Im Ersten Weltkrieg war Max Fischer der richtige Mann zur falschen Zeit
Autor: Manfred Franze
Forchheim, Donnerstag, 26. Sept. 2013
Auch Sozialdemokraten zogen mit fliegenden Fahnen in den Ersten Weltkrieg. Ein junger Lehrer aus Kirchahorn war anders. Am politischen Wahnsinn seiner Zeit zerbrach aber auch er.
Im Ersten Weltkrieg erlahmten, wie im übrigen Deutschland, auch in Forchheim die Aktivitäten des SPD-Ortsvereins. Ein Großteil der Mitglieder war eingezogen worden. Manche sahen die Kriegsteilnahme als ihre patriotische Pflicht. Dass man darüber aber nicht in nationalistischen Siegestaumel verfallen musste, zeigt das Beispiel Max Fischers. Fischer hat 1919 für die SPD erstmals ein Landtagsmandat in der Fränkischen Schweiz erobert.
Max Fischer wurde 1886 in Bamberg geboren, als Sohn eines Kassendieners und einer Geflügelhändlerin. Er war also kein Arbeiterkind. Nach seinem Abitur begann er 1904 seine Lehrerausbildung, die ihn als Aushilfslehrer an mehrere Orte in der Fränkischen Schweiz führte.
1908 meldete sich Fischer zu einem Freiwilligen-Jahr beim 5. Infanterieregiment in Bamberg. Er brach die Einladung zu einem Offizierskurs wegen des Drills eines Ausbildungsoffiziers allerdings vorzeitig ab.
54 tote deutsche Soldaten
Bei Kriegsausbruch meldete sich Max Fischer freiwillig bei seinem Ausbildungsregiment in Bamberg. Von September 1914 bis Januar 1916 nahm er am Westfeldzug als Gerichtsschreiber bei der Militärverwaltung in Namur/Belgien teil.
Das geht aus der "biografischen Collage" hervor, die Norbert Fischer anhand der Tagebücher seines Großvaters verfasst hat. Er dokumentiert darin auch einen Brief, den Max Fischer 1915 an seine Frau geschrieben hat. Darin teilte er mit, dass er einen Kameraden ins Umland von Namur begleitet habe, der einen Kranz am Grab eines vor einem Jahr Gefallenen niederlegte. "54 deutsche Kameraden schlummern" auf dem kleinen Soldatenfriedhof, schreibt er seiner Frau.
"Morgen ist der 25. August, der Tag, an welchem deutsche Truppen zum ersten Mal den Fuß aufs hiesige Straßenpflaster setzten, an welchem sich die Festung Namur vollständig ergeben musste. Zur Erinnerung an diesen denkwürdigen Tag findet heute Abend Zapfenstreich und morgen große Parade statt, eine völlig unangebrachte Feier, deren sich ein denkender Mensch schämen sollte. [Hier] liegen hunderte von Kameraden, die im Kampf um Namur ihr Herzblut verspritzten und wir sollen diesen Tag durch eine solche Maskerade feiern!", schreibt Fischer weiter.
Fischer will sich dem Tumult entziehen
Und ist es nicht "eine furchtbare Herausforderung und eine rücksichtslose Beleidigung der hiesigen Zivilbevölkerung, wenn deutsche Soldaten spektakulierend und triumphierend durch die Straßen ziehen? Das Eine steht fest: Ich werde mich dem Tumult auf alle Fälle zu entziehen wissen".
Im Januar 1916 wurde Fischer aus dem Militärdienst auf seine Lehrerstelle in Kirchahorn entlassen. Er schloss sich der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) an und verfolgte aufmerksam die politische Entwicklung. Mit einem Flugblatt wirbt er im Oktober 1917 für den Beitritt zu einem "Friedensbund bayerischer Volksschullehrer".
Darin heißt es: "Wahrlich, es ist höchste Zeit, daß der sinnlos hetzerischen Annexionspolitik einmal gründlich das Wasser abgegraben wird. Jetzt ist man genug im Blut gewatet und das Schwert hat seine Schuldigkeit getan. Nun mag die Vernunft wieder zu Wort kommen und das furchtbare Drama beenden helfen." Der Aufruf endete mit der Bitte, dem "Friedensbund bayerischer Volksschullehrer" beizutreten. Allein, die Gründung misslang.
Fischer selbst trat nun in die SPD ein und stieg binnen weniger Monate zum Landtagskandidaten auf.
Da es in der Fränkischen Schweiz zu diesem Zeitpunkt keinerlei Ortsvereine gab, war er der einzige heimische SPD-Vertreter. Der Wiesent-Bote vermeldete, dass er Wahlversammlungen in Ebermannstadt, Unterleinleiter, Aufseß und Pottenstein bestritt. Politisch bekannte er sich zur Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) unter Führung von Erhard Auer (1874-1945), die in der Novemberrevolution 1918 für die parlamentarische Demokratie eintrat.
Schießerei im Bayerischen Landtag
Seine Gegner warfen Fischer vor, alles Privateigentum verstaatlichen zu wollen und feindlich gegenüber der Kirche eingestellt zu sein. Letzteres deswegen, weil der der MSPD angehörige Kultusminister Johannes Hoffmann (1867-1900) Ende 1918 die geistliche Schulaufsicht aufgehoben hatte.
Der Katholik Fischer verteidigte die Trennung von Staat und Kirche und versicherte, dass dadurch der Religion "keineswegs eine Gefahr drohe". Gegen den Vorwurf der Verstaatlichung allen Privateigentums führte er an, dass der "Kampf der Sozialdemokratie nur den Drohnen gelte, die vom Schweiße der anderen lebten", nicht aber dem "Bauernstand". Gerade deswegen führe die SPD auch "den schärfsten Kampf" gegen die Unabhängigen (= USPD) und den Bolschewismus.
Weil die SPD in Bayern rund 33 Prozent der Stimmen erreichte und die Mandate nach dem reinen Verhältniswahlrecht vergeben wurden, zog Max Fischer in den Landtag ein. Der amtierende Ministerpräsident Kurt Eisner und seine Partei, die USPD, kamen auf nur 2,5 Prozent und damit drei Mandate. Auf dem Weg zur ersten Sitzung des Landtags, in der Kurt Eisner seinen Rücktritt erklären wollte, wurde er von einem 22-jährigen Rechtsradikalen erschossen. Graf Arco (1897-1945) war Leutnant und studierte in München.
Fischer erfuhr im Landtag von dem Mord und erlebte dann, wie ein revolutionärer Arbeiterrat ins Plenum stürmte, mit Pistolenschüssen Innenminister Erhard Auer schwer verletzte und zwei weitere Personen tötete. "Max Fischer erzählte mir", schreibt der Enkel Fischers, "auf einem der vielen Spaziergänge, dass er im ausbrechenden Chaos ebenfalls Todesangst hatte und überzeugt war, in Kürze an die Wand gestellt und erschossen zu werden."
Das Attentat und die Schießerei stürzten Bayern in ein Chaos. Der Landtag vertagte sich auf unbestimmte Zeit und die Regierung flüchtete aus dem brodelnden München. Max Fischer ist umgehend nach Kirchahorn zu seiner Familie zurückgekehrt, sicher auch in der Sorge, seiner Frau mit den drei Kindern zur Seite zu stehen. Das älteste war gerade einmal sechs Jahre alt, das jüngste erst sieben Monate.
Aus der Zeitung erfuhr er, dass der Münchner Rätekongress jede parlamentarische Lösung ablehnte und die politische Krise in Gewaltakte auszuufern drohte. Fischer, der schon 1917 zur Vernunft gegen jegliche Gewaltexzesse aufgerufen hatte, entschied sich in dieser Situation zur Niederlegung seines Mandats.
"Peinliche Situation"
Am 14. März erklärte er, dass er "nach reiflicher Überlegung und gewissenhafter Abwägung aller Für- und Gegengründe zu dem unwiderruflichen Entschluß" gekommen sei, "als Landesabgeordneter zurückzutreten und jeglicher Parteipolitik ein für allemal zu entsagen". Fischer gestand ein, der "peinlichen Situation" nicht gewachsen zu sein und sah den Staat rettungslos untergehen infolge der "alten Gewaltpolitik".
Er könne für die weitere politische Entwicklung "keine Verantwortung mehr übernehmen". Auf den Vorwurf seiner Parteiführung, er sei fahnenflüchtig geworden, erwiderte Fischer im Wiesent-Boten, dass der Sozialismus für ihn "nach wie vor das mit allen legalen Mitteln anzustrebende Ideal" sei und er keinesfalls "einen Gesinnungswechsel" vollzogen habe.
Die Partei habe weder "seinen inneren Werdegang" verstanden und auch nicht, warum ihm die "Parteihaut zu eng" geworden sei. In der Fränkischen Schweiz verlor die SPD mit Max Fischer ihren ersten wichtigen Repräsentanten. Im April 1920 wurde er - vermutlich auf eigenen Wunsch - aus Kirchahorn in das Bergwerksdorf Stockheim an der thüringischen Grenze versetzt.