Flucht aus der Heimat: Bombe vertreibt die schwangere Liia
Autor: Josef Hofbauer
Forchheim, Sonntag, 02. November 2014
Im Haus Tabea in Heiligenstadt sind 28 Asylbewerber eingetroffen. Darunter befindet sich Liia Kopaliani, die im neunten Monat war und mit Hilfe der desertierten Ärztin Maryna Oliinykova im Klinikum Forchheim entbunden hat.
Jeden Tag suchen hunderte von Flüchtlingen, die auf Grund kriegerischer Auseinandersetzungen im Irak und in Syrien, in Afghanistan oder der Ost-Ukraine ihre Heimat verlassen haben, in Deutschland um Asyl an. Eine davon ist Liia Kopaliani (30) aus Donezk. Als am 1. Juli eine Bombe in das Haus einschlug, in dem sie mit ihrem Mann Koba (30) und Sohn Irakliy (6) wohnte, flüchtete die Familie nach Dneprpetrowsk. Damals war Liia im siebten Monat schwanger.
"Die Umstände haben uns gezwungen, die Heimat zu verlassen", erklärt Liia, die aus Angst, im Krieg ihren Mann zu verlieren und mit den Kindern alleine dazustehen, den Bus genommen hat und Richtung Westen gefahren ist. "Die Reise war sehr beschwerlich", übersetzt Dolmetscherin Irina Weckner. Zwei Wochen lang war die Familie Kopaliani in Zirndorf untergebracht. Zusammen mit 24 anderen Flüchtlingen wurde sie im Familienzentrum Heiligenstadt aufgenommen.
"Die Menschen brauchten eine Unterkunft und wir hatten Kapazitäten frei", erklärt Pastor Reinhold Brunkel, der zwei Häuser des Tagungs- und Pflegezentrums Tabea Leinleitertal als Wohnungen für Asylbewerber zur Verfügung gestellt hat. "Die Situation hat uns betroffen gemacht", verdeutlicht der Seelsorger, dem die Begleitung der Menschen aus der Ukraine und Aserbaidschan besonders wichtig ist.
Sprachprobleme überwinden
Der Heimleiter Frederik Dykast sorgt dafür, dass die insgesamt 28 Flüchtlinge auch menschlich betreut werden. Die Kirchengemeinde verpflichtete die in Heiligenstadt lebende Dolmetscherin Irina Weckner, die selbst aus der Ukraine stammt, um den Neuankömmlingen die deutsche Sprache zu vermitteln.
Als bei Liia am 6. Oktober die Wehen einsetzten und sie zur Geburt ins Klinikum nach Forchheim gebracht wurde, sprang die aus Charkov geflüchtete Ärztin Maryna Oliinkova (29) als Dolmetscherin und Geburtshelferin ein. Immerhin spricht Maryna fließend Englisch und arbeitete in der Ukraine unter anderem als Dolmetscherin.
Von der Medizinerin stammen auch die ersten Babyfotos der kleinen Erika, aufgenommen mit dem Handy von Maryna Oliinykova. Sie war geflüchtet, weil sie den Einberufungsbefehl von der Militärbehörde erhalten hatte. "Ich konnte nicht lange überlegen. Ich wusste nur, dass ich nicht an die Front wollte und dass ich nicht schießen wollte", erklärt Maryna. Dazu wäre sie verpflichtet gewesen.
Die junge Ärztin kennt die katastrophalen Verhältnisse in der medizinischen Versorgung der Soldaten. Es fehle an allem. Viele Verwundete würden bei den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den von Russland unterstützten Milizen und ukrainischen Truppen einfach liegen gelassen, erzählt Maryna, die in den letzten Jahren in einem privaten Krankenhaus gearbeitet hat.
"Ich bin desertiert"
Für sie war es unerträglich, im Epizentrum des Konfliktes zu kämpfen und womöglich auf die eigene Bevölkerung schießen zu müssen. "Das Land ist seit der ideologischen Teilung total gespalten", klagt Maryna, die Angst hatte, sich mit ihren Fluchtplänen jemandem anzuvertrauen. Am 18. August setzte sie sich in den Linienbus nach Görlitz, der weiterfährt nach Köln. "Ich bin desertiert", bekennt die blonde Ärztin.
Deshalb wurde sie von den Militärbehörden gesucht. "Die haben bei meinen Eltern an gerufen und gefragt, wo ich bin", erzählt die 29-Jährige, deren Eltern daraufhin umgezogen sind. Sie hoffen, auf diese Weise Repressalien der Militärs zu entgehen.
Zu Hunderttausenden seien Menschen aus der Ukraine auf der Flucht, berichtet Maryna. So wie Olena Latukha (56). Sie hatte jeden Tag Angst, dass ihr Sohn Dmytro (25), der als Zugschaffner die Krisengebiete durchqueren musste, nicht wieder kommen würde. "Gab es Bombenangriffe, waren Zugführer und Reisende dem Schicksal wehrlos ausgeliefert. Sie haben sich auf den Boden gelegt und gehofft, dass sie am Leben bleiben", schildert Olena ihre Situation. Leicht fiel ihr die Flucht nicht, denn sie musste ihren Mann (58) zurücklassen. Der konnte nicht flüchten, weil er seinen 85-jährigen bettlägerigen Vater pflegt.
"Mache mir große Sorgen"
"Ich mache mir große Sorgen darüber, was in der Ukraine passiert", sagt Olena. Wie die junge Mutter Liia hofft sie, dass der Konflikt in der Heimat beigelegt werden kann. Dennoch würde die frischgebackene Mutter ihre Erika lieber in Deutschland aufwachsen sehen: Hier seien die Zukunftschancen ungleich besser als in der Ukraine. Auch Olena will "ein nützliches Mitglied der deutschen Gesellschaft werden" und lernt daher fleißig deutsch.
Maryna ist skeptisch, was einen raschen Frieden in der Ukraine anbetrifft. Im Moment herrsche in der Ost-Ukraine Chaos. "Da kämpft jeder gegen jeden. Und einige machten aus der Verzweiflung der Menschen, die nur in Ruhe leben wollten, ein Geschäft." Sie versprächen, die Leute gegen entsprechende Bezahlung - oft werde das Auto verpfändet - außer Landes zu bringen. Aber das sei ein hohes Risiko. "Nur wer die Flucht geschafft hat, kann aufatmen," meint Maryna.