Druckartikel: Forchheimer geht mit dem Kochlöffel auf die Pirsch

Forchheimer geht mit dem Kochlöffel auf die Pirsch


Autor: Nikolas Pelke

Forchheim, Mittwoch, 18. Dezember 2013

Geschmacks-Hallali: Christopher Kraus hat ein Revier und ein Restaurant. Am Herd seiner Kochschule zeigt der 31-jährige Tausendsassa aus Forchheim, wie aus einem edlen Tier ein elegantes Wildgericht wird.
Jäger und Koch: Christopher Kraus am Herd. Fotos: Nikolas Pelke


Er hat sie vor der Flinte. Und auf der Pfanne. Christopher Kraus ist Jäger und Koch. Dabei redet er wie ein Professor. Jägerlatein auf dem Hochsitz. Kochchinesisch in der Küche. Mit Fug und Recht darf man behaupten: Dieser Mann kennt das Reh in seiner ganzen Dialektik. Als erhabene Schönheit aus freier Wildbahn. Und als elegante Delikatesse auf dem Teller.

"Es ist das edelste Tier in unseren Wäldern. Und gleichzeitig das schönste. Und das gesuchteste. Von Jägern wie von Köchen", sagt Kraus, der jagende Koch, ganz ehrfurchtsvoll und blickt mit leicht gesenktem Haupt auf den vor ihm liegenden riesigen Rehrücken. "Schussfrisch kommt der Rehrücken zu mir in die Küche." Vier Wochen konnte das Fleisch am Knochen reifen. Der Rehrücken verliert dadurch Wasser und gewinnt an Geschmack. Und um Geschmack geht es ihm bei der Zubereitung der einheimischen Deluxe-Alternative zur Weihnachtsgans.




Jagdschein mit 16 Jahren
Wie ein typischer Jäger schaut der 31-jährige Küchenchef selbst mit Gamsbart und Hut nicht aus. Wie ein typischer Koch schaut er mit Schürze und Mütze auch nicht aus. Dabei hat er mit den beiden Leidenschaften schon früh angefangen. "Mit 16 habe ich den Jagdschein gemacht." Nach dem "Grünen Abitur" hatte er keinen Bock mehr auf den langen Bildungsweg. Wollte nicht akademischen Graden nachjagen, sondern sich seiner anderen Passion mit Haut und Haaren verschreiben: sich mit dem Kochlöffel auf die Pirsch nach Gaumenfreuden begeben.



Die Vorliebe fürs Waidwerk kommt aus der Familie. "Mein Papa ist Jäger." Die Koch-Leidenschaft wurde Christopher exklusiv in die Wiege gelegt. "Küche, kochen und gute Lebensmittel - das ist meine Leidenschaft", sagt der Koch und rückt dem Rücken mit Brille und Messer auf den Pelz. "Mehr Bio geht nicht. Das Reh hat gefressen, wann es fressen wollte, es hat geschlafen, wann es schlafen wollte. Da kann man wirklich sagen: Das Tier hat noch ein sehr, sehr glückliches Leben gehabt."

Wer denkt, genug geplaudert, jetzt wird endlich wortlos gekocht, der irrt. Christopher Kraus kann beides gleichzeitig: Reden und braten. Kraus ist ein richtiger Koch-Professor. Presto reden und virtuos schneiden, kein Problem für den Koch-Philosophen. Beim Abziehen der Silberhaut vom Rehrücken erfährt der Koch-Schüler quasi nebenbei, wieso die Mango heute die Rolle der Birne übernimmt, warum die Pflaumensauce auf Cola steht und welche Funktion das blasse Weißbrot aus Italien hat.


