Seit Anfang Januar ist die kommentierte Fassung von "Mein Kampf" auf dem Markt. Manfred Blotenberg aus Hallerndorf hat eine Original-Fassung aus dem Jahr 1924 und erzählt die dazugehörige Geschichte.
Es ist Abend, als Manfred Blotenberg aus Hallerndorf in der Redaktion anruft. Er würde gerne über "Mein Kampf" sprechen, sagt er und dann beginnt es aus ihm herauszusprudeln.
"Ich habe nichts mit Nazis zu tun", betont er bei Beginn des Gesprächs. Trotzdem habe er etwas in seinem Haus, das er gerne zeigen würde. Eine Original-Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf". Damit ist er nicht allein. Dieses Buch schlummert in vielen Kellern und privaten Haushalten, obwohl es seit 1945 nicht mehr gedruckt werden darf.
"Ich habe das Buch aufbewahrt, weil es mich an etwas erinnert", erklärt Blotenberg, "meine Eltern haben es mir gegeben, weil Adolf Hitler mein Patenonkel ist. Eigentlich ist mein erster Name auch Adolf. Ich werde aber nicht so genannt."
Wie er zu dem Patenonkel kam
Bei einem Treffen erzählt Blotenberg seine Geschichte. Als neuntes von 13 Kindern wird er am 21. April 1942 in der Nähe von Aachen geboren. Damals war es üblich, dass Adolf Hitler Patenonkel bei Großfamilien wurde.
"Hitler hat bei kinderreichen Familien ab einer bestimmten Anzahl an Kindern die Patenschaft übernommen", erklärt Simone Paulmichl, Pressesprecherin des Insituts für Zeitgeschichte in München, das die wissenschaftlich-kommentierte Edition von "Mein Kampf" herausgegeben hat, "das sind Pro-forma-Patenschaften, das heißt, es gibt in der Regel noch einen wirklichen Paten. Die Übernahme der Patenschaft Hitlers war mit einem kleinen Geldgeschenk verbunden."
Diese Form der Patenschaft sei aber nicht zu vergleichen mit einer echten Patenschaft, wie Hitler sie für den Sohn von Martin Bormann übernommen hat, erklärt Paulmichl. Auch heute kann man für das siebte Kind eine Ehrenpatenschaft beantragen. Diese übernimmt dann der Bundespräsident Joachim Gauck.
Als der Krieg in dem kleinen Ort, in dem die Familie Blotenberg lebte, ankommt, flüchtet sie. "Um im Osten direkt dem nächsten Feind in die Arme zu laufen", erklärt der heute 73-jährige Blotenberg. Freilich erinnert er sich nicht selbst an die Flucht. Er war noch viel zu klein, um den Kriegszeiten aktiv mitzuerleben: "Meine Eltern haben mir aber immer wieder davon erzählt." Sie sind es auch, die ihm Jahre später die Urkunde der Patenschaft übergeben. Außerdem das 781-seitige Buch "Mein Kampf".
"Ich habe gesagt, dass ich es behalte. Es ist doch ein Stück Geschichte", sagt Blotenberg. Deshalb bewahrte er sowohl das Buch als auch die Urkunde und ein paar Bilder immer auf.
Mit der Urkunde nie angegeben
"Auch dann, wenn ich umgezogen bin", sagt er. Normalerweise habe er das Buch in einer selbstgebauten Holzkiste im Kleiderschrank versteckt. "Und wenn ich umgezogen bin, hatte ich es immer in einer Tasche persönlich mit mir herumgetragen", erinnert er sich, "es ist eine Erinnerung für mich. Auch an meine Eltern. Und auch wenn es sich komisch anhört, Adolf Hitler ist ja schließlich mein Patenonkel." Das sagt er nicht mit Stolz, sondern Ernst.
Blotenberg ist sich der Vergangenheit bewusst, erklärt auch, dass nur der enge Familienkreis von der Patenschaft weiß. Mit dem Buch und der Urkunde sei er nie hausieren gegangen.
Die Original-Fassung von "Mein Kampf" ist im Vergleich zur kritischen Edition, die am 8. Januar veröffentlicht wurde und mittlerweile bereits vergriffen ist, recht dünn. Die kommentieret Version fasst 1966 Seiten.
"Es geht bei der kommentierten Fassung darum, den Menschen die Einzelheiten zu erklären", sagt Paulmichl, "es werden historische Gegebenheiten erläutert, die den Menschen zur Zeit der Veröffentlichung geläufig waren, jetzt aber nicht mehr unbedingt." Es brauche manchmal Hintergrundinformationen, um so ein historisch-wertvolles Dokument zu verstehen, sagt Paulmichl weiter. Es werde in dem Original-Text, der 1924 geschrieben wurde, auf Sachen hingewiesen, die heute nicht mehr allen Lesern präsent seien.
Missverständnisse befürchtet
Trotzdem ist Manfred Blotenberg kritisch. "Es wird jetzt viel geredet", sagt er, "aber die Leute wissen doch gar nicht, wie das damals alles war." Er fürchtet, die neue Auflage könnte missverstanden werden. "Das Buch jetzt kann gar nicht alles abdecken, was es über diese Zeit zu erzählen gibt", summiert der 73-Jährige.
Zeitzeugen - wie Manfred Blotenberg einer ist - wurden in der kommentierten Edition nicht berücksichtigt. "Das wäre auch schwierig, denn nach so vielen Jahren ist die Erinnerung oft nur noch selektiv", sagt Paulmichl, "und wir wollten auch keine subjektiven Meinungen oder Empfindungen aufführen. Die Kommentierung soll lediglich historische Fakten erklären. Für diejenigen, die keine Zeitzeugen sind."