Schulz. Der Kandidat" waren drei weitere Schulz-Biografien auf dem Markt. Zudem habe ihm der Kandidat mit einem eigenen Buch Konkurrenz gemacht, scherzt Otzelberger.
Und hat Schulz auf die Biografie des Forchheimer Autors reagiert? Manfred Otzelberger weiß nicht, ob er sie gelesen hat, aber: "Ich habe den Eindruck, er freut sich, wenn er mich sieht."