Seitenwechsel: Eine Woche Praktikant statt Ingenieur
Autor: Larissa Händel
Gremsdorf, Freitag, 22. April 2016
Raus aus dem Alltag: Das hat Jan-Dirk Peters gewagt, um Menschen kennen zu lernen, die in der