Ist der zweite Lockdown sinnvoll? Die Meinungen gehen auseinander. Ein Pro und Contra
Autor: Stephan Großmann, Michael Memmel
Forchheim, Donnerstag, 29. Oktober 2020
Die Regierung greift durch, ab 2. November gilt ein zweiter Lockdown in Deutschland. Wenngleich er lockerer ist als der erste im Frühjahr, diskutieren die Menschen über Sinn und Unsinn der Maßnahmen. Das schätzen zwei FT-Redakteure die Lage ein.
Ab dem 2. November gelten bundesweit neue, härtere Corona-Beschränkungen. Dieser zweite, kleinere Lockdown bringt große Einscheidungen ins öffentliche Leben mit sich - alles zum Wohle der Gesundheit. Und doch gibt es kritische Stimmen. Auch in der FT-Redaktion wird darüber diskutiert, was die Maßnahmen ab Montag wirklich bringen werden. Michael Memmel (Leiter Lokalredaktion Bamberg) und Stephan Großmann (Leiter Lokalredaktion Forchheim) stellten sich die Frage:
Ist der Lockdown sinnvoll? Ein Pro und Contra aus der FT-Redaktion
Pro von Michael Memmel: "Der Preis der Zögerlichkeit"
Unsere Freizeit wird wieder eingedampft - auf TV-Abende mit Bundesliga-Spielen vor leeren Rängen oder einsame Jogging-Runden durch die November-Kälte. Wer freut sich über so etwas? Ich bestimmt nicht! Doch die Entscheidung, das öffentliche Leben zum zweiten Mal in der Corona-Pandemie herunterzufahren - wenn auch nicht komplett -, war zum jetzigen Zeitpunkt alternativlos. Und das hat sich die Politik selbst eingebrockt. Durch Unentschlossenheit in den vergangenen Wochen.
Sehenden Auges sind Merkel, Söder und Co. in diesen Herbst gegangen, bei dem doch klar war, dass nun die Menschen drinnen wieder näher zusammenrücken und weniger frische Luft atmen, sondern auch verstärkt die Aerosole ihrer Mitbürger. Statt gleich im September bei den ersten Zeichen des Anstiegs der Infizierten-Zahlen mit scharfen, aber wirtschaftlich verkraftbaren Beschränkungen für private Kontakte und einer weitreichenden Homeoffice-Pflicht zu reagieren, wurde abgewartet und taktiert.
Selbst das Aufstellen der Corona-Ampeln war halbherzig, wie sich nun in einem Land zeigt, das in weiten Teilen in rote Farbe getaucht ist. So führte das politische Rumeiern zwangsläufig zu einer Situation, aus der uns nur noch schmerzhafte Maßnahmen retten können. Ob es die richtigen sind, lässt sich anzweifeln, erfolgreich dürften sie trotzdem sein. Denn neben dem tatsächlich durch die Maßnahmen sinkenden Infektionsrisiko ist der Symbolgehalt dieses "leichten" Lockdowns genauso wichtig: Er macht uns klar, welches Stündlein geschlagen hat.
Contra von Stephan Großmann: "Entweder ganz oder gar nicht"
Der Lockdown war abzusehen. Zwar akzeptieren die meisten Menschen Einschränkungen zum Wohle der Pandemie-Bekämpfung. Nur reicht das nicht. Das Virus honoriert weder Vernunft-Appelle noch bremst es an dunkelroten Ampeln. Also greift die Politik nun durch. Doch: Tut sie das wirklich? Ein halbherziger Lockdown, wie er am 2. November starten wird, nährt im schlechtesten Fall die jeweils negativen Konsequenzen.
Erstens wird die Schar an Solo-Selbstständigen und Gastronomen unter der erneuten Last zusammenbrechen. Da reichen auch die versprochenen Milliarden nicht, so sie denn rechtzeitig ankommen. Zweitens kann der angekündigte "Lockdown light" kein Heilsbringer in der Pandemiebekämpfung sein. Die Experten sind sich einig, Dreiviertel der Infektionswege nicht sicher nachvollziehen zu können. Die Entscheidung, welche Branchen zugeschlossen werden und welche nicht, gleicht einem billigen Abzählreim entsprungen.
Das Ziel, Schulen und Kitas längstmöglich offen zu halten, sollten wir nicht mit humanistischer Notwendigkeit verwechseln. Den Bildungsauftrag werden die Pädagogen wohl eh kaum erfüllen können. Auch der Wirtschaft ist nicht geholfen, wenn Angestellte ihre Kinder zwar weiterhin verwahren können, später aber ihre Jobs verlieren.
Wir müssen dieses Virus mit allen Mitteln bekämpfen. Wenn wir aber nicht den Mut aufbringen, 100 Prozent zu geben, also komplett dicht zu machen, bringt es nichts. Gut, die Zahlen werden bis Ende November auch so sinken. Und danach? Stehen wir der sicheren nächsten Welle noch kraft- und mutloser entgegen.