Druckartikel: "Die größte Gefahr ist der Mensch"

"Die größte Gefahr ist der Mensch"


Autor: Sabrina Friedrich

Ebermannstadt, Freitag, 22. August 2014

In seinem Flugzeug hoch über den Wolken fühlt sich Michael Zistler zu Hause. Das Bewusstsein für die Gefahren in der Luft hat sich der Pilot, Fluglehrer und Kunstflieger aus Ebermannstadt selbst nach 30 Jahren bewahrt.
Rund 150 Stunden ist Michael Zistler pro Jahr in der Luft.  Foto: Matthias Hoch


Der Motorflieger steigt höher und höher. Die Häuser werden winzig klein, die Autos sehen ein bisschen so aus wie Ameisen. Hier oben fühlt sich der Pilot Michael Zistler am wohlsten und das seit über 30 Jahren.
Aus seiner Heimat im Schwarzwald hat es ihn nach Ebermannstadt verschlagen, wo er seit Mai 2013 Schulleiter, Ausbildungsleiter und Geschäftsführer der Fränkischen Fliegerschule Feuerstein ist.

Wie viele Stunden Sind Sie pro Jahr in der Luft?
Zistler: Nur noch etwa 150. Als Vertriebschef eines Flugzeugherstellers sind es früher fast 500 Stunden gewesen. Es ist weniger geworden, aber das ist okay, denn ich mache ja jetzt die Kunstflugausbildung, die Prüfungsvorbereitungsflüge und begleite die Flüge als Ausbildungsleiter.

Wie sind Sie zur Fliegerei gekommen?
Mir ist mal eine Liebesbeziehung in die Brüche gegangen und dann dachte

ich: "Menschenskinder, wie kannst du das jetzt am besten überwinden? Machst mal was ganz Verrücktes!" Ich fing an, eine Segelflugausbildung zu machen, damals in meinem Heimatort im Schwarzwald und dann bin ich geflogen. Das war im November 1980. Da war ich 20 Jahre alt. Mein Leben hat sich dann mit der Zeit immer stärker um die Fliegerei gedreht.

Sie haben sich dann intensiver mit dem Kunstfliegen beschäftigt - war das normale Fliegen zu langweilig geworden?
Nein (lacht). Ich kam 1984 zur Bundeswehr, wo mich mein erster Weg natürlich zum Flugplatz geführt hat. Und da sah ich ein spezielles Kunstflugzeug, in das ich mich sofort verliebt habe. Also habe ich mich sofort zur Kunstflugausbildung angemeldet. Vom ersten Kunstflug-Start 1984 bis heute fliege ich mit ständig wachsender Begeisterung.

Und mit wachsendem Erfolg.
Ja. Ein paar Jahre war ich in der Nationalmannschaft der Kunstflieger, wir sind Welt-, Europa- und viele Deutsche Meisterschaften geflogen. Ich war gut 15 Jahre lang ein sehr aktiver Wettbewerbspilot und jahrelang zudem auch Referent für Segelkunstflug im Deutschen Aeroclub.

Was gefällt Ihnen an der Arbeit auf dem Feuerstein am besten?
Es ist die Kombination aus Fliegen, Lehren, Organisieren und dem Entwickeln einer Flugschule. Ich möchte nicht nur in einem einzigen Bereich tätig sein.

Was ist für Sie das Schwierigste an der Ausbildung?
Immer die richtige Ansprache zu finden und didaktisch die richtige Methode zu wählen. Die Flugausbildung ist zwar inhaltlich standardisiert, aber trotzdem sehr individuell. Jeder hat andere Fähigkeiten und Schwierigkeiten.
Was hat Sie beim Fliegen selbst
am meisten herausgefordert?
Alles ist gut, solange ich den Knüppel in der Hand und das Gefühl habe, die Situation im Griff zu haben. Aber du kannst die Risiken des Lebens nicht ausschließen. Ich bin hunderte Tage als Kunstflieger im Einsatz gewesen und die Leute haben sich vor Schreck die Hand vor den Mund gehalten und gesagt: "Oh, das ist aber ganz schön riskant!" Dann bin ich mit dem Fahrrad gestürzt und hatte elf Operationen, nur weil ich mit dem Vorderrad in eine Schiene am Bahnübergang reingefahren bin.

Sind Sie als Pilot selbst auch schon mal in eine brenzlige Situation geraten?
Ja, das bleibt nicht aus, wenn du soviel fliegst. Da ist mal ein Motor geplatzt oder du bist mal tief gekommen im Streckensegelflug. Ein Problem kann auch sein, dass wir uns beim Thermikfliegen manchmal sehr nahe kommen in der Luft. Aber das Risiko geht man ein. Die größte Gefahr im Fliegen stellt nie die Technik dar, sondern die Grenzen des menschlichen Leistungsvermögens.

