Ausgebrannt!
Autor: Ekkehard Roepert
Forchheim, Mittwoch, 23. Oktober 2013
Angst und Suizidgedanken bestimmten das Leben von Herbert L. Er erzählt, wie er sich den Weg aus der Leere bahnt.
Herbert L. (Name von der Redaktion geändert) war ein zielstrebiger und erfolgreicher Mann. Als Nachhilfelehrer hatte der Pädagoge ein Unternehmen gegründet, er beschäftigte Mitarbeiter und verdiente gutes Geld. "Es war mein Traumberuf", sagt der 44-Jährige.
Doch von dem tatkräftigen Mann und seinem Unternehmen ist so gut wie nichts übrig geblieben. Mit verschränkten Armen und eingesunkenem Rücken sitzt er am Küchentisch seines Hauses in der Fränkischen Schweiz und erzählt seine Geschichte. Es ist die Geschichte eines Mannes, der seinen Beruf und seine Schüler aufgegeben hat und der nicht mehr weiß, wie er seine Existenz bestreiten soll. Herbert L. fühlt sich ausgebrannt.
"Früher galt Burnout als Managerkrankheit", sagt Gabriele Keck, "heute leiden sogar Jugendliche darunter". Als Heilpraktikerin für Psychotherapie leitet Gabriele Keck eine Burnout-Selbsthilfegruppe.
Hier treffen sich Menschen wie Herbert L. und tauschen sich aus. "Einer hört, wie es dem anderen ergangen ist", so schildert die Therapeutin die Gruppen-Dynamik. Burnout, erläutert sie, "ist eine Depression, die durch die Lebensgeschichte entstanden ist".
Ein "schleichender Prozess über Jahre" sei es gewesen, erinnert sich Herbert L. "Ich hab bis zu 16 Stunden am Tag gearbeitet und nie abgeschaltet." Wenn er nach der Arbeit um 23 Uhr nach Hause kam, machte der Pädagoge schon wieder Pläne für sein Geschäft. "Man muss gebrannt haben, um auszubrennen", sagt er.
Atemnot und ein Riss
Dieses Ausbrennen begann mit Rückenschmerzen. Dann Lustlosigkeit, Atemnot, Herzschmerzen. Dann, als wollte der Körper ihn warnen, ein Riss in der Kniesehne. Drei Monate war der Pädagoge zu Hause, sein Unternehmen lief weiter; aber vor seinem inneren Auge wuchs der Berg der Aufgaben, die er bewältigen wollte: "Du siehst irgendwann nur noch den Berg, den du nicht mehr wegschieben kannst."
Im Auto sitzen geblieben
Dann kam jener Tag im März dieses Jahres, als es nicht mehr ging. Herbert L. war spät von der Arbeit nach Hause gekommen, er öffnete mit dem elektrischen Drücker das Garagentor, das Tor ging auf, doch Herbert L. fuhr nicht in die Garage. Er schaltete den Motor ab und blieb im Auto sitzen. Er konnte nicht aussteigen, er wollte sich nicht mehr regen. Nach zwei Stunden half ihm seine Frau aus dem Auto und führte ihn zu seinem Bett.
Zwar gab es noch diesen inneren Appell: Morgen geht es wieder. "Aber ich bin nicht mehr aus dem Bett gekommen", erinnert sich Herbert L. Angst und Panik ergriffen den dreifachen Familienvater, aber er wusste nicht, wovor er Angst hatte.
Mittlerweile hat er eine Reha hinter sich, trifft sich regelmäßig mit einem Psychotherapeuten und besucht die Selbsthilfegruppe von Gabriele Keck. All dies sei hilfreich. Doch Herbert L. ist überzeugt: "Niemand kann verstehen, was Burnout ist, der es nicht selbst hat." Da sei eine innere Unruhe. Das laufende Gefühl, etwas tun zu müssen, aber nichts mehr tun zu können. Schließlich die Selbstmordgedanken: "Nur meiner Frau und dem schnellen Handeln eines Mitarbeiters habe ich zu verdanken, dass ich dies nicht in die Tat umgesetzt habe."
Solchen Geschichten habe er früher keinen Glauben geschenkt, sagt L. Doch seit er die "Phasen der totalen Leere" selbst erfahren hat, versucht er in immer neuen Worten diesen Zustand zu beschreiben: "Es ist ein Blick in einen tiefen Brunnen, alles schwarz und du fällst in den Brunnen, fällst und fällst."
Menschen mit Burnout beschreibt Gabriele Keck als "in der Regel sehr leistungsstarke Menschen", denen häufig ihr Perfektionismus und ihr Ehrgeiz zur Falle wird. Als Leiterin der Selbsthilfegruppe versuche sie, "Orientierung zu geben", aber so leicht sei das nicht. "Wer einen heftigen Burnout hat, findet selten zur früheren Leistungsfähigkeit zurück. Nicht selten müssen die Betroffenen ihren Beruf aufgeben und sich mit einer Erwerbsminderungsrente begnügen", weiß Keck. Wenn es überhaupt gelinge, sich von der Krankheit zu lösen, dann funktioniere das über den "Weg der Achtsamkeit", sagt die Therapeutin, die selbst ein Burnout bewältigt hat.
Auch Herbert L. geht diesen Weg. Er meditiert, übt Qi Gong, verbringt viel Zeit mit der kleinen Tochter. Er geht mit seinem Hund spazieren und versucht von dessen Gelassenheit zu lernen. Die innere Unruhe habe nachgelassen, "vieles ist besser geworden". Doch ihm fehle eine Perspektive. Wie soll er sein Haus abbezahlen? Wie kann er seine Frau und seine Kinder unterstützen?
Hoffnung auf Anerkennung
Auf keinen Fall will Herbert L. zurück in seinen Pädagogen-Beruf. Er bereut, nicht schon vor zehn Jahren ausgestiegen zu sein. Hinweise habe er genug erhalten; von seiner Frau, von einem Kollegen, von seinem Hausarzt. "Doch mir wurden die falschen Maßstäbe, nach denen ich lebte, nicht bewusst."
Der Versuch, alles kontrollieren zu wollen; die vergebliche Hoffnung, von seinen Schülern mehr Anerkennung zu erhalten; das Bedürfnis, die eigene Krankheit zu verleugnen - all das war ihm nicht bewusst geworden.
Beinahe verwundert blickt der 44-Jährige auf die beiden letzten Jahrzehnte seines Lebens zurück: "Was hab ich die ganzen Jahre nur gemacht?" Doch er blickt auch nach vorne, wenn auch noch etwas müde: "Ich bin relativ ziellos, aber ich will und muss ein anderes Leben beginnen."