Ein Tramezzini für den Rücken
"Das ist ein Tramezzini-Teig. Italienisches Weißbrot ohne Rinde. Für die Küche ideal. Den Rehrücken packen wir in den Tramezzini-Mantel. Praktisch das krosse Fell für das Reh", erklärt der Koch und schwärmt von dem schönen Mouth-Feeling (das ist amerikanisch und meint ein Supergefühl in der Gaumengegend), welches krosser Mantel und zartes Reh , wenn alles fertig ist, ergeben wird.

Aber zunächst wird es etwas skurril. Kraus streicht "Kleber" auf das italienische Weißbrot. "Das ist eine Reh-Farce. Man kann auch einfaches Brät vom Metzger zum Kleben hernehmen", erklärt der Koch und bettet den rohen Rehrücken auf den Naturkleber. Damit dem Reh nicht langweilig wird, legt Christopher noch Steinpilze daneben. "Die hab' ich im Herbst noch selber im Wald gesammelt." Das sei übrigens kein Witz, sagt er und macht den Pilzen etwas Feuer unter der Sohle. "Die sollen nur ein bisschen Wasser verlieren", sagt der Koch, und man ahnt, dass die fettfreie Pilz-Braterei nur gut für den Geschmack sein kann. Die Pilze wandern in die Rehrolle, die in Alufolie umwickelt in den Ofen gegeben wird.

Kraus nennt das "mit den Aromen spielen". Wild wie im Kinderzimmer geht es nicht zu, wenn Christopher mit den Geschmacksstoffen jongliert. "Man muss die Aromen im Mund verstehen, um mit ihnen spielen zu können."


Besser mit dem Thermometer
Garantiert rosa wird das Reh wenn der Koch einem Thermometer vertraut, dass er dem Reh beim Saunieren (der Fachmann nennt das Niedergaren bei 75 Grad) in den Rücken steckt. Butterzart ist das Reh bei einer Kerntemperatur von 56 Grad. Bis es so weit ist, kümmert sich Kraus um die vielen kleinen Begleiter, unter deren Mithilfe das Reh später auf der Zunge für Furore sorgen soll. Eine Hauptrolle spielen dabei die Kräuter. Kraus stellt jedes Gewürz einzeln vor. Denn erst im Zusammenspiel entfaltet das Ensemble aus Rosmarin und Thymian, Knoblauch und Vanille seine volle Würzkraft.

Fast noch wichtiger sind die Saucen, die das Reh später umschmeicheln sollen. "Aus der thailändischen Mango machen wir ein Chutney. Aus den Pflaumen machen wir eine Jus." In Windeseile wandern Mango und Chilli in die eine, Pflaumen und Cola in die andere Kasserolle hinein.


Mango übernimmt Job der Birne
Die Frucht übernimmt küchentechnisch heute den Job der Birne. Die schöne Säure soll quasi kontrapunktisch zur Süße der Pflaumensauce wirken. Beide Fruchtsaucen köcheln vor sich hin. Dann klingelt der Ofen. Das Reh will hinaus. 56 Grad und kein bisschen heißer will es der Rücken haben.

"Jetzt kommt der Moment. Nun kann auch ich nichts mehr retten", sagt Kraus und schneidet die Rehrolle leicht außer Atem in formschöne Happen. "Der Anschnitt ist schon schön rosa. Dann ist es in der Mitte noch schöner", sagt Kraus und bugsiert die Rehrolle im Tramenzzini-Mantel noch kurz zu den Kräutern in die heiße Pfanne.

"Jetzt ziehe ich das Reh nochmal durch die Aromaten", sagt Kraus, während der Weißbrot-Mantel zwischen Rosmarin- und Thymianzweigen in ganz normalem Pflanzenöl eine knusprige Kruste verpasst bekommt. "Einen Hauch Knoblauch schmeiß ich noch mit rein. Später gebe ich noch eine Butterflocke hinzu." Mit ein paar Handgriffen zaubert der Küchenchef ein Kunstwerk auf den Teller und sagt: "Mango. Rehrücken. Pflaumen. Vanille und Thai-Spargel. So schmeckt der Winter in Franken!"