Sie blicken zurück auf die Wende
Autor: Franziska Rieger
Höchstadt a. d. Aisch, Sonntag, 03. November 2019
Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik steht heute im Fokus unserer Serie. Drei ehemalige Bürger der neuen Bundesländer sprechen über ihre Sicht.
Als im Herbst 1989 die Mauer fällt, hört Anja Hübschmann zuerst davon im Radio. Am nächsten Tag geht die 17-Jährige wie immer in die Schule. In der ersten Stunde steht Geschichte an. "Die Lehrerin wollte einfach nach Plan weiterarbeiten", sagt sie. Doch ein Klassensprecher meldet sich und so kommt es doch noch zum Gespräch darüber, was in der Nacht zuvor passiert ist. Der Fall der Mauer und der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Bundesrepublik Deutschland bleiben auch in den kommenden Wochen die Gesprächsthemen auf dem Schulhof.
Jeden Tag habe es neue "spannende" Nachrichten, gegeben. Vieles sei erst nach dem Mauerfall klar geworden, etwa mit welchen Methoden die Stasi wirklich gearbeitet hat, sagt Hübschmann. In der Schule werden einige Lehrbücher ausgetauscht, die neuen Bücher kommen aus dem Westen. "Von einem Tag auf den anderen war der Lehrplan einfach hingeschmissen", sagt sie.
Das Jahr der Wende war für Hübschmann auch persönlich ein Jahr der Veränderungen. Zu dieser Zeit ist sie in ihr Elternhaus zurückgekommen, davor war sie an einer Sportschule in Jena. "Ich wollte selbst gerne etwas werden", sagt sie. Aus gesundheitlichen Gründen muss sie mit 16 Jahren ihre Leichtathletik-Karriere aufgeben - davor hatte sie sich klar gegen das Staatsdoping der DDR positioniert. Über einen möglichen Zusammenhang lasse sich heute nur spekulieren.
An Flucht habe sie nie gedacht, sagt Hübschmann. "Jeder ist mit seiner Heimat verbunden, egal, wo er aufwächst." Außerdem sei es ihrer Familie nicht schlecht gegangen, die Eltern hatten Arbeit, der Bruder konnte studieren. Wegen der beruflichen Stellung des Vaters hatte die Familie ein Telefon, ein Auto. "Ich bin dankbar, dass ich vernünftig aufgewachsen bin. Ich habe gelernt, dass man mit wenig glücklich sein kann", sagt sie.
1991 geht Hübschmann in den Westen nach Höchstadt, weil sie hier eine Ausbildung bei der Sparkasse bekommen hat. "Das erste Gefühl war komplett mulmig. Man geht von einem Staat in einen anderen Staat." Die Unsicherheit sei groß gewesen. Ihre Kollegen hätten es ihr dann aber leicht gemacht, sich einzuleben, die Gemeinschaft sei sehr gut gewesen. Schiefe Blicke habe es aber auch gegeben.
Die Arbeit lockt in den Westen
Auch für Michael Zeh war der Arbeitsmarkt der Grund, nach der Wende in den Westen zu kommen. Geboren wurde er 1969 im Landkreis Greiz in Ostthüringen. Als 1989 die Mauer fällt, ist Zeh gerade bei der Nationalen Volksarmee (NVA), er wurde zum Grundwehrdienst eingezogen. "Ich habe den Mauerfall noch während des Dienstes an der Waffe mitbekommen" sagt er. Danach geht es für ihn erst einmal wie gewohnt weiter. Siebeneinhalb Monate dient er in der NVA, den Rest der zwölf Monate ist er im Zivildienst tätig. Danach studiert Zeh Maschinenbau. Als er Mitte der 90er-Jahre keinen Beruf bekommt, seine Frau aber am Uniklinikum Erlangen eine Ausbildung zur Krankenschwester macht, zieht die Familie 1997 nach Höchstadt, lebt heute in Baudenbach.
Nach der Wiedervereinigung habe man erst einmal die Reisefreiheit genutzt, sagt Zeh. In Hof/Naila habe er das Begrüßungsgeld abgeholt, dort eine Bratwurst gegessen. "Der Senf im Westen schmeckt anders", sagt er und lacht.