Hochstall 4 bietet Raum für Talente aus aller Welt
Autor: Ekkehard Roepert
Hochstall, Montag, 17. Dezember 2018
Das Bauernhaus von Dagmar Stein in Hochstall ist ein Treffpunkt für Abenteurer. Sie kommen, um zu arbeiten und Deutsch zu lernen. Doch die Wissensvermittlung ihrer Gastgeberin geht weit darüber hinaus.
Fünf Monate studierte der Pianist Christopher Zander in Wien. Jetzt lebt der junge Mann aus New York in einem einsamen Winkel der Fränkischen Schweiz. Es ist Vormittag, Christopher Zander sitzt mit dem Chilenen Pablo Fernandez am Küchentisch. Der 27-Jährige Nord-, und der 28-jährige Süd-Amerikaner schneiden Pilze und Zwiebeln. Dabei erzählen sie von den Erlebnissen der vergangenen Wochen. Es sei "unglaublich viel", was sie von Dagmar Stein gelernt hätten, sagt Christopher Zander.
Offensichtlich trifft die 65-jährige Gastgeberin mit ihrem Workaway-Angebot den Nerv junger Menschen aus der ganzen Welt. Sie kommen aus Kalifornien, Japan, aus Chile oder China. Die meisten wollen die deutsche Kultur kennenlernen. In Hochstall 4 erleben sie märchenhafte Verhältnisse. Dagmar Stein hat das Bauernhaus und einige tausend Quadratmeter Garten-Land vor 20 Jahren erworben. Als das Leben der Nürnbergerin einsam wurde, hatte sie vor fünf Jahren die Idee, Menschen um sich zu versammeln.
Workaway, für die Gäste bedeutet dies: Kost, Logis und die Wochenenden sind frei. Dafür arbeiten sie fünf Stunden pro Tag. Doch Dagmar Stein nimmt es nicht so genau: "Bei mir ist es wie in einer Familie", sagt die 65-Jährige, die immer auch ein Auge auf die Talente ihrer Schützlinge hat.
Christopher Zander und Pablo Fernandez zum Beispiel sind leidenschaftliche Musiker; der in Kalifornien aufgewachsene Christopher ist sogar ausgebildeter Pianist. Für die beiden jungen Männer aus Amerika hat Dagmar Stein ein Konzert im Haus von Freunden organisiert.
Auf seiner Tour durch Europa habe er immer wieder die Vernetzung von Ideen und Menschen erlebt, erzählt Christopher. Anfangs war er in Schweden und lebte im Haus einer ausgewanderten Komponistin aus Nürnberg. Ein Stück der Komponistin hat Christopher Zander von Schweden mit nach Deutschland gebracht und vor wenigen Tagen bei Freunden von Dagmar Stein in Bamberg aufgeführt. "Das ist typisch für Workaway, ein bisschen crazy."
Zwei Wochen Mecklenburg, zehn Tage Schwarzwald, jetzt drei Wochen Hochstall: Christopher Zander arbeitet auf dem Weg durch Deutschland an seinen Sprachkenntnissen. Seine Großeltern waren 1946 von Düsseldorf aus in die USA ausgewandert. Und jetzt ist der Enkel nach zwei unruhigen New Yorker Jahren als Pianist in umgekehrter Richtung aufgebrochen. Die Ruhe, der er suchte, fand er auf dem Anwesen von Dagmar Stein - beim Bau eines Hochbeetes, beim Umgraben des Gartens, beim Einkochen von Quittenmarmelade. "Das Leben hier ist gesünder als in New York", sagt der 27-Jährige.
Lernen bei Dagmar
Auch Pablo Fernandez nutzt die Abgeschiedenheit. Um zu schreiben und Musik für Videospiele zu komponieren. Der 28-Jährige Spanisch-Lehrer kommt aus einem Bergdorf in der Nähe von Santiago de Chile. Ein Jahr in Köln hat er hinter sich. Er liebt deutschsprachige Literaten und Philosophen, vor allem Wittgenstein. Gerade schreibt er an einer fantastischen Kurzgeschichte, die mit dem Namen seiner Gastgeberin spielt: Stein. "Jeder lernt viel bei Dagmar", sagt Pablo. Über Bäume und Märchen wisse sie genauso Bescheid wie über Tiere und Kräuter. "Sie ist wie eine große Mama und eine gute Freundin."