Forchheimer Rathaus muss auf Krücken stehen
Autor: Nikolas Pelke
Forchheim, Montag, 17. Juni 2013
Das Fachwerk-Haus ist schön. Und alt. Sehr alt sogar. Eine Säule im Rathaus-Saal macht deshalb Ärger. Drei Balken stützen das berühmteste Gebäude in Forchheim seit Montag zusätzlich.
Nur über den Hintereingang können Besucher derzeit das Rathaus betreten. Vor dem Haupteingang steht Anton Heim und wirft einen kritischen Blick auf die Fassade. Den erfahrenen Zimmermeister aus Forchheim hat die Stadt engagiert, um das Fachwerkhaus aus dem frühen 15. Jahrhundert mit Stützmaßnahmen zu sichern.
Der Grund: Ein Stützbalken im großen Rathaussaal zwischen den beiden äußersten rechten Fenstern war gebrochen und erkennbar nach innen geneigt. Eine Kernbohrung bestätigte einen alten Riss im Holz. "Zusammenbrechen" werde das Rathaus nicht gleich, beruhigt Anton Heim. "Ein Fachwerk stürzt nicht ein", sagt Heim und fährt im "Fahrstuhl" an der schönen Außenhaut des historischen Bilderbuch-Häuschens nach oben.
Drei Holzkrücken für das Rathaus
Anton Heim und seine Mitarbeiter verpassen dem Rathaus maßgeschneiderte Krücken aus Holz. Nicht auf zwei, gleich auf drei Stelzen soll sich die Konstruktion nach der "Notoperation" am Montag stützen. Jede Krücke ist zehn Meter lang. Die einzelnen Träger stehen fest verschraubt am Boden auf einer Stahl-Platte. Die nennt der Zimmerermeister einen "Breitflansch-Träger". Was am Boden leicht und locker aussieht, ist zehn Meter über dem Erdboden schon viel kniffliger.
Anton Hein steht auf der Hebebühne, die Wasserwaage parat. Vom Boden steuert Junior-Chef André Heim den Kran, der die Stützbalken genau in Position bugsiert. Nach ein paar Versuchen steht die erste Krücke. Anton Heim zückt die Wasserwaage. Und? "Passt!"
"Sonst lachen die Passanten"
Warum die Stützfeiler genau im Lot stehen müssen? Darauf hat Anton Heim eine verblüffende Antwort: "Naja. Sonst lachen doch die Passanten."
Dieter George sucht derweil das Weite. Der Kulturchef der Stadt kann mit Baustellen nichts anfangen. Mit Kunstgeschichte dafür umso mehr. George schwärmt von der Pracht des Rathaussaales, zeigt auf eiserne Lüster unter der prächtigen Holzdecke. "Der Rathaus-Saal selbst ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umgestaltet worden", erklärt George. Wie? Natürlich nach den Vorlieben der damaligen Zeit: die Romantik und die Neu-Gotik waren angesagt. Der Raum sei mit Holz aufwendig verkleidet, und mit gusseisernen Kronleuchtern prächtig ausgestattet worden. "Das alles wurde gemacht, um eine mittelalterliche Stimmung zu erzeugen." Zur Zeit der neugotischen Renovierung wurde der Große Rathaus-Saal übrigens als "Disco" genutzt. Gut, damals hieß "Disco" noch "Tanzboden" Die Vorliebe für den neugotischen Stil habe freilich auch politische und historische Hintergründe, sagt George. Bayern-König Maximilian II. stand einfach auf Romantik, eine Gegenbewegung zur Aufklärung. Nicht mehr die Hellenen und Römer waren die Vorbilder (wie im Klassizismus). Angesagt war ein Baustil, der das Mittelalter schwärmerisch verklärte.
Krücke Nummer 2
Derweil tut sich etwas an Krücke Nummer 2. Anton Heim ist erneut in schwindelerregende Höhen gefahren, um mit eigenen Augen die Arbeiten zu begleiten. Mitte der 90er Jahre hat Heim zuletzt am Rathaus gearbeitet. Damals war der Giebelturm morsch und musste gestützt werden, damit der oktogonale Turm samt Glocke nicht gen Erde saust.
"Am Fachwerk nagt halt der Zahn der Zeit", erzählt Heim. Umbaumaßnahmen hätten die statische Situation der Konstruktion immer wieder belastet. Besonders schlimm seien die Eingriffe in der "schlechten Zeit" nach dem Krieg gewesen. Sparsam statt gründlich habe man damals gewerkelt. Dem Fachwerk hat das nicht gut getan. Holz-Lasuren aus den 70er Jahren haben den Balken später zusätzlich die "Luft zum Atmen" genommen. Die Folgen müsse man heute (er)tragen. Wobei die Bürde freilich auch große Ehre und Pflicht sei.
"Etwas ganz besonderes"
"Das Rathaus ist und bleibt immer etwas ganz besonderes in Forchheim", sagt Anton Heim. Der gesamte Rathaus-Komplex ist übrigens in mehreren Bauabschnitten entstanden. Zuerst das eigentliche Rathaus aus dem Jahr 1402. In der Frührenaissance ab dem Jahr 1535 wurde der Magistratsbau errichtet, der sich gleich im Westen anschließt und heute die Südseite des ehemaligen Marktplatzes mit seinem Schmuckfachwerk dominiert. Viel später kamen weitere Gebäude wie das Frechshaus und das Streit-Haus hinzu.
"Mit Superlativen bin ich eigentlich zurückhalten. Aber unser Rathaus ist schon eines der schönsten und auffälligsten Fachwerk-Ensembles in ganz Oberfranken", sagt George. Da kann Anton Heim nur zustimmen. Wie lange die Krücken zur Not halten? Anton Heim lacht und sagt: "Die nächsten 20 Jahre auf jeden Fall." Das dürfte locker ausreichen. Bauamts-Leiter Gerhard Zedler kündigte gestern bereits "weitere Untersuchungen der Fachwerkskonstruktion" an. Das geht leider nicht mehr allein von außen. Auch die Vertäfelung im Rathaus-Saal selbst muss vorsichtig von der Wand genommen werden, um die Stützbalken zu kontrollieren. Zedler hofft aber, dass das Rathaus nicht mit einem Gerüst eingehaust werden muss. Wäre auch schade, um den schönen Anblick.