Druckartikel: Ein meisterhafter Spurensucher in Forchheim

Ein meisterhafter Spurensucher in Forchheim


Autor: Ekkehard Roepert

Forchheim, Montag, 14. Januar 2013

Der Historiker Rolf Kießling wird für seine Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte mit dem "Obermayer Award" geehrt.
Rolf Kießling findet die Spuren der Geschichte. Fotos: Barbara Herbst


Wer einmal mit Rolf Kießling durch die Forchheimer Straßen spaziert ist, wird die Stadt mit neuen Augen sehen. Seit zwei Jahrzehnten erforscht der Lehrer und Historiker die jüdische Geschichte seiner Heimatstadt. Seitdem sind viele Geschichten, die hinter den Fassaden stecken, wieder sichtbar geworden. Und viele Namen sind in das Gedächtnis der Forchheimer zurückgekehrt.

Kießlings Forschungen (und sein Buch über die Forchheimer Juden) sind auf weltweites Echo gestoßen; sie haben es Juden in Sydney, Jerusalem oder in New York ermöglicht, an das Leben ihrer Vorfahren in Forchheim anzuknüpfen. Und so ist es kein Zufall, dass der 63-Jährige nun von der amerikanischen Obermayer-Stiftung ausgezeichnet wird: Ende Januar wird der Forchheimer Historiker nach Berlin reisen, um den "Obermayer Jewish History Award" entgegenzunehmen.

Mit dem Preis werden deutsche Bürger geehrt, die das deutsch-jüdische Zusammenleben der Vergangenheit in Erinnerung gerufen oder für die Zukunft wieder ermöglicht haben.


Deportationsdenkmal angeregt


Rolf Kießling hat beides getan. Am sichtbarsten haben seine Forschungen an der Kapelle St. Gereon Spuren hinterlassen. Dort steht das von Kießling angeregte Deportationsdenkmal. Darauf sind die 14 Namen jener jüdischen Bürger zu lesen, die zwischen 1941 und 1944 aus Forchheim abtransportiert und ermordet wurden.

Im Zuge seiner Nachforschungen waren Kießling in den 90er Jahren Fotos von der Deportation der Forchheimer Juden zugespielt worden. Es war eine Sensation, als Kießling die Bilder dann veröffentlichte und kommentierte.
Eine Folge daraus: An der Gereonskapelle wurde das Deportationsdenkmal geschaffen. Es trägt Kießlings Handschrift: "Entrechtet, deportiert, ermordet" steht oben auf der Plakette. Darunter die 14 Namen der Deportierten.

Zu den Führungen durch das jüdische Forchheim gehört grundsätzlich ein Besuch des Denkmals: "Hier gehe ich immer her", sagt Kießling. Auch wenn er sich die Namen auf der Plakette etwas größer gewünscht hätte - mit dieser Form des Gedenkens ist er zufrieden: "Es ist kein Stolperstein, aber man kann trotzdem darüber stolpern."


Die Geschichten sprudeln


Stolpersteine fehlen bislang in Forchheim. Und auch an den Fassaden der Häuser Nummer 54, 56, 64 und 65 in der Hauptstraße weist keine Inschrift auf die ehemaligen jüdischen Bewohner hin. Kaum bleibt Rolf Kießling vor einem dieser Häuser stehen, sprudeln die Geschichten aus ihm heraus. Etwa jene von Irma Gröschel, deren Tante von den Nazis ermordet wurde. Kießling hatte Irma Gröschel noch in New York besucht. "Ich will nie mehr nach Forchheim zurück", hatte sie Kießling anvertraut.

Weil die Nazis "Meister" darin waren, "Spuren zu verwischen", wie Kießling sagt, muss man Meister des Spurensuchens sein, um die Geschichte zu rekonstruieren. Am Rathausplatz zeigt Rolf Kießling die Häuser der Familie Frank und das ehemalige Kaufhaus Rosenthal. Und er zeigt auf die Tafel, die der Toten des Ersten Weltkrieges gedenkt; darauf fünf jüdische Namen. "Paul und Anton Schmidt, schon die Namen zeigen, dass die Juden Teil der hiesigen Gesellschaft sein wollten. Man hat sich als Bürger gezeigt."

Der wohl wichtigste Ort jüdischer Geschichte in Forchheim ist der ehemalige Synagogenplatz. Rolf Kießling ist froh, dass zuletzt über ein "würdiges Gedenken" an diesem Ort in der Wiesentstraße diskutiert wurde. Kießling steht vor dem Platz, der heute Parkplatz ist. Und erzählt die Geschichte von Ludwig Bauer. In der Reichspogromnacht war er zwölf Jahre jung. Er wohnte mit seinen Eltern im Dachboden der Synagoge. In jener Nacht wurde er herausgezerrt und eingesperrt. "Man muss sich das vorstellen", sagt Rolf Kießling, "ein Zwölfjähriger wird völlig ahnungslos nachts aus der Wohnung geholt und ins Gefängnis gesperrt." Aus Begegnungen mit Ludwig Bauer weiß Rolf Kießling, dass er das Trauma jener Nacht nie überwunden hat.


Lokalen Quellen sind augeschöpft


Die Geschichte der wenigsten Namen ist so gut erforscht, wie die Geschichte der Familie Bauer. "Die Zeit ist weit fortgeschritten, nur noch einzelne Personen sind Namen zuzuordnen", bedauert Kießling. Die Forchheimer Quellen seien weitgehend ausgeschöpft.

Den "Obermayer Award" sieht der 63-jährige Historiker auch als Ansporn. Gerne würde er Archive in Jerusalem sichten, um weiteres Material über die Forchheimer Juden auszugraben.