Druckartikel: Der Motorradfahrer fiel nicht vom Himmel

Der Motorradfahrer fiel nicht vom Himmel


Autor: Pauline Lindner

Forchheim, Donnerstag, 28. Juni 2018

Vor dem Amtsgericht Forchheim stand ein Rentner wegen gefährlicher Körperverletzung. Der vor Gericht uneinsichtige Autofahrer hatte einen Biker übersehen.
Das Amtsgericht Forchheim Foto: Jennifer Hauser


Auf der Kreisstraße in der Nähe des Flugplatzes Feuerstein ereignete sich im vergangenen Sommer ein schwerer Verkehrsunfall zwischen einem Audi A3 und einem Motorrad. Der Autofahrer bog aus dem dortigen Wanderparkplatz auf die Straße ein, als er mit dem Zweirad kollidierte. Die Staatsanwaltschaft beurteilte das Geschehen als Vorfahrtsverletzung durch den Autofahrer. Der Rentner erhielt daraufhin einen Strafbefehl zu 50 Tagessätzen. Gegen diesen legte er Einspruch ein, so dass der Sachverhalt von Amtsrichterin Silke Schneider zu verhandeln war.

Aus der Perspektive eines Zufallszeugen, der mit seinem Motorrad auf dem Parkplatz stand, spielte es sich so ab: Er sah einen Motorradfahrer vorbeifahren. Dann kam das Auto und stieß rückwärts in den Parkplatz, um zu wenden und anschließend vorwärts wieder in die Kreisstraße einzufahren. Während der Zeuge das Wendemanöver im Blick hatte, sah er den Motorradfahrer von vorher wieder zurückkommen. Trotz Bremsens mit beiden Bremsen prallte das Motorrad auf den ganz langsam fahrenden Audi, der sich in der Mitte der Straße auf beiden Fahrbahnen befand.


Auf das Heck geschleudert

Der Fahrer wurde vor das Heck geschleudert. Er erlitt einen Bruch der linken Kniescheibe, eine lange Wunde am Bein und viele Schürfwunden. Er musste operiert werden. Der Heilungsprozess dauerte acht Wochen, aber das Fußballspielen muss der junge Mann bis heute aufgeben. Die Versicherung des Angeklagten zahlte ihm außergerichtlich ein Schmerzensgeld von 9500 Euro.

Mit dem Einspruch hatte der Angeklagte auch die Einschalten eines Kfz-Sachverständigen gefordert. Doch dessen Gutachten bestätigte den Hergang mit seiner Vorfahrtsverletzung, wie ihn die Staatsanwaltschaft dem Strafbefehl zugrunde gelegt hatte. "Für den Motorradfahrer war der Unfall nicht vermeidbar", war das Fazit des Sachverständigen. Denn: Das Ausfahrmanöver dauert nur vier Sekunden, und erst wenn das Auto in die Fahrbahn der Kreisstraße rollt, wird es zu einer Gefahrenquelle für den Motorradfahrer, auf die er reagieren muss.


Anderes behauptet

Der Angeklagte dagegen behauptete, er habe zwar so gewendet, sei aber auf der Straße bis zu einer Minute gestanden, weil er Erdarbeiten auf seiner Wiese beobachtet habe. "Vielleicht sehen Sie jetzt ein, dass Sie etwas übersehen haben. Sie wollten ein Gutachten. Jetzt kommt etwas anderes heraus, als sie dachten, und das passt ihnen wieder nicht", reagierte die Richterin auf das beharrliche Leugnen der Möglichkeit eines Fehlers seitens des Autofahrers. "Ich habe nichts übersehen", war seine prompte Antwort.

Angesichts des "selten so schlüssigen Bilds durch die Zeugenaussagen" bescheinigte ihm der Sitzungsstaatsanwalt "Realitätsferne". Dabei lag für ihn das angeklagte Delikt in der Kategorie "Das hätte auch mir passieren können. Jeder macht mal einen Fehler, übersieht etwas." Er forderte für den uneinsichtigen Rentner eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 50 Euro und einen Monat Fahrverbot.

Dessen Verteidigerin Lucia Sperber brachte den toten Winkel beim Blick nach rechts durch den Beifahrersitz und die Metallstrebe zwischen den Seitenfenstern ins Spiel. "Das Motorrad sehend herauszufahren wäre selbstmörderisch gewesen." Das Urteil lautete auf 70 Tagessätze.

Dazu erläuterte Schneider: "Sie haben ihn übersehen; der Motorradfahrer war da und ist nicht vom Himmel gefallen. Das sind Fakten." Und dass die Versicherung gezahlt habe; bei Gericht wisse man aus vielen Zivilprozessen, wegen welcher Dinge sich Versicherungen zu zahlen weigerten.