Ein Marathonmann der Forchheimer Geschichte
Autor: Ekkehard Roepert
Forchheim, Montag, 04. November 2013
Hunderttausende von Datensätzen hat Reinhold Glas archiviert. Er schreibt an einer Häuser-Geschichte über Alt-Forchheim. Erscheinen wird das Buch 2015, doch schon jetzt ist klar: Glas wird den Blick der Forchheimer auf ihre Stadt verändern.
Er war elf Jahre alt, als der historische Funke übersprang. Diese Begegnung liegt zwar über ein halbes Jahrhundert zurück, aber Reinhold Glas erinnert sich gut. Er greift hinter sich ins Regal und zieht Johann Max Kauperts "Forchheimer Heimatgeschichte" heraus. Kaupert war sein Geschichtslehrer, mit ihm hatte alles begonnen.
Trotz seiner frühen Faszination für Geschichte, hat Reinhold Glas nicht immer so exzessiv geforscht und geschrieben, wie er es heute tut. Als Junger Mann war ihm die Beat-Musik und das Gitarrenspiel wichtiger. Als Glas in den späten 70er Jahren seine Familiengeschichte erforschen wollte, führte ihn der Weg nach Pretzfeld, in die Heimat seines Vaters.
"Ich war erstaunt, welche Massen unerforschter Quellen es gab." Er tauchte in die Quellen ein. Und als er nach über zwei Jahrzehnten wieder auftauchte, legte er seine Pretzfelder "Häuser- und Familienchronik" vor. Zwei Bände.
Was Reinhold Glas in den letzten Jahrzehnten erforscht und aufgeschrieben hat, ist kaum zu fassen. Hunderttausende von Datensätzen hat er in Tabellen gesammelt. Unter anderem entstand daraus ein Forchheim-Buch über die "Stadt und Bürgerschaft zwischen Obrigkeit und Selbstverwaltung vom Mittelalter bis zum Übergang an Bayern (1802/03)".
Zwar nennt sich Glas einen "Amateur-Historiker"; aber seine Bücher sind längst Standardwerke der Heimatgeschichte und werden in den wissenschaftlichen Werken seiner Kollegen zitiert. Und seit zwei Jahren sind die Glas-Forschungen noch intensiver geworden. Der ehemalige Postbeamte ist im Ruhestand. So wie er früher zur Post ging, geht er nun täglich ins Archiv. Nach Nürnberg, Forchheim oder Bamberg. Oder er sitzt vor dem Computer und den Bücherwänden seines heimischen Archivs in der Mayer-Franken-Straße.
Sein aktuelles Forschungsprojekt vergleicht Glas, der auch ein engagierter Läufer ist, mit einem Marathon. 2015 soll sein "Häuserbuch Alt-Forchheim" erscheinen. "Es werden unheimlich viele Seiten", sagt der 62-Jährige.
1000? Er schüttelt den Kopf. 2000? "Das reicht nicht." Glas hat das Material beisammen und hat die Geschichte der etwa 450 Häuser in Stichpunkten auch schon notiert. Nun beginnt der letzte Teil des Marathonlaufs: Die Stoff-Sammlung muss zu einem fließenden, erzählenden Text werden. Material hätte Reinhold Glas für 4000 Seiten; aber die auf drei Bände konzipierte Häuser-Geschichte werde nur gut die Hälfte davon fassen können. Alleine die Karten und das Register machen mehrere hundert Seiten aus. Glas muss den Text stutzen. "Es gibt eben keine Vollständigkeit", sagt er.
Was inspiriert einen Historiker, viele tausend Seiten über Forchheimer Häuser zu schreiben? "Der Schlüssel waren die städtischen Rechnungen", erzählt Glas. Als er sie entdeckte, wusste er: Die "Häuserchronik von Alt-Forchheim", die Pfarrer Martin Förtsch in den 50er Jahren geschrieben hatte, würde keinen Bestand mehr haben.
Bis in das Jahr 1406 gehen diese Aufzeichnungen über die städtische Steuer (das sogenannte Vorausgeld) zurück. Ab 1560 sind sie Steuerlisten sogar lückenlos im Stadtarchiv dokumentiert. Da es keine Hausnummern gab, wurden die Listen ab 1561 nach den 22 Gassen eingeteilt. Jede Gasse hatte einen Hauptmann, der die Steuern eintrieb und darüber berichtete.
Reinhold Glas hat die Gassen und die Besitzverhältnisse komplett in Excel-Tabellen angelegt; er hat Lehensbücher und Kataster des bischöflichen Steueramtes durchforstet; er hat die auf den Häusern lastenden Kapitalien (sozusagen Hypotheken) nachvollzogen; er hat die Ratsprotokolle gelesen, die Bände des Stadt-Richters - und hat noch viele weitere Quellen beleuchtet, wie etwa das "Seelenverzeichnis der Pfarrei St. Martin".
Nun wird er in seinem Buch erzählen können: welche Familiennamen zwischen 1544 und 1808 welchen Häusern zuzuordnen sind; wie Stiftungen entstanden sind und wie sie zu Geld kamen; wie viele "freieigene Bürger" es in Forchheim gegeben hat; wie sich der Fürstbischof durch Lehensherrschaft seine Macht in der Stadt erweitert hat - und so fort.
Das allermeiste, was Reinhold Glas zu erzählen hat, war bislang unbekannt. Und so manches, was bekannt schien, muss korrigiert werden. Etwa die Geschichte des Reuther Tores. Aus dem Jahr 1562 soll es sein, so will es die offizielle Heimatgeschichte bislang. Doch Glas weiß, dass es das Tor schon 1482 gab. "Das spiegelt sich in den Urkunden wider."