Kreis Forchheim: Als Nazi-Trupps Hetzjagden veranstalteten
Autor: Manfred Franze
LKR Forchheim, Donnerstag, 07. November 2019
Am 9. November 1938 kam es auch in Forchheim und der Region zu "spontanen" Ausschreitungen, Brandstiftungen und Misshandlungen der jüdischen Bevölkerung.
Am 7. November 1938 verübte der 17-jährige Herschel Grynszpan aus Protest gegen die Abschiebung seiner Eltern aus Deutschland in Paris ein Attentat auf den Legationssekretär Ernst vom Rath. Als vom Rath zwei Tage später an seiner Schussverletzung starb, gedachten in München die Nazis gerade ihres 1923 gescheiterten Putschversuchs. In einer Hetzrede forderte nun Joseph Goebbels nach Absprache mit Hitler die anwesenden Gauleiter auf, in ihren Bezirken dem "Volkszorn" gegen die Juden in "spontanen" Aktionen freien Lauf zu lassen. Fritz Wächtler, der Gauleiter der Bayerischen Ostmark, ordnete daraufhin gegen 22.30 Uhr per Telefon in Bayreuth an, mit Hilfe der SA noch in der Nacht eine Kundgebung vor der Synagoge zu organisieren und weitere Kreisleiter zu verständigen.
Die Organisation der Hetzjagd
In Bayreuth nahm der Gauamtsleiter Heinrich Horlbeck den Anruf entgegen und gab Wächtlers Anweisung an den Bayreuther NSDAP-Kreisleiter Heinrich Hager weiter. Hager verständigte dann die NSDAP-Kreisleiter in der Bayerischen Ostmark. Die "spontanen" Ausschreitungen, Brandstiftungen und Misshandlungen in Oberfranken gingen wie in Bayreuth von der Gauleitung aus.
Bis über Mitternacht hinaus liefen die Telefonanrufe in die Provinz hinaus. In Forchheim ging der Anruf kurz vor Mitternacht bei Kreisleiter Carl Ittameier ein, der - wie es im Urteil des Landgerichts Bamberg vom 6. Mai 1949 heißt - "nach der üblichen Parteikundgebung (...) mit einem Teil der Parteiführer und dem Oberarbeitsführer Dietmansperger samt seinem engeren Stab" im Hotel National tagte.
Das Pogrom in Forchheim
Nach dem Landgerichtsurteil wurde vom Hotel National aus "die Polizeiwache im Rathaus angerufen und ihr die Weisung gegeben, die politischen Leiter zu wecken und davon zu verständigen, dass sie sich ins Hotel National begeben sollten. Von hier aus zog dann die Gruppe unter der Devise ,Kreisleiter befiehl! Wir folgen Dir!' in die bis dahin ruhige Stadt".
Der Zug schwoll durch noch in der Stadt zechende Parteigenossen und neugierig gewordene "Zivilpersonen" an. In der Hauptstraße wurden das Kaufhaus Wertheim und die beiden Geschäfte Gröschel gestürmt, geplündert und zerstört. Nach den Feststellungen des Gerichts zog der "Hauptzug" von da weiter in die Vogel-, die Kloster-, die Eisenbahnstraße und anschließend in die Zweibrückenstraße und zum Paradeplatz.
Wörtlich heißt es im Urteil: "Mehrfach wurden die gleichen Wohnungen von verschiedenen Trupps nacheinander aufgesucht. Durch den Lärm und die Zerstörungen (...) wurde ein großer Teil der Bevölkerung wach und strömte auf die Straße, die nach den Schilderungen von Angeklagten und Zeugen belebter als am Tage wirkte. Von den Teilnehmern des Hauptzuges, der einzelnen Abspaltungen und Einzeltrupps sowie der sich an allen Brennpunkten, wo es zu Zerstörungen kam, rasch sammelnden und teilweise mit weiterziehenden Menge wurden die Türen, Schaufenster und Fenster der jüdischen Geschäfte und Wohnungen teilweise durch Rammen mit mitgeführten Leitern oder mit Holzprügeln eingeschlagen, die Inneneinrichtungen zertrümmert, die aus dem Schlaf herausgerissenen Juden misshandelt und trotz der kalten Nacht in notdürftigstem Kleidungszustand auf die Polizeiwache geschleppt."
Nach Feststellung des Landgerichts wurden in dieser Nacht "alle jüdischen Einwohner" einschließlich "Frauen und Kinder" verhaftet sowie "Geld, Schmuckwaren und Ladenbestände" gestohlen. "Kriminelle Elemente nützten die Situation aus und durchzogen die Stadt mit Handwagen, die mit Beutegut angefüllt waren. Die Polizei sah diesem Tun tatenlos zu." Einer von ihr "beteiligte sich sogar als einer der Haupträdelsführer persönlich an den Ausschreitungen".