Bürokratie behindert Bürger-Engagement
Autor: Andreas Oswald
Forchheim, Donnerstag, 25. April 2013
Regularien der EU und des Bundes schränken Hilfen für bedürftige Menschen ein. Sogar der Mittagstisch, den die Caritas für Senioren angeboten hatte, wurde durch die formalistischen Hygieneverordnungen "abserviert".
EU-Bestimmungen zur Tomatengröße und Bananenkrümmung haben ja schon traurige Berühmtheit erlangt. Dass behördliche Regularien aber auch soziales Engagement vor Ort erschweren, ja teils zunichte machen, wissen meist nur die Betroffenen. Deshalb haben die evangelischen Pfarrer aus dem Dekanat Forchheim in unserer Aktion "Leser machen Zeitung" angeregt, die Auswüchse der Bürokratie auf die caritative Arbeit vor Ort in den öffentlichen Fokus zu stellen .
"Es ist gut, dass Sie mal darüber schreiben", sagt auch Peter Ehmann, der Geschäftsführer des Caritasverbandes für den Landreis Forchheim. An Beispielen für bürokratische Schildbürgerstreiche fehlt es ihm nicht: Angefangen von der Antragsflut zur Bewilligung von EU-Fördermitteln für die Flüchtlingsarbeit, über die Hygienerichtlinien, auf Grund denen die Mittagstische für Senioren "abserviert" werden mussten, über den
Die Schwierigkeiten, die gesetzliche Bestimmungen dem Sozialladen machen, zeigen am Augenfälligsten wie die Intention, bedürftigen Familien Nahrungsmittel zu erschwinglichen Preisen zu bieten, unnötig erschwert und verteuert wird.
3000 Euro Entsorgungskosten
Die von Firmen aus der Region gespendeten Lebensmittel, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) stehen oder dieses geringfügig überschritten haben, werden zu einem symbolischen Preis, in Höhe von 10 bis 15 Prozent des regulären Angebotes, an Personen mit Berechtigungsschein im Sozialladen verkauft.
"Wöchentlich haben wir rund zehn Tonnen Lebensmittel", erklärt Peter Ehmann. Rund 1400 Kunden pro Jahr kaufen ein - trotzdem bleiben immer wieder Lebensmittel in den Regalen. Die Entsorgung war früher kein Problem, betont der Caritas-Geschäftsführer: Joghurt, Käse, Obst oder Gemüse seien gerne von Schweine- oder Fischzüchtern zur Verfütterung abgeholt worden. Bis vor vier zirka Jahren von der Lebensmittelüberwachung der Hinweis gekommen sei, dass diese Nahrungsmittel unter das "Futtermittelgesetz" fallen würden. "Doch die damit verbundenen enormen Auflagen können wir nicht erfüllen", betont Peter Ehmann. Damit entstand das Problem der Abfallentsorgung.
Der Knackpunkt bei der Entsorgung verpackter Lebensmittel ist, dass Inhalt und Umhüllung getrennt werden müssen. "Entsorgen Sie mal fünf Paletten Joghurt", sagt Ehmann: "Da müssen sie erst alle Deckel aufreißen, den Inhalt in Tonnen schütten und die Becher in den gelben Sack werfen". Damit seien vier ehrenamtliche Kräfte eine ganze Woche lang jeden Vormittag beschäftigt gewesen. "Das war nicht mehr zumutbar". Jetzt entsorgt eine Firma aus Hirschaid den "Abfall mit Umverpackung", wie es im Behördenjargon heißt. "Dafür geben wir im Jahr zirka 3000 Euro aus", faßt sich Ehmann an den Kopf.
Zum Vergleich die Bilanz der guten Taten des Sozialladens: Bei einem Einkauf im Wert von zehn Euro in der Birkenfelder Straße würde der bedürftige Kunde für die vergleichbare Ware im regulären Handel 100 Euro bezahlen müssen.
Hochgerechnet auf 566 Haushalte, die 2012 im Besitz eines Berechtigungsscheines waren, bzw. die 1284 Personen - davon 469 Kinder - die vom Angebot des Sozialladens profitieren, sieht die Bilanz noch eindrucksvoller aus: "Zusammengerechnet sparen diese Leute sich jährlich einen Einkaufswert von zirka einer dreiviertel Million Euro", betont Peter Ehmann.
