Autor Wladimir Kaminer ist der große Star in Forchheim
Autor: Pauline Lindner
Forchheim, Dienstag, 05. November 2013
Wladimir Kaminer ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, an dessen Lippen die Zuhörer während seiner "Blätterwald"-Lesung in Forchheim hingen.
Harald Reinsch von der Sparkasse Forchheim kündigte am ersten Abend der Reihe "blätterWALD" an, Wladimir Kaminer werde aus seinem Buch "Onkel Wanja kommt" lesen. Doch dem deutsch-russischen Autor lag sein jüngstes Buch näher. "Diesseits von Eden - Neues aus dem Garten" sollte sein Thema des Abends werden. Mit Einverständnis des Publikums.
Bei den ersten Literaturtagen für das Forchheimer Land passte es gut, dass Kaminer in der Sparkassen-Hauptstelle mit dem Kampf der Schrebergartenprüfungskommission gegen die Spontanvegetation begann. Hört man den deutschen Staatsbürger mit seinem ausgeprägten "ch" anstelle eines "h", ist man sich anfangs sicher, dass er in seinen Büchern niedergeschrieben hat, was er so einmal im Freundeskreis erzählt hat. Da vergreift er sich im Ausdruck, in der Redewendung. Doch dann verwandelt sich der Missgriff in eine Pointe, erheiternd bis abgründig schwarz.
Die russische Großmutter
Es amüsiert Kaminer offenbar sehr, dass Sparkassenvorstand Reinsch bei seiner russischen Großmutter Sätze in deren Muttersprache eingeübt hat, um den Gast willkommen zu heißen. "Normalerweise werde ich nur im Ostteil auf Russisch angesprochen", sagt er als Reaktion darauf und stellt klar, dass er 1990 als humanitärer Flüchtling von der gewählten DDR-Regierung aufgenommen wurde.
Dann schwenkt er über zum Gast- und Ideengeber der neuen Veranstaltungsreihe. "Ich habe über alles Mögliche geschrieben, auch über Sparkassen." Ein "davon später" verkneift Kaminer sich und berichtet, dass sein neuestes Thema die Pubertät sei. Und zwar die seiner zwei Kinder. "Ich bin beeindruckt", behauptet er, "in der Sowjetunion hatten wir keine Pubertät. Wir hatten keine Freiräume, um hineinzupubertieren." Der Vergleich, der oft sarkastische Vergleich, ist ein immer wiederkehrendes Motiv sowohl in Kaminers Vortrag als auch in seinen Büchern, sieht er sich doch als "halb und halb". Gerade jetzt, nachdem er 23 Jahre in der Sowjetunion und 23 Jahre in Berlin gelebt hat.
Und neuerdings zeitweise in Brandenburg. In einem Dorf mit 160 Einwohnern hat er einen großen Garten und einige Nachbarn. Helmut, der ihm Eier liefert; Matthias, den Schlüsselwart des Hauses des Gastes, und Heiner, der sich jeden Freitag ab 20 Uhr dort als Gast einfindet. Kaminer sammelt dort liebend gern Pilze, er ist Pilznarr wie angeblich alle Russen.
Russendisco und Dorfchronik
Trotz aller Abgeschiedenheit ging es nicht ohne eine örtliche Neuauflage der Russendisco ab, als Benefizveranstaltung für die Neuauflage der Dorfchronik. Dabei muss es Kaminer be- und entgeistert haben, dass eine Reihe älterer Menschen mit dem verblichenen Ausweis der Gesellschaft für deutsch-russische Freundschaft auf ihn zukamen: "Wir haben jahrelang gezahlt, wo ist die Freundschaft?", sollen sie ihn gefragt haben.
Und einer der vielen Exkurse folgt. Über den Grundwortschatz und einen Zungenbrecher aus dem DDR-Russisch-Lehrbuch.
Der nächste folgt sogleich: über die Russendisco beim Evangelischen Kirchentag in Dresden, im Foyer des dortigen Hygienemuseums. Eine alkoholfreie Veranstaltung. Daraus entwickelt sich der nächste Exkurs: über eine Russendisco in Cookville in USA. Der Ort - laut Kaminer zwei Tankstellen und eine Universität dahinter - liegt in der Region Tennessees, in der "zahnlose Bewaffnete, die gegen Krankenversicherung sind", leben. Da es dort Bier nur auf Rezept vom Arzt gebe, gebe es, da die Leute ohne Krankenversicherung sind, nirgendwo Bier, nur Coca-Cola.
Absonderlichkeiten der Welt
Kaminer weidet nicht nur die Unterschiede zwischen Deutschland und Russland aus, er spart auch nicht an Rundumschlägen gegen die Absonderlichkeiten in aller Welt. Während er eifrig seine Bücher signiert, kommt das Gespräch auf den großen Clown Oleg Popov, der hier im Fränkischen lebt, und die Artistenausbildung. Kaminer erinnert sich an Mitstudenten aus Kambodscha, die, kaum des Russischen mächtig, zu einem Studium animiert wurden. "Dauernd liefen die mit Gips herum; ein bisschen mehr Russisch wäre auch bei dem Fach gut gewesen", erinnert er sich.
Das sagt er ganz ruhig. Aber man ahnt schon, das könnte der Anfang einer neuen Geschichte sein. Einer von ganz vielen aus dem Schatz eines begnadeten Geschichtenerzählers. Dass Kaminers Vorstellung die Auftaktveranstaltung einer auf Wiederholung angelegten Veranstaltungsreihe bildete, war ein Glücksfall. Denn er vereinigt in sich die Gaben, die einen guten Autor auszeichnen, gleich welchen literarischen Genres er sich bedient.