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Diskussion in Forchheim zum Thema "Würdevolles Sterben"


Autor: Pauline Lindner

Forchheim, Mittwoch, 24. Juni 2015

Bundestagsabgeordneter Andreas Schwarz (SPD) und Petra Ernstberger, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, sprachen in Forchheim über das Thema "Würdevolles Sterben".
Die Diskussionrunde mit dem Bundestagsabgeordneten Andreas Schwarz am Pult Foto: Pauline Lindner


Ein 66-jähriger Mann stürzte vor 27 Jahren in den Bergen 70 Meter tief ab. Er erinnert sich, wie er per Hubschrauber geborgen wurde, dass er sich von aller Materie losgelöst gefühlt hat. Beim Aufwachen auf der Intensivstation, so erinnert er sich weiter, war sein erster Gedanke: Jetzt musst noch einmal sterben. Seither hat er keinen Schritt mehr ohne Schmerzen getan. Er plädierte bei der Diskussionsrunde der SPD, zu der MdB Andreas Schwarz in die Volksbank eingeladen hatte, auf das Recht, seinen Todeszeitpunkt selbst bestimmen zu dürfen, "dass ich den Giftbecher trinken darf".

Sein Schicksal ist außergewöhnlich, in dem Sinne, dass es kaum umfasst sein kann von einer gesetzlichen Neuregelung zur Sterbehilfe. Fünf Gesetzesentwürfe liegen dem Bundestag vor; nächste Woche findet die erste Lesung statt. Die Entscheidung soll bis zum Winter fallen. Ganz bewusst gibt es zu diesem Thema keinen Fraktionszwang und auch die Entwürfe wurden parteiübergreifend eingebracht.

Parlamentarische Geschäftsführerin

"Ich habe mich noch nicht entschieden", bekannte MdB Petra Ernstberger, die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, die die Politik im Diskussionsforum vertrat. Drei Aspekte des komplexen Sachverhalts sind ihrer Meinung nach zu bedenken: Menschen, die den Mut zum Leben verloren haben. Sie im Stich zu lassen, sei nicht vereinbar mit Humanität. Deshalb fordert sie, Hospizarbeit und Palliativmedizin zu stärken. Sie hat Angst, dass Menschen aus sozialen Gründen in einen Wunsch nach Sterbehilfe "hineinrutschen". Als drittes sieht sie die Schmerzfreiheit. Hier braucht es Ernstberger zufolge teilweise standesrechtliche Änderung für die Ärzte, damit diese Rechtssicherheit haben. Dasselbe wünscht sich ein Mann, der sich als Leukämie-Patient outete: "Ich beneide keinen, der die gesetzliche Entscheidung treffen muss."

Juristische Bewertung

Die "juristische Bewertung einer Existenzfrage" oblag Heinz Kuntke, dem Vizepräsidenten des Landgerichts Bamberg. Er betonte, dass die Rechtsprechung und auch die Fachliteratur sehr uneinheitlich und die Begriffe nicht genau definiert seien. Auf der sicheren Seite steht für ihn der Arzt, der ein Medikament zur Linderung verabreicht, das aber zum Tod führen kann. Bei allen fünf Entwürfen sieht er reichlich juristische Fragen. "Als Praktiker plädiere ich dafür, alles zu lassen, wie es geregelt ist."

"Katastrophales Scheitern des Menschen"

Dekan Günther Werner sieht den Selbstmord als "katastrophales Scheitern des Menschen". Er setzt sich - auch unter dem Aspekt von Diakonie und Caritas - für einen Schutz des Lebens am Anfang und am Ende ein. Er befürchtet, dass sich der Druck auf Angehörige und Schwerstkranke erhöht, wenn die Sterbehilfe erlaubt würde. Das nennt er drastisch "soziale Hinrichtung". Früher gab es, so Werner, eine andere Präsenz des Sterbens, danach kam die gesellschaftliche Tabuisierung.

Leiter der Palliativstation

Jörg Cuno, der Leiter der Palliativstation des Klinikums Bamberg, war der Praktiker am Podium. Er sieht das Thema sehr differenziert, gerade weil viel Begriffsverwirrung herrsche. "Aktive Sterbehilfe hat als therapeutisches Ziel, den Tod herbeizuführen", stellte er klar. Das sei keinesfalls das Gleiche wie das Beenden von lebensverlängernden Therapien: "Das heißt zulassen, dass jemand stirbt. Und auch sprechen über sterben dürfen." Cuno betonte im Hinblick auf das geschilderte Schicksal des Mannes, dass es - in Deutschland - erlaubt sei, den Giftbecher zu trinken: "Es gibt das Recht zu leben, aber nicht die Pflicht zu leben."