Berge von Formularen
Was den Caritas-Geschäftsführer noch auf die Palme bringt, ist der Berg von Anträgen und Verwendungsnachweisen. Die Formulare eines Verwendungsnachweises für die Betreuung von Asylbewerbern aus Mitteln des Europäischen Flüchtlingsfonds überschwemmen einen ganzen Bürotisch. "Das sprengt jeden Rahmen" betont Ehmann, der bereits Konsequenzen gezogen hat: "In nächster Zeit werden keine Europäischen Mittel mehr beantragt, solange keine Vereinfachung erfolgt".
Für einen Verwendungsnachweis für pflegende Angehörige sei ein zwölfseitiger Bericht erforderlich. "Damit sind zwei Verwaltungskräfte jeweils einen Tag beschäftigt - Personalkosten: 500 Euro".
Auch die ausufernde Dokumentationspflicht im pflegerischen Bereich, z.B. bei der vorgeschriebenen Aufklärung zur Sturzprophylaxe, prangert Ehmann an. Dieser Dokumentationsaufwand koste die Caritas im Landkreis Forchheim rund eine viertel Million Euro. "Das Geld wäre besser aufgehoben, wenn wir für die Pflegebedürftigen mehr Zeit hätten", moniert Ehmann.
Aus für's "Tischlein-Deck-Dich"
Am meisten verärgert den Caritas-Geschäftsführer aber eines: "Die Abschaffung des Mittagstisches für Senioren wegen den Auflagen der Lebensmittelhygiene - das macht mich traurig".
Angeregt von der Privatinitiative einer Frau, die ältere Mitbürger regelmäßig zum Essen eingeladen hatte, um Ihnen damit auch Geselligkeit zu bieten, entstand bei der Caritas die Idee, einen sozialen Mittagstisch in Stadt und Landkreis anzubieten. Das "Tischlein-Deck-Dich" war geboren und sorgte in den Pfarreien Don Bosco, St. Josef Buckenhofen, im Caritas Stützpunkt Gerhard-Hauptmann-Straße sowie in Gräfenberg Weißenohe für glückliche Senioren. "Wenn's um 12 Uhr Mittagessen gab, kamen die schon um 11 und gingen erst um halb Drei nach Hause".
Ein Erfolgsrezept - bis Auflagen der Lebensmittelhygiene kamen. 2009 wurden bei einer Prüfung Lappalien moniert: "Beispielsweise ist bei einem Handwaschbecken das Fehlen eines Warmwasser-Anschlusses bemängelt worden", berichtet Ehmann - oder eine Spülmaschine, die neben einem Kicker für Jugendliche im Vorraum einer Pfarrei gestanden sei. Außerdem hätten die ehrenamtlichen Küchenhilfen eigens Berufskleidung und Spinde zum Wechseln der Alltagsgarderobe gebraucht.
"Dadurch waren wir gezwungen, die Mittagstische zum 1. Januar dieses Jahres zu schließen", erklärt der Caritas-Geschäftsführer.
Waschhaus den Hahn zugedreht
Auch Nichtkirchliche Sozialprojekte sind vom staatlichen Verordnungswahn betroffen. Beispiel: Das vom Verein Ratio in Forchheim-Nord betrieben Waschhaus. Es mußte 2012 geschlossen werden - "rund zwölf Frauen, die übers Jahr beschäftigt waren, verloren dadurch die Chance wieder in Arbeit zu kommen", stellt Lisa Hofmann, die Geschäftsführerin der Forchheimer Arbeiterwohlfahrt (AWO), resigniert fest.
Schuld an der Schließung sei die Reform der Bundesregierung zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen. Das Ratio-Waschhaus sei der Regelung gegen Wettbewerbverzerrungen zum Opfer gefallen. Diese Arbeitsgelegenheit, so die formalistische Argumentation, stehe in Konkurrenz zu gewerblichen Anbietern. "Man erkennt daran die Regulierungssucht, die zu einer weiteren Verschärfung der sozialen Schieflage führt", kritisiert Lisa Hofmann. Auf der einen Seite werde groß über bürgerschaftliches Engagement geredet - auf der anderen Seite mache man es kaputt".
Peter Ehmann zieht das Fazit: "Angesichts der sozialen Bedeutung der geschilderten Projekte, muss man den Sinn solcher Regularien hinterfragen."