Druckartikel: Autorin Inge Geiler liest Forchheimer Schülern vor

Autorin Inge Geiler liest Forchheimer Schülern vor


Autor: Ekkehard Roepert

Forchheim, Montag, 17. Juni 2013

Die Autorin Inge Geiler faszinierte Forchheimer Schüler mit einer außergewöhnlichen Geschichtsstunde.
Inge Geiler liest vor Schülern des Herder-Gymnasiums. Fotos: Barbara Herbst


Hinter der Wand ihrer Frankfurter Wohnung war ein Geheimnis verborgen, das Inge Geiler im Sommer 1986 entdeckte. Verbunden war die Entdeckung mit einem Schock, den sie nur langsam bewältigte. Erst ab 2007 fand die Frankfurterin die Kraft, in fünfjähriger Arbeit jenes Buch zu schreiben, aus dem sie gestern der 11. Jahrgangsstufe des Herder-Gymnasiums vorlas.

"Wie ein Schatten sind unsere Tage" heißt das eindrucksvolle Werk, das politische Geschichte und die Familiengeschichte der Familie Grünbaum verwebt. Als Grundlage dienen Briefe und Dokumente, die das jüdische Ehepaar Grünbaum kurz vor der Deportation in der Wohnung in der Liebigstraße 27 b versteckt hatte; genau in jener Wohnung, in der Inge Geiler heute lebt.

Bei der Sanierung im Jahre 1986 waren die Briefe zum Vorschein gekommen - also 44 Jahre nachdem die Gestapo das Ehepaar Elise und Meier Grünbaum im August 1942 aus der Wohnung in der

Liebigstraße abgeholt hatte; wenige Wochen später starb das über 80 Jahre alte Paar in Theresienstadt unter unsäglichen Bedingungen.

Spuren führen nach Forchheim

Die Lesung von Inge Geiler war auch deshalb ein eindrucksvolles Stück Geschichtsunterricht, weil die Spuren der Familie Grünbaum nach Forchheim führen. Die 1860 geborene Elise Grünbaum, die sich 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt das Leben nahm, war die Tochter von Michael Löb Kleemann. Der hatte von 1860 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1907 in der jüdischen Gemeinde Forchheim als Religionslehrer gewirkt.

Die Geschichtslehrerin Gabriele Nägel hatte Inge Geiler bereits am 27. Januar ins Herder-Gymnasium eingeladen, also zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Doch ein Sturz verhinderte die Lesung. Noch heute geht Inge Geiler als Folge des Unfalls an einem Stock. Das hindert die resolute Autorin aber nicht daran, intensive Lesereisen zu bestreiten. Am Sonntag hatte sie ihr Buch in der Synagoge Ermreuth vorgestellt; gestern Morgen faszinierte sie 120 Schüler in der Berufsoberschule - und anschließend las sie im Herder-Gymnasium.

Auch wer sich intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigt hat, muss von Inge Geilers Bericht überrascht sein. Unglaublich detailreich hat die 1935 in Mainz geborene Autorin jene sadistischen Praktiken der Judenverfolgung für ihr Buch recherchiert. Und Inge Geiler belegt, dass jene Juden, die zu alt oder zu arm waren, Deutschland zu verlassen, den tödlichen Schikanen der Nazis chancenlos ausgeliefert waren.

Stille nach der Lesung

Nach der Lesung herrschen Momente des Schweigens. Dann will eine Schülerin wissen, weshalb Inge Geiler 21 Jahre gewartet habe, um die zufällig gefundenen Dokumente zu einem Buch zu verarbeiten. Die Pflege ihres Mannes sei nur ein Grund gewesen, erzählt Inge Geiler. Beim Gedanken an die im Keller gelagerten Dokumente habe sie auch "Furcht empfunden und das selbe Entsetzen" wie in jenem Moment, als sie 1986 die Briefe hinter einer Heizung entdeckt hatte.

Geschichtslehrerin Nägel fragt die Autorin, ob die Auseinandersetzung mit der Familie Grünbaum ihr Leben verändert habe. Ja, sagt Inge Geiler, schon in jenen Jahren, bevor sie zur Feder griff, habe sie mit Elise und Meier Grünbaum "wie mit zwei Geistern" in ihrem Wohnzimmer weitergelebt. "Zumindest mein Innenleben hat sich verändert. Und vieles, was mir im Leben wichtig erschien, kam mir plötzlich oberflächlich vor - und es ist in der Versenkung verschwunden." Es klinge absurd, sagt die Autorin: "Aber so traurig diese Geschichte ist, sie hat mein Leben bereichert."