Kalter Putsch im Forchheimer Stadtrat
Autor: Manfred Franze
Forchheim, Mittwoch, 16. Oktober 2013
Binnen weniger Wochen gelingt es den Nationalsozialisten 1933, den Stadtrat von politischen Gegnern zu säubern und ausschließlich mit Parteigängern zu besetzen. Bürgermeister Strecker tritt selbst in die NSDAP ein.
Anders als in Ebermannstadt verlief die Gleichschaltung des Stadtrats in Forchheim. Hier setzte noch vor Erlass des sogenannten Gleichschaltungsgesetzes der einzige NSDAP-Stadtrat und Ortsgruppenleiter Hans Hofmann für den 20. März 1933 eine "außerordentliche geheime Stadtratssitzung" durch.
Unbeanstandet von Bürgermeister Karl Heinrich Strecker besetzten mehrere Nationalsozialisten als "Stadtratsfraktion" die rechte Seite des Sitzungssaals und verdrängten die Räte der Bayerischen Volkspartei (BVP) von ihrem Stammplatz nach ganz links außen.
Hier war einiger Platz, weil Hans Hofmann die drei SPD Stadträte Georg Schacher, Karl Ziegler und Fritz Ruckdeschel schon am 11.
März in Schutzhaft genommen hatte.
Bürgermeister Strecker hatte - wie er in seinen Erinnerungen schreibt - im Vorfeld mit den Vertretern von BVP, Bürger- und Gewerbeverein sowie der SPD "vereinbart, dass Bürgermeister Burkhard aus seinem Amt als 2. ehrenamtlicher Bürgermeister verzichten solle, um diese Stelle für einen Nationalsozialisten frei zu machen".
Hofmann wird Stellvertreter
In der Sitzung selbst erklärten die BVP-Stadträte Heinrich Schlötzer und Josef Panzer ihren Rücktritt. Sie stimmten aber im weiteren Verlauf noch mit ab. Danach begrüßte Strecker laut Protokoll "den inzwischen an Stelle des ausgeschiedenen Stadtratsmitgliedes Schlötzer einberufenen Landwirtschaftsrat Weigand" von der NSDA. Dieser nahm von da an ebenso an allen Abstimmungen teil.
Nach dem Rücktritt von Bäckermeister Wilhelm Burkard wurde im Gegenzug Hans Hofmann mit sechs von 13 Stimmen zum ehrenamtlichen Zweiten Bürgermeister gewählt.
Seine Stimmen kamen von ihm selbst, von seinem frisch in den Stadtrat aufgenommenen Kollegen Weigand sowie den vier Stadträten des Bürger- und Gewerbevereins. Die sieben BVP-Räte hatten leere Zettel und damit ungültige Stimmen abgegeben.
Stadtrat wird gleichgeschaltet
Elf Tage später musste auf der Grundlage des Gleichschaltungsgesetzes der Stadtrat nach dem örtlichen Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März 1933 ungebildet werden. Damit verlor der Bürger- und Gewerbeverein als nur örtliche Wählervereinigung seine Stadtratsmandate.
Im Gegensatz zu Ebermannstadt übernahm nicht der Erste Bürgermeister, sondern Hans Hofmann den Vorsitz im Wahlausschuss, in den er drei weitere Nationalsozialisten sowie je ein Mitglied der BVP und der SPD berief.
Der Wahlausschuss strich ohne Begründung zwei Kandidaten, die die BVP auf ihrem Wahlvorschlag benannt hatte, und rechnete der NSDAP die in der Reichstagswahl für drei andere Rechtsparteien abgegebenen Stimmen sowie zur Überraschung aller auch "Zweidrittel der sozialdemokratischen Stimmen" zu.
Mit dieser Manipulation erhielt die NSDAP acht Sitze, die BVP sechs und die SPD einen Sitz. Möglich war das nur dadurch geworden, dass Hofmann ein ehemaliges SPD-Mitglied, das in die Nationalsozialistische Betriebszellorganisation (NSBO) übergetreten war, zum "Bevollmächtigen" des SPD-Wahlvorschlags machte. Dagegen konnte sich die SPD nicht wehren, weil fünf ihrer führenden Köpfe in Schutzhaft saßen.
Arbeiter im Visier
Hofmann hatte sich dafür Max Netter ausgesucht, der wie er selbst Sattler war.
