Druckartikel: Die Spuren einer jüdischen Familie in Oberfranken

Die Spuren einer jüdischen Familie in Oberfranken


Autor: Ekkehard Roepert

Forchheim, Samstag, 03. November 2012

Die Frankfurterin Inge Geiler hat das Schicksal der Familie Grünbaum erforscht: Die Spuren führten von Hessen nach Oberfranken.
Die in Forchheim aufgewachsene   Elise Grünbaum mit  mit ihrem Mann Meier Grünbaum    und den beiden Kindern  Meta und Max. Foto:p


Die 1860 geborene Elise Grünbaum wuchs in Forchheim auf und wurde 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Sie war die Tochter von Michael Löb Kleemann, der von 1860 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1907 in der jüdischen Gemeinde Forchheim als Religionslehrer gewirkt hatte.

Die Frankfurterin Inge Geiler hat Licht in das ungeheuerliche Schicksal der Familie Grünbaum gebracht. "Wie ein Schatten sind unsere Tage" heißt die Familiengeschichte, die nach fünfjähriger Recherche entstand. "Das ist auch ein Stück Forchheimer Geschichte", sagt ist die 77-jährige Autorin, die am 9. November nach Forchheim kommen wird. Ihre Lesung werde auf die Geschwister von Elise Grünbaum ausgerichtet sein, sagt Inge Geiler.
Nach Isaak Julius (1856 geboren) und Babette (1857 geboren), ist Elise das dritte Kind von Michael Löb und Amalie Kleemann. Nach Elise kamen in Forchheim noch ihre Geschwister Samuel (1862), Julie (1864) und Wilhelm (1869) zu Welt.

Am Beispiel der Grünbaums beschreibt Inge Geiler, was die Verfolgungspolitik der Nazis für den Alltag einer jüdischen Familie bedeutete. "Wie man damals leben musste, das habe ich vor allem an Hand der Verfolgungsgesetze geschildert", sagt Inge Geiler.

Ihre Kombination aus politischer Geschichte, eingewoben in eine Familiengeschichte, hat eingeschlagen.

Seit August wird Inge Geiler mit Einladungen zu Lesungen überschüttet, ihr Buch wird demnächst ins Englische übersetzt.

Die Recherche hatte die Autorin schon 2010 von Hessen nach Oberfranken geführt. In Forchheim lernte sie den Historiker Rolf Kießling kennen, dessen Kenntnisse über das Schicksal der Forchheimer Juden das Werk von Inge Geiler bereichert haben.

In Forchheim wird Inge Geiler nicht nur Einblicke in ihr Buch, sondern auch in dessen abenteuerliche Entstehungsgeschichte geben. Bei der Renovierung ihres Hauses im Frankfurter Westend waren Handwerker hinter einer Heizung auf vergilbte Papierfetzen gestoßen. Hinter der Wandverkleidung entdeckte Inge Geiler dann 47 Briefe, Postkarten, Fotos, Urkunden, Verlautbarungen und handgeschriebene Zettel. Erst zwei Jahrzehnte nach diesem Fund fühlte sich Inge Geiler in der Lage, ihre Recherche zu beginnen.

Im August 1942 hatten die Nazis das über 80 Jahre alte Ehepaar Elise und Meier Grünbaum aus jener Wohnung in der Liebigstraße 27 b abgeholt, in dem Inge Geiler heute wohnt. Während Elise und Meier Grünbaum auf die Deportation nach Theresienstadt warten mussten, schrieb sich Meier Grünbaum seine Not von der Seele und versteckte die Zettel hinter der Heizung.

"Was Inge Geiler herausgefunden hat, liefert einen ganz wichtigen Baustein über die Verfolgungssituation der Juden", sagt der Forchheimer Historiker Rolf Kießling. Er weist auf die exzellenten Quellen hin, die Inge Geiler hatte aufspüren können.

Unter anderem zeigen die Briefe von Elises Bruder Wilhelm, welch brutalem Verfolgungsdruck die Juden ausgeliefert waren. "Vor der Deportation wurde ihnen das Leben zur Hölle gemacht", sagt Kießling: "Meier Grünbaum hat diesen Verfolgungsdruck nicht ausgehalten, ist depressiv geworden und zusammengebrochen."
Elise Kleemann hatte als junge Frau Forchheim verlassen, um den Bankier Meier Grünbaum zu heiraten und in Wiesbaden zu leben. Von den Nazis gezwungen, musste das Ehepaar später nach Frankfurt umziehen - in das Haus in der Liebigstraße, das damals eine Pension war. Ihre beiden Kinder hatten Elise und Meier Grünbaum längst verloren: Sohn Max war im Ersten Weltkrieg gefallen, Tochter Meta starb 1918 an der spanischen Grippe.

Wirkliche Größe


Inge Geiler wird bei ihrem Forchheim-Besuch am 9. November auch die jüngeren Geschwister von Elise Grünbaum in Erinnerung rufen. Wilhelm hatte berufsbedingt Forchheim nach einer Banklehre verlassen, ging nach Berlin und emigrierte 1933 nach Amerika. Sein Bruder Samuel besaß vorübergehend die Farbenfabrik Kreul. "Gerade Wilhelms Verhältnis zu Forchheim zeigt wirkliche Größe", sagt Inge Geiler. Denn Wilhelm Kleemann blieb trotz des Leids, das seiner Familie in Deutschland angetan wurde, seiner Geburtsstadt ein Leben lang verbunden. Schon als junger Mann hatte Wilhelm mit seinem Bruder Samuel in Forchheim eine Stiftung ins Leben gerufen.

Nach dem Krieg unterstützte Wilhelm Kleemann die örtliche Kirche. Autorin Inge Geiler charakterisiert den Wohltäter als "großherzigen und liebenswerten Menschen". Er erhielt den Ehrenring der Stadt Forchheim im Jahr 1966. Und starb drei Jahre später als Hundertjähriger.