Jeder lernt in seinem Tempo
Autor: Pauline Lindner
Forchheim, Mittwoch, 14. Oktober 2015
Der Pädagogik-Professor Olaf-Axel Burow fordert Schule als "personalisierten Entwicklungsraum".
Er ist ganz in seinem Element, sagt man über einen Menschen, der mit Begeisterung und Elan in einer Sache aufgeht. Und dadurch Erfolg hat. Olaf-Axel Burow vom Lehrstuhl für allgemeine Pädagogik an der Universität Kassel verwendet diese Redensart besonders auch für Schüler. Er ordnet mit amerikanischen Forschern die menschliche Intelligenz nach neun Typen, deren Mischung bei jedem verschieden ist. Weshalb eben der eine bei dem und der andere bei jenem "in seinem Element" ist, quasi mit links den geforderten Stoff packt und bereitwillig sich mit dem Thema befasst.
Beim zehnten Bildungsforum der Sparkasse stellte Burow vor, dass dieser Erkenntnis und Erfahrung in einer Ganztagschule am ehesten Rechnung getragen werden kann. Noch dazu, da seit Pisa die "harten" Fächer gegenüber den "weichen" Fächern wie Kunst, Musik oder Sport bevorzugt werden.
Aus der unterschiedlichen Struktur der menschlichen Intelligenz leitet er ab, dass jeder nur in seinem Tempo lernen könne. Ein rhythmisch-musisch Begabter wird seine Schulerfolge eher in diesem Fächerbereich haben, ein Mensch, der wie Darwin oder Humboldt denkt, auf dem Gebiet der Naturforschung. Keineswegs werden dabei die Intelligenztypen von den Schulfächern abgedeckt, denkt man an ausgeprägte soziale Kompetenz oder an den Bewegungstypen.
Manche Schullaufbahn ist Tortur
"Die Schule belehrt auf akademisch-kognitivem Weg", ist für Burow die Einschränkung, die manche Schullaufbahn zu einer Tortur werden lässt.
Da fehlt es an dem, was der Hirnforscher Gerald Hüther so beschreibt: "Begeisterung ist Dünger für das Hirn." Burow stellte es am Beispiel seiner Tochter vor. Das "Bildungsbürgerkind" besuchte ziemlich ergebnislos die Musikschule. Das Einrad, das sie sich so sehr gewünscht hatte, stand nach Papas Meinung in der Ecke rum. Bis sie ihm eine formvollendete Pirouette vorführte. Die Siebenjährige hatte heimlich zwischen zwei Bierbänken trainiert und sich das Einradfahren komplett selber beigebracht.
Die ganze Persönlichkeit
Deshalb fordert Burow eine Schule, die der gesamten Persönlichkeit Rechnung trägt. Auch der der Lehrer. Bei Workshops hat er beobachtet, dass Lehrer in Darstellungen ihrer Arbeit immer wieder eine Uhr auftauchen lassen. Der Druck des Gongs scheint allgegenwärtig zu sein und einen dauernden Spannungszustand zu erzeugen.
Eine rhythmisierte große Zeitspanne im Tagesverlauf hält er für das richtige Mittel, diesen Stressfaktor gering zu halten. Ein Teil des Drucks könnten die Lehrer an digitale Medien abgeben. Als Beispiel nannte er die Khan-Academy, Videoanleitungen für mathematisches Grundwissen, die ein Hedgefonds-Manager für seine Nichte gedreht hat. Kinder der digitalen Generation empfänden so zu lernen als völlig normal.
Schule und Pädagogik müssten zur Kenntnis nehmen, dass in vielen Lebensbereichen ein "disruptiver Wandel" stattgefunden hat. Beispiel: 50 Jahre Schelllackplatte mit vier Minuten Musik, 30 Jahre Vinyl mit 90 Minuten, die Compactdiscs mit 99 Titeln und nun iTunes mit unbegrenzter Musikauswahl.
Die vielen anwesenden Pädagogen versuchte Burow zu ermutigen, in der vorhandenen (Schul-)situation erste Schritte zu einer angemessenen Lernumgebung zu unternehmen. Eines konnte aber jeder getrost mitnehmen: Erst dreimaliges Lob oder dreimaliger Erfolg wiegt ein negatives Urteil, ein Versagenserlebnis auf.