Druckartikel: Der Gesang schwebte im Raum

Der Gesang schwebte im Raum


Autor: Hannsotto Neubauer

Gößweinstein, Montag, 22. Oktober 2018

Der Balthasar-Neumann-Chor in Gößweinstein stellte bei seinem Abschlusskonzert in der Basilika Gößweinstein den englischen Komponisten Henry Purcell in den Mittelpunkt.
Das Konzert wurde zu einem großen Erlebnis für die Zuhörer.  Foto: Barbara Herbst


Was verbindet Gößweinstein mit Baden-Baden, Basel, Berlin, Brüssel und Tokio? Die gleiche Seite im Terminkalender des Balthasar-Neumann-Chores.

Der Auftritt der Weltklasse-Musiker wurde, wie schon im Vorjahr, zum Höhepunkt der 2. Balthasar-Neumann-Musiktage in der Basilika von Gößweinstein.

Das Eröffnungskonzert im intimen Fürstensaal hatte mit einem kammermusikalischen Abend die Zuhörer auf die Spuren Amors mit barocken Arien und virtuosen Musik gelockt.

Am zweiten Abend hatte in der Basilika eine musikalische Reise durch das barocke Italien geführt. Das Michaelis Consort aus Leipzig stellte die Breite und Vielfalt italienischer Barockkomponisten vor, deren Klangbilder die Musikwelt der Zeit stark beeinflussten, auch die von England.

Englischer Hochbarock

So lag es nahe, dass Henry Purcell, der bedeutendste Komponist des englischen Hochbarocks, im Mittelpunkt des Abschlusskonzerts stehen sollte. Doch Olof Boman, der Leiter des Balthasar-Neumann-Chores, machte es spannend. Er stellte erst einmal eine zeitgenössische Komponistin aus seiner Heimat Schweden vor. "Do not fear the darkness", habe keine Angst vor der Dunkelheit, den dort ruht das Licht, mit der Vertonung der Worte von Erik Blomberg, gibt die Komponistin Karin Rehnqvist das Motto des Abends vor. Der Mensch bewegt sich in Spannungsfeldern. Licht und Schatten, Himmel und Erde, Freude und Leid.

Henry Purcell ist vor allem als der Hofkomponist des englischen Königs mit entsprechend prächtiger Musik bekannt. Aber ebenso war er als Organist der Westminster Abbey der geistlichen Musik verpflichtet. Auch auf diesem Feld schuf er liturgische Werke von feierlicher Schönheit.

Doch seine besondere Liebe galt geistlicher Andachtsmusiken für den privaten Gebrauch. Entsprechend schlicht ist die Instrumentierung. Michael Behringer (Orgel), Frauke Hess (Gambe), und Joachim Held (Theorbe), gaben das musikalische Fundament.

Sologesänge in den Andachtsmusiken

In einem lateinischen Text beklagt der gläubige Mensch die Zahl der Feinde, denen er gegenübersteht. Vom ersten Ton an fesselt der Chor durch seine unüberbietbare Präzision und Dynamik. Kleinste Andeutungen des Dirigenten werden umgesetzt. Gott erhört die verzagten Wechselgesänge und befreit die Gläubigen von ihren Feinden in einem Zusammenströmen der Stimmen. Die intensiv gemalten Tonbilder lassen den Inhalt der Texte ahnen, zu denen keine deutschen Übersetzungen greifbar sind. Typisch für Purcells Andachtsmusiken sind Sologesänge. Der Tenor Jakob Pilgram stellt mit schmerzlich bewegter Stimme die Frage "Lord, what is man?" Herr, was ist der Mensch? Er verdient es gar nicht, dass Gott für ihn auf die Erde kommt. Die Antwort erfolgt in einer Dankesarie mit tänzerischen Sequenzen und einem endlosen Alleluja.

Diese oft spontanen Stimmungswechsel sind eine Herausforderung für die Sängerinnen und Sänger, die mit souveräner Gestaltung die Zuhörer in Spannung halten.

Das gelingt auch Agnes Kovacs mit dem "Peaceful is he and most secure" von John Blow, dem Lehrer von Purcell. Mit warmem Sopran gibt sie sich als christlicher Mensch auch bei Notlagen in die Hände Gottes. Sie weiß, dass sie mit einem Lächeln sterben kann. Auch im Unglück auf Erden ist der Himmel sicher. Die Sängerin lächelt unter Tränen.

Ein fröhliches Gegenstück dazu ist Henry Purcells "Now the night is chas'd away". Die dunkle Nacht ist vorbei, ein Tag voller Freude kann beginnen. Dunkle Passagen münden in ausgelassene Rundgesänge des Chors. Mitreißende Heiterkeit, die Purcell auch als volkstümlichen Komponisten zeigt.

Japanische Kurzgedichte

Der in der schwedischen Musikszene hoch angesehen Olof Boman hat seinen Landsmann David Swärd beauftragt, japanische Kurzgedichte zu den Jahreszeiten zu vertonen.

Expressive Tonfolgen, die sich frei von den Gesetzen der Harmonie bewegen, kurz klingt eine Melodie an, die sich in lautmalerische Wortfetzen verliert. Immer wieder tauchen Wortspielereien mit den Begriffen für die Jahreszeiten auf. Dumpf der Winter, im Frühlingswind Stimmen, die wie Porzellanglocken klingen, leises Summen im Herbst, stete Tempowechsel im sich ankündigenden Winter. Für den Chor eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, die brillant gemeistert wurde, für die Hörer eine bereichernde Erfahrung. Der Komponist ist zur Aufführung des Werkes eigens aus Schweden angereist.

Die Rückkehr zur Musik Purcells führte zu wahren Freudenschreien des Tenors Hermann Oswald, der das Vergehen eines langen grausamen Winters triumphierend feierte.

Dagegen ist "The night is come" ein stiller Hymnus an die Vergänglichkeit. Jakob Pilgram und der Bariton Raimonds Spogis stellen mit sanfter Melancholie den Schlaf als des Todes Bruder dar.

Die oft als schwierig bewertete Akustik der Kirche optimal auszuloten, bereitete dem Chor hörbares Vergnügen. Im Gebet "Hear my prayer, o Lord" verteilt sich der Chor an verschiedenen Plätzen im Schiff der Basilika. Der leise flehende Gesang erfüllt den ganzen Kirchenraum. Der wunderbar schwebende Gesang im Zusammenklang mit der vollendeten Architektur wurde zum großen Erlebnis für die Zuhörer.

Schwedisches Volkslied als Abschluss

"O all ye people, clap your hands", das Loblied aus Psalm 47, fasste noch einmal alles zusammen, was die Musik Purcells auszeichnet: Intensität, Schönheit und tiefe Gefühle. Genau dieses hat der Balthasar-Neumann-Chor den begeisterten Hörern überzeugend vermittelt.

Doch ohne ein Volkslied aus seiner Heimat Schweden wollte Olof Boman die Basilika nicht verlassen. Rauschender Beifall. Die Balthasar-Neumann-Musiktage waren für das Initiatoren Team und ihrem Sprecher Toni Eckert ein großartiger Erfolg. Was hat Gößweinstein, was die anfangs genannten Städte nicht haben? Neumanns Basilika.