Warum Anne Petrausch nie wieder aufs Annafest will
Autor: Josef Hofbauer
Effeltrich, Sonntag, 25. Sept. 2016
Ein herabstürzender Ast hat 2005 auf dem Gottla-Keller in Forchheim die damals 15-jährige Anne Petrausch schwer verletzt. Ein Mann kam sogar ums Leben.
29. Juli 2005: Es ist ein Freitag, der letzte Schultag. Und es ist Annafest in Forchheim. Klar, dass an diesem Abend die Massen den Kellerwald stürmen. Unter den 20.000 Festbesuchern ist auch Anne Petrausch aus Effeltrich (Kreis Forchheim). Mit ihren Freundinnen sitzt sie auf dem Gottla-Keller und feiert.
"Ich kann mich an nichts mehr erinnern, auch nicht, wo wir saßen, was wir gemacht haben", erzählt Anne (26). Sie weiß rein gar nichts von dem Drama, das sich dort ereignet hat.
Eine starke Böe, die auf den oberen Kellern nur als leichter Windhauch zu spüren war, wirbelt im Bereich des Gottla-Kellers Staub und Erde auf. Dann knackt es kurz. Vom Kastanienbaum neben dem Eingang zum Keller bricht urplötzlich ein riesiger Ast ab und begräbt die feiernden Menschen unter sich. Die Bilanz: vier schwer, neun leicht Verletzte und ein Toter. Der Mann war extra wegen des Annafestes aus Nordrhein-Westfalen angereist.
Der Anruf
Die Eltern Herbert und Erika Petrausch erfahren durch einen Telefonanruf von dem schrecklichen Unglück. Eine Klassenkameradin, erinnert sich die Mutter, hat angerufen und Bescheid gesagt, dass Anne in einer Klinik in Erlangen liegt. "Wir sind sofort hingefahren", berichtet Erika Petrausch, die in den nächsten Wochen und Monaten ihrer schwer verletzten Tochter nicht von der Seite weicht. Auch an die Zeit in der Erlanger Klinik hat Anne, die seither querschnittsgelähmt ist, keinerlei Erinnerung. "Da ist nur ein großes schwarzes Loch", bedauert die schwarzhaarige Verwaltungsangestellte. Erste Erinnerungen hat Anne an ihre Zeit im Klinikum Bayreuth. "Da hat es geheißen, dass einige Rippen und Brustwirbel gebrochen sind, dass ich eine Kopfverletzung habe und dass mein Rückenmark verletzt ist. Die Folge sei eine Querschnittslähmung. Ich würde nie wieder laufen können", berichtet Anne. So richtig realisiert habe sie diese Diagnose aber nicht. "Ich habe immer gehofft, dass irgendwann wenigstens eine Besserung eintritt. Deswegen habe ich sehr viel Physiotherapie gemacht", berichtet Anne.
Welle der Hilfsbereitschaft
Für die "Welle der Hilfsbereitschaft", die es damals gab, ist die Familie noch heute dankbar. Der Annafest-Experte Ulli Raab, alias "King Alladooch", richtete ein Spendenkonto für Anne ein und die Vereine schenkten den Erlös ihrer Veranstaltungen der Familie Petrausch. "Ohne diese Hilfsbereitschaft, die wir aus dem gesamten Landkreis erfahren haben, hätten wir das Haus niemals behindertengerecht umbauen können. Wir hätten vermutlich unser gerade erst gebautes Haus wieder hergeben müssen", schildert Erika den Ernst der Lage. "Weder von der Stadt Forchheim noch von einer Versicherung haben wir je einen Cent gesehen", resümiert Herbert Petrausch bitter, "ursprünglich hat der Richter erklärt, dass die Schuld an dem Unglück sowohl beim Betreiber des Kellers als auch beim Besitzer und der Stadt zu suchen sei. Dann aber entschied er, dass es keinen Schuldigen gebe. Wir gingen leer aus."
Bemerkenswert findet er auch, dass der Unglück bringende Ast ganz schnell zersägt und abtransportiert worden war. "Das war doch ein Beweismittel", schüttelt Herbert Petrausch den Kopf.
Feste ja, Annafest nein
Ein ganzes Jahr hat es gedauert, bis Anne wieder in die Realschule gehen konnte. Ihre berufliche Laufbahn hat das schreckliche Unglück nicht beeinflusst. "Ich wollte schon immer etwas im Verwaltungsbereich machen", erklärt sie. Dieser Beruf macht ihr Spaß. In der Freizeit trifft sie sich mit Freunden, chattet oder treibt Sportgymnastik. Krafttraining und Physiotherapie sind zum Hobby geworden. Auch die Bergkirchweih in Erlangen besucht Anne wieder. Sie ist auch auf Kellern, nur nicht auf dem Annafest.Wenn möglich ist der FC-Bayern-Fan in der Allianz-Arena in München. Während ihrer Reha im "Osteozentrum Schliersee" hat sie sich ein Autogramm von Bastian Schweinsteiger geholt. Unterschrieben hat er auf der Spezialschiene, die es Anne erlaubt, auf den eigenen Beinen zu stehen und mit dem Rollator ein paar Schritte zu gehen. Kostenpunkt pro Schiene: 5000 Euro. Die hat die Krankenkasse bezahlt, erklärt Anne. Die fünf Aufenthalte im Rehazentrum Schliersee jährlich müsse sie aber größtenteils selbst finanzieren: "Da übernimmt die Krankenkasse lediglich die medizinische Therapie."