Sommerinterview: Der Alltag mit dem Tod
Autor: Sabine Memmel
Höchstadt a. d. Aisch, Dienstag, 16. August 2016
Johannes Riegler führt seit 1992 sein Bestattungsunternehmen. Seine Tochter Corinna tritt in seine Fußstapfen.
Sechs Beerdigungen sind es durchschnittlich pro Woche. Bei Vollmond sind es immer mehr. "Da kannst du schon drauf warten, dass das Telefon klingelt, da ist richtig viel los", sagt Johannes Riegler. Zusammen mit seinen beiden Töchtern Corinna (19) und Kathrin (18) und drei weiteren Mitarbeitern führt er seit fast 25 Jahren sein Bestattungsunternehmen im Greiendorfer Weg.
Sie organisieren jeden Tag Beerdigungen. Wissen Sie, wie Sie selbst einmal beerdigt werden möchten?
Johannes Riegler: Nein, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Das ist kein Thema. Eigentlich kurios, weil wir uns ja den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigen als mit dem Tod. Aber nicht mit dem eigenen.
Corinna Riegler: Wir wissen höchstens, welcher Sarg dem anderen gefällt. Aber nicht, weil wir jetzt konkret darüber gesprochen hätten, sondern weil man das im Lauf der Zeit einfach mitbekommt.
Wie kommt man eigentlich zu diesem Beruf? Es ist ja jetzt nicht der klassische Traumjob ...
Johannes Riegler: Ich bin damit aufgewachsen. Mein Vater hatte ursprünglich eine Schreinerei und hat unter anderem Särge gemacht. Schon als kleiner Bub habe ich da drin gesessen und die einzelnen Teile gehalten, wenn sie zusammengenagelt wurden. Irgendwann kam die Stadt auf meinen Vater zu, dass sie für die Särge auch einen Fahrer bräuchten. Nach und nach haben wir den ganzen Betrieb zu einem Bestattungsunternehmen ausgebaut.
Corinna Riegler: Für mich war von Anfang an klar, dass ich das auch machen will. Ich kenne es von klein auf und war schon als Kind bei Unfällen dabei. Zur Zeit mache ich eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. Meine Schwester Kathrin fängt nächstes Jahr damit an.
Der Tod gehört zu Ihrem normalen Arbeitsalltag. Was die meisten von uns so lange es geht verdrängen, ist für Sie ständig präsent. Wie wird man damit fertig?
Johannes Riegler: Bei einem natürlichen Tod ist es in der Regel kein Problem. Das ist eben unser Job. Bei Unfällen oder bei Suizid ist das natürlich etwas anderes. Du musst viel anschauen, viel anfassen, viel riechen. Letztlich wissen wir nie, was oder wer uns begegnet. Teilweise kennt man die Verstorbenen oder die Angehörigen auch. Das ist nicht einfach. Ganz schlimm ist es aber bei Kindern und Jugendlichen. Da muss man auch selbst mal weinen. Da stumpft man nicht ab.
Wie verarbeiten Sie das?
Johannes Riegler: Man kann und darf sich nicht alles zu Herzen nehmen oder sich in einzelne Schicksale hineinversetzen. Sonst macht dich das auf Dauer kaputt.
Corinna Riegler: Nach Feierabend reden wir auch nicht mehr über die Arbeit. Das ist bei uns tabu.
Es gibt doch aber bestimmt immer wieder Fälle, die Ihnen sehr nahe gehen und Sie nicht mehr loslassen, oder?
Johannes Riegler: Na klar! Das darf man auch auf keinen Fall in sich hineinfressen, sonst kannst du nicht mehr schlafen und nicht mehr essen und drehst komplett durch.
Corinna Riegler: Für Feuerwehr und Polizei gibt es immer Seelsorger. Wir kriegen das nicht. Besonders schlimme Todesfälle besprechen wir deshalb ganz bewusst gemeinsam im Kollegenkreis.
Gibt es einen Todesfall, der Sie besonders mitgenommen hat?
Johannes Riegler: Ein guter Freund ist 1990 bei einem Motorradunfall tödlich verunglückt. Das war ein Punkt, wo ich gesagt habe: Ich hör' auf, ich mach' das nicht mehr. Auf dem Weg zur Unfallstelle hatte ich schon im Gefühl, dass er es ist. Ich wusste, dass er dort unterwegs war. Ich habe ihn selbst zur Gerichtsmedizin nach Erlangen gebracht. Daran erinnern kann ich mich aber nicht mehr. Der Körper war wie in einer Art Schutzhaltung. Inzwischen fahre ich auch selbst nicht mehr zu Unfällen. Nur, wenn kein anderer kann.
Was braucht man auf jeden Fall, um all diesen Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt, gerecht zu werden?
Johannes Riegler: Einen Ausgleich - in unserem Fall Tourenwagen-Rennen. Letztes Jahr waren wir sogar deutscher Meister! Ansonsten: Gute Nerven, Verständnis und Verschwiegenheit.
Corinna Riegler: Einfach auch Feingefühl. Wir wollen den Angehörigen helfen, sie trösten und sie unterstützen, damit sie den Kopf für ihre Sachen frei haben.
Das Leben kann schnell vorbei sein. Das bekommen Sie jeden Tag hautnah mit. Was macht das mit einem?
Johannes Riegler: Das ist schon immer bewusst im Kopf, aber das hat auch etwas Positives. Wenn Leute sich streiten, in der Nachbarschaft oder im Stadtrat, denke ich mir: Kommt mal ein halbes Jahr zu uns, wenn Angehörige wie ein Häufchen Elend vor uns sitzen ...
Corinna Riegler: Über Kleinigkeiten regen wir uns nicht auf. Es gibt Schlimmeres.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Johannes Riegler: Ich habe noch niemanden auf einer Wolke hüpfen sehen. Mein Vater hat immer gesagt: Du lebst in deinen Kindern weiter. So sehe ich das auch.