Glanz und Elend der Gerberei Endres
Autor: Andreas Oswald
, Samstag, 14. April 2012
Dies ist die Geschichte des Niederganges eines Forchheimer Geschäftshauses und dessen einstiger Besitzerfamilie. Wie nahe Glanz und Elend liegen können, spiegelt sich in der Gerberei Endres am Marktplatz 14.
Im Schaufenster ist die Zeit stehen geblieben: Hinter der verdreckten Scheibe hängen vergilbte Häute. Gürtelschließen liegen neben einem Stiefelknecht. Und zwei verstaubte Gummistiefel scheinen seit Jahren auf Käufer zu warten. "Passt wie angegossen" wirbt ein altes Plakat.
Der, der sie angeboten hatte, muss von der Qualität überzeugt gewesen sein: Willi Endres - ihn sah man bis zuletzt in Gummistiefeln durch die Stadt schlurfen. Zerlumpt. Manchmal zum nahe gelegenen Kloster laufen, um sich in der Armenküche eine Suppe zu holen. Die löffelte er in seinen langen weißen Bart, der aber die roten Backen nicht verbergen konnte, die Willi schon seit Kindertagen hatte. Eine Kindheit in besseren Zeiten!
Willi ist der zweitälteste der vier Söhne der Gerbereibesitzer Katharina und Hans Endres. Eine glückliche Verbindung. Geld zu Geld. Sie ist eine geborene Albert."Stammte aus reichem Hause" und wuchs gegenüber der Johanniskirche in der jetzt verfallenen Villa auf (in der sich auch einmal Foto Brinke befand).
Daran erinnert sich eine Nachbarin, die Willi bis zu dessen Tode im vorletzten Winter manchmal mit Essen versorgt hatte. Die Frau, die namentlich nicht genannt sein will, erzählt, dass Willis Mutter immer sehr nett gewesen sei. Und so wohlhabend, dass sie schon vor dem Krieg mit dem Cabriolet nach Nürnberg gefahren sei. Ihr im Krieg gefallener Bruder sei ein Großvater des aus Forchheim kommenden Schauspielers Horst Kumeth ("Dahoam ist dahoam") gewesen.
Auch Katharinas Mann, Hans Endres, habe aus betuchter Familie gestammt. Seine Eltern, Johanna Endres, geborene Kammerer, und Sebastian Endres, hatten die Gerberei gegründet. Viel Grundbesitz hatten deshalb Katharina und Hans Endres gehabt. So unter anderem die Fläche, auf der sich nun der Piasten-Parkplatz befindet und das Norma-Gelände an der Bamberger Straße.
"Die Frau Endres war eine stolze Frau", erinnert sich die Zeitzeugin. Vor allem der Besitzstolz hatte sie geprägt: "Auf ihrem letzten Weg hat sich Katharina Endres im Sarg an ihren Grundstücken vorüberfahren lassen."
Auch Werner Henkel aus Forchheim erinnert sich an Katharina Endres: "Meine Großmutter und Käthchen, wie sie genannt wurde, waren Cousinen." Die Gerbereibesitzer beschreibt Henkel so: " Es war ihr großes Bestreben, die Familie und den Besitz zusammenzuhalten - und jede(r) von außen hätte gestört." Das erklärt auch, warum die Söhne ehelos blieben - aber auf ihre Weise ausbrachen: So gingen Otto und Willi Mitte der 70er Jahre nach Libyen, um Gerbereien aufzubauen. Willi wanderte später nach Australien aus - wo er rund 20 Jahre lebte.
Der Betrieb wurde währenddessen von Leo und Georg geführt. Eine Männerwirtschaft, die - nach dem Tode der Mutter 1978 und des Vaters zwei Jahre später - den Verfall einleitete. "Die Familie war nie arm - auch nicht, als nur noch die Söhne lebten", betont Werner Henkel. "Ich spreche von Millionenwerten". Die habe aber keiner für sich nutzen wollen - "das versteht bis heute niemand".
So starb Willi als letzter der Brüder vor eineinhalb Jahren - völlig verwahrlost aufgefunden in der vollgemüllten Gerberei. Die Nachbarin meint fränkisch derb, aber treffend: "Das waren reiche, arme Hund'."