Überschätzen einige ihre Fähigkeiten?
Manchmal. Im motorgetriebenen Bereich ist der Einflug in schlechtes Wetter immer noch die Hauptunfallursache. Es ist zwar ganz einfach, im Nebel Auto zu fahren, weil du weißt, wo oben und unten ist. Beim Fliegen im Nebel bist du nach rund 28 Sekunden völlig orientierungslos. Du weißt nicht mehr, wo oben und unten ist. Man hat in einer solchen Situation keine Chance. Es ist eigentlich unglaublich.

Das ist Ihnen aber noch nicht passiert, oder? Sonst würden Sie wahrscheinlich nicht hier sitzen.
Nein. Man wird zu schnell und dann zerlegt es das Flugzeug. Ich darf mich nie in solche Situationen bringen und mich niemals von Terminen oder dem Druck, schnell ankommen zu wollen, beeinflussen lassen. Ein einfaches Beispiel, das nicht nur fürs Fliegen gilt: Du startest mit zwei Eimern: Erfahrung und Glück.

Was soll das die Piloten lehren?
Am Anfang ist der Eimer mit Glück voll und der mit Erfahrung leer. Jetzt muss der Pilot schauen, dass der Eimer mit Erfahrung voll wird, bevor der mit Glück leer ist. Das ist eine ganz einfache Philosophie. Sei am Anfang vorsichtig, mach langsam und handle aufmerksam und überlegt, bis du die Erfahrung hast und ein Bewusstsein für Situationen entwickeln kannst.

Darauf kommt es beim Fliegen an?
Das zu vermitteln halte ich in der Ausbildung für wichtiger als das reine Fliegen. Das ist für mich eigentlich eine Nebensächlichkeit. Ich kann jedem beibringen, wie man ein Flugzeug steuert. Aber die Einstellung, mit der man das Fliegen betreibt, das ist eine eigene Geschichte.

Sie haben den Landkreis schon oft aus der Luft fotografiert. Wie entstehen diese Bilder?
Wenn ich in der Luft bin und etwas Interessantes sehe, mache ich ein Bild mit meinem Handy. Das können ganz unterschiedliche Motive sein: ein Regenbogen, besondere Wolkenformationen oder die Ausgrabungsstätte bei Eschlipp. Besonders schön sieht es aus, wenn sich der Nebel in die Ebene hängt und der Schießberg herausschaut.

Wo sind Sie die meiste Zeit unterwegs?
Unsere Ausbildungsflüge gehen zu den umliegenden Fluplätzen wie Nürnberg, Coburg oder Erfurt. Mir gefallen diese Gegend und der Dialekt sehr. Wir bieten unseren Kunden, die den Schein schon haben, auch geführte Flüge an, zum Beispiel nach Vilshofen oder in die Alpen an den Lago Maggiore.

Wohin ging Ihr bisher schönster Ausflug?
An die dänische Südsee. Wir sind in Flensburg gestartet und haben kleine dänische Inseln angeflogen, das war klasse. Ich kenne Deutschland aus der Luft wie meine Westentasche - für mich ist die Nordsee das Faszinierendste, was wir haben. Ich kann mich nicht daran sattsehen.

Wo möchten Sie gern noch hinfliegen?
Ich würde gerne mal ans Nordkap. Auch Marokko ist ein fliegerisches Ziel von mir. Außerdem würde ich gern später mal mit meinem Sohn an einer Kunstflug-WM teilnehmen.

Also haben Sie Ihr Talent und Ihre Leidenschaft an ihn weitergebeben?
Ja, er ist jetzt 21 und als Pilot in meine Fußstapfen getreten. Das ist ein schon ein schönes Gefühl. Das hat gar nichts mit Stolz zu tun. Es ist einfach toll zu sehen, wie sich der Kreis schließt. Der andere Sohn will vom Fliegen dagegen gar nichts wissen. Das ist natürlich auch okay.

Hat sich Ihre Einstellung zum Fliegen mit den Jahren verändert?
Die Fliegerei fasziniert mich heute immer noch, weil man nie aufhört, sich weiterzuentwickeln. Jeder Flug ist anders. Ich habe viele Jahre versucht, gut fliegen zu können, das Flugzeug in allen Situationen zu beherrschen. Heute interessiert es mich viel mehr, meine Erfahrung und Begeisterung weiterzugeben.

Die Fliegerei ist für Sie also weit mehr als Hobby und Beruf?
Fliegen hat für mich etwas Philosophisches: diese Distanz, diese Übersicht, dieses Gelöst-Sein. Ich fühle mich hier daheim. Klar ist es nicht immer so unbeschwert. Es ist mein Job und manchmal gibt es auch anstrengende Flüge. Aber trotzdem fühle ich mich dort oben wohl und gut aufgehoben. Ich glaube, ich gehöre da hin.

Das Gespräch führte
Sabrina Friedrich.