Ihn berief er in den Wahlausschuss, sicherte ihm ein Stadtratsmandat zu und gab ihm die Zusage, ihn später zum Dritten Bürgermeister zu machen. "Durch diese Massnahme", so Hofmann in einem Brief an den bayerischen Innenminister Wagner (1890-1944), "können wir die SPD vollkommen erledigen und die gesamte Arbeiterschaft für uns gewinnen." Tatsächlich erhielt Netter den von Hofmann zugesagten Stadtratsitz aufgrund der bei der SPD verbliebenen Reststimmen.
Im Rückblick urteilte Bürgermeister Strecker, dass "diese Massnahme [...] keineswegs den Gesetzen entsprach und nur mit dem Umbruch begründet werden konnte".
Gegen die von Hofmann durchgesetzte Umbesetzung des Stadtrats erhob der BVP-Vorsitzende Fritz Kaiser noch am 24. April bei der Regierung von Mittel- und Oberfranken Einspruch. Ähnlich wie im Falle Ebermannstadts entschied die staatliche Verwaltung in dieser Phase noch nach Recht und Gesetz.
Rücksprache beim Innenminister
Die Regierung teilte dem Stadtrat Forchheim postwendend mit, dass das "festgestellte Ergebnis" zu berichtigen und die "Wahl etwaiger weiterer Bürgermeister einstweilen" auszusetzen sei.
Deswegen konnte die bereits öffentlich angekündigte Neuverpflichtung der Stadträte nicht wie vorgesehen am 28. April, sondern erst am 20. Juni 1933 stattfinden. Hofmann setzte alle Hebel in Bewegung, um sich durchzusetzen.
Er bewegte Fritz Kaiser zur Rücknahme seiner Beschwerde, nahm Rücksprache beim bayerischen Innenminister Wagner und erreichte seine höchstpersönliche Zustimmung. "Soweit Zweifel bestehen", so der Innenminister, "ob Max Netter als Vertrauensmann des sozialdemokratischen Wahlvorschlags [...] zur Abgabe der Erklärung vom 3. Mai 1933 befugt war, wird eine etwaige Abweichung hiemit [...] genehmigt."
Dieser Entscheidung musste sich die Regierung von Mittel- und Oberfranken beugen. Sie verlangte aber, dass die Verrechnung der SPD-Stimmen zugunsten der NSDAP komplett zu erfolgen und die von den anderen Parteien übernommenen Wählerstimmen zu unterbleiben habe.
Damit fiel der NSDAP ein weiterer Stadtratssitz zu und Max Netter ging leer aus. Um ihn dennoch ins Amt zu bringen, ließ sich Hofmann von Innenminister Adolf Wagner genehmigen, ihn zum Dritten Bürgermeister wählen zu lassen.
Feierliche Eröffnung
Am 20. Juni fand im mit "zwei riesigen Hakenkreuzfahnen" und dem "Bild des Reichskanzlers Adolf Hitler" geschmückten Rathaussaal die feierliche Eröffnungssitzung des neuen Stadtrats statt.
Begrüßt von "stürmischen Heil Hitler-Rufen" erschien der neue Stadtrat, angeführt vom Ersten Bürgermeister Strecker und seinem Stellvertreter Hofmann, mit den neun Stadtratsmitgliedern der NSDAP in Parteiuniform und den sechs BVP-Stadträten. "Unter stürmischen Heil-Rufen" wurde der Eintritt Streckers in die NSDAP bekannt gegeben.
Anschließend wurden Hans Hofmann zum Zweiten Bürgermeister und Max Netter zum Dritten Bürgermeister gewählt. Beide Male stimmte die Stadtratsfraktion der BVP geschlossen zu.
Ihr Vorsitzender Josef Slosorz erklärte sich zu "einer ersprießlichen Zusammenarbeit" bereit, nachdem "die erforderlichen Aussprachen mit der NSDAP in den letzten Tagen zu einem raschen und [...] beide Teile befriedigenden Ergebnis geführt" hätten.
Warnung an politische Gegner
Zwei Tage nach der Stadtratssitzung wurde die SPD verboten, ihr Vermögen beschlagnahmt und ihre Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst entfernt.
Weitere vier Tage später kam es in einer landesweiten Aktion am 26. Juni zur Verhaftung führender Funktionäre und Mandatsträger der BVP. Wie in Ebermannstadt war damit auch in Forchheim der Stadtrat ausschließlich mit Nationalsozialisten besetzt.
Den Schlussstrich setzte das "Gesetz gegen die Neubildung von Parteien" vom 14. Juli 1933, das nur noch der NSDAP eine politische Betätigung erlaubte. "Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhalt einer anderen politischen Partei aufrechtzuerhalten oder eine neue politische Partei zu bilden", hieß es in § 2, "wird, sofern nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit einer höheren Strafe bedroht ist, mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft."