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Kinderlandverschickung: "Fünf Lager" in Gößweinstein


Autor: Reinhard Löwisch

Gößweinstein, Donnerstag, 05. Sept. 2019

Die Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg erwies sich später als eine Säule des Fremdenverkehrs in der Fränkischen Schweiz.
Eine Kinderland-Jugendgruppe in Gößweinstein Foto: Rolf Arnold


Die Kinderlandverschickung ist deshalb für die Region touristisch sehr bedeutend, weil damit eine wichtige Säule des Nachkriegstourismus geschaffen wurde. Zu den bevorzugten Aufnahmegebieten der Kinder gehörte die Bayerische Ostmark, zu der auch die Fränkische Schweiz zählte.

Als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg den deutschen Luftraum erobert hatten, fielen massenhaft Bomben lautstark auf die deutschen Großstädte. Die Bombardierung Nürnbergs zum Beispiel konnte auch in der Fränkischen Schweiz gehört werden, wie Zeitzeugen versichern.

Ganze Schulklassen

Eine Folge davon war, dass man ganze Schulklassen in solche Gegenden verschickte, in denen mutmaßlich keine Bomben fallen würden. Die Fränkische Schweiz gehörte dazu. Nach Einschätzung von Rolf Arnold, der als Kind selber jahrelang in Gößweinstein untergebracht war, verfolgten die Nazis einen weiteren Zweck: Sie wollten die Kinder den Eltern entziehen und politisch beeinflussen, weshalb es auch immer junge Lagerführer der Hitler-Jugend (HJ) oder vom Bund deutscher Mädel (BDM) gab. Beruhte die Kinderverschickung anfangs auf Freiwilligkeit, wurde daraus eine Pflicht, als ab 1943 der Schulbetrieb in den Großstädten eingestellt wurde.

Laut Klaus Hückel - er hat seine Kinderland-Erlebnisse in einem Buch verarbeitet, das er im Internet zum Download anbietet - gab es allein "fünf Lager in Gößweinstein": Das Hotel "Stern", Hotel "Waldesruh", Hotel "Faust" (ehemaliges Kurhaus), den "Scheffelgasthof" und das Kloster, aus dem man die Mönche vertrieben hat. In der ganzen Region sind die Hotels und Gasthöfe mit Kindern aus Hamburg und dem Stuttgarter Raum besetzt worden.

Im Landkreis Ebermannstadt

Der Landkreis Ebermannstadt hatte 1939 rund 21 846 Einwohner, 1946 waren es 33 000 Einwohner. Über 11 000 Flüchtlinge und viele Schulkinder waren zwangsläufig zugezogen und mussten untergebracht und versorgt werden. Die meisten Kinder lebten ein bis zwei Jahre hier und bauten auch Freundschaften auf, die teilweise ein Leben lang hielten.

Im September 1943 berichtete der damalige Landrat von Ebermannstadt: "Im Kurhaus zu Muggendorf wurde Anfang August ein Kinderlandverschickungslager mit 80 Kindern aus dem Warthegau (in Polen) eingerichtet. Damit ist das letzte noch größere Fremdenverkehrsunternehmen im Kreisgebiet seinem Zweck entfremdet."

Rolf Arnold, der seine Kinderland-Erinnerungen ebenfalls im Internet zur Verfügung stellt, erinnert sich: "Endlich konnte ich nach einigen Wochen (vom Kloster Gößweinstein) zu meinen Klassenkameraden in den Gasthof ,Stern' ziehen. Ich kam in das Zimmer 15 mit vier Betten. Hier gab es keine schmalen Hochbetten wie im Kloster, sondern jeder hatte ein normales Bett. Die Zimmerinsassen mussten ihren Zimmern jeweils den Namen eines deutschen Generals geben und ein Bild von diesem außen auf die Zimmertür kleben. Wir hatten viel Zeit, uns in dieser märchenhaften Landschaft aufzuhalten. Denn es gab oft nach dem Mittagessen bis zum Abendessen um 19 Uhr Freizeit unter Hausverbot. Wir mussten uns sechs Stunden lang draußen in der Natur aufhalten. Die Wirtsleute und ihr Personal sowie der Lehrer und seine Frau wollten offenbar einen ruhigen Mittagsschlaf halten können und einige Stunden von der lärmenden Schülerbande ungestört bleiben. Ich erinnere mich an kalte Wintertage - und der Winter 1943/44 war ein ausgesprochen kalter Winter - an denen wir schon um 18.30 Uhr in der Kälte alle wartend vor der verschlossenen Haustür standen, frierend von einem Bein auf das andere tretend und die Arme um die Brust schlagend, um warm zu werden."

Ab den 60er-Jahren, bedingt durch Wirtschaftswunder und VW-Käfer, kamen die damaligen Kinder dann als Erwachsene wieder in die Fränkische Schweiz und zeigten wiederum ihren Kindern, wo sie eine Zeitlang während des Krieges gelebt hatten.

Die Kinderlandverschickung begründete - zusammen mit dem Berliner "Interzonentourismus" und den Niederländern mit ihren Wohnwagen - den Nachkriegstourismus in der Fränkischen Schweiz.