Die Revolution aus dem Fass
Autor: Nikolas Pelke
Pretzfeld, Freitag, 07. Juni 2013
Eine neue Brauer-Generation pfeift auf das Reinheitsgebot. Im Holzfass reifen edle Spezial-Biere heran, die wahnsinnig stark sind. Nicht nur im Geschmack, sagt Mike Schmitt.
Lautlos schleicht sie heran: die Bier-Revolution. In dunklen Kellern treffen sich die "Verschwörer", blasen heimlich, still und leise zum Sturm auf das Glaubensbekenntnis der Biertrinker: das bayerische Reinheitsgebot.
"Ausgeflippt" nennt selbst Mike Schmitt das, was in seiner Nikl-Brauerei in Pretzfeld in schweren Ungetümen aus Holz lagert. Wo früher Bierkisten herumstanden, reihen sich heute die Holzfässer wie in einem Weinkeller aneinander. "Darin lagert ein heller Doppelbock, der mit Williams-Birnen vergoren wurde", sagt Schmitt und zeigt auf ein Barrique-Fass, in dem bis vor kurzem noch Bourbon-Whiskey aus Kentucky reifte. "Old Django" nennt der Mike deshalb sein, ja was eigentlich? "Bier darf ich es nicht nennen, weil es nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wird."
Nicht Bier? Nicht nach dem Reinheitsgebot? "Was für ein Scharlatan", denken Sie? Mitnichten! Die Bier-Revolutionäre wollen nicht demselben, sondern der Einheitsplörre an den Kragen wollen.
Die Reinheit als Monstranz
"Viele Brauereien haben sich zu lange hinter dem Reinheitsgebot versteckt und Einheitsbiere produziert", sagt ein großer Mitverschwörer der Bier-Revolution, Werner Glossner, Geschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Privatbrauereien. Die Brauer haben es vor-, die Trinker haben es nachgebetet: Gerste, Hopfen und Malz - Gott erhalt's. Reinheit als Monstranz. Denn Biertrinker sind eher konservativ wie die Pius-Brüder.
"Ausgerechnet die Amerikaner, die doch für ihr Dünnbier berüchtigt sind, haben uns gezeigt, dass man auch wesentlich kreativer beim Brauen sein kann, ohne das Reinheitsgebot zu verletzten", sagt Glossner.
Deshalb gehen junge, wilde Braumeister wie Mike Schmitt auf die Bier-Barrikaden. Proben den Aufstand.
Schneiden alte Zöpfe ab. Wollen mehr als Hell und Dunkel, Bock und Weizen. Ein teuflischer Bierpanscher ist der Braumeister aus Pretzfeld ganz und gar nicht. Warum? Nur mit Naturprodukten kreiert er seine Fantasie-Biere, die außerhalb des reinheitsgebotgläubigen Deutschland ohne mit der Wimper zu zucken als B-I-E-R durchgehen. Wie das geht, ohne mit künstlichen Aroma-, Konservierungs- oder Zusatzstoffen zu hantieren? Basis der neuen Biervielfalt ist - Gott sei's gedankt - immer noch Bier. Sogar ein saustarkes. Bock bis Doppel-Bock. Warum? Der Alkohol macht das Bier länger haltbar. Das Stark-Bier reift nicht kurz in Stahltanks, sondern ruht monatelang in Holzfässern, in denen zuvor Sherry, Wein oder Whiskey schlummerten.
Bloß nicht die Fässer spülen
"Wir spülen die gebrauchten Holzfässer bewusst nicht mit Wasser aus. Wir wollen ja schließlich den ganzen Geschmack aus den alten Sherry-, Wein- oder Whiskeyfässern herausbekommen", erzählt Mike Schmitt weiter. Je stärker das Bier, desto besser nimmt es den Geschmack der alten Fässer an. Der zweite Vorteil: Das Bier hält sich dadurch länger.
Die fassgereiften Revoluzzer-Biere sind nicht von schlechten Eltern. Über acht Prozent haben die meisten Kreationen. Manche sogar über zehn. Als Durstlöscher sind die neuen Biere also nicht sonderlich geeignet.
Was das Fett für die Wurst, sei der Alkohol für das Bier. Der Geschmacksträger eben, sagt Georg Rittmayer von der gleichnamigen Brauerei in Hallern dorf. Aus einer "Bierlaune" heraus hat Rittmayer bereits vor Jahren damit angefangen, superstarke Biere monatelang in Holzfässern zu lagern. Auch Norbert und Luitgard Winkelmann vom "Brauhaus am Kreuzberg" bieten ein fassgelagertes Whiskey-Bier unter dem englischen Pseudonym "Tullycross" an.
Die aufständischen Braumeister haben als Zielgruppe die Weinkenner im Visier, die auch ein guten Tropfen Hopfen zu schätzen wissen. Das Trinkverhalten funktioniert bei den neuen Biersorten eher so nach dem Motto "Gemeinsam genießen". Das liegt laut Werner Glossner voll im Trend. "Wir haben immer mehr Menschen, die den absoluten Genuss suchen." Diese Hedonisten seien auch bereit, beim Preis ein bis zwei Augen zu zudrücken.
Die Bier-Revolution aus dem Fass sei "die große Chance" für die kleinen Brauereien aus Franken. "Ein Bier, das konstant nach nichts schmeckt, billig und immer billiger herzustellen, das können die großen wirklich viel besser als die kleinen Brauereien", sagt Glossner und schwärmt von der neuen Braumeister-Generation, die individueller, wilder und entschlossener ist, neue Wege zu gehen.
Rittmayer braut neuerdings ein alltagstaugliches Spezial-Bier, das sich nicht dem Massengeschmack anbiedert. Nicht weichgespült für den Massengeschmack. Das "Bitter 42" schmeckt - genau: extrem bitter. Jedenfalls für Zungen, die das 0815-Bier aus dem Sauerland gewohnt sind. Norbert Winkelmann vom Kreuzberg-Brauhaus will sein elegantes Stark-Bier nicht wie die "Konkurrenz" in 0,75 sondern in 0,33 Liter-Flaschen abfüllen, um den Kunden beim Preis entgegenzukommen.
Nikl träumt von IPA
Und der andere Revolutionär im Bunde? "Ich will demnächst ein Indian Pale Ale brauen." Dieses extrem gehopfte Stark-Bier hätten die Briten früher in ihre Überseegebiete verschifft. In den Kolonien sollte das "IPA" wieder zurück verdünnt werden. Gemacht haben sie es nicht. Weil Holzfässer teuer sind, setzt Schmittt auf "Crowd-Funding". Wer ihm ein Fass finanziert, bekommt nach zwei Jahren das Geld plus Zinsen zurück. Als Rendite winkt kein schnöder Zaster sondern der besondere Tropfen aus dem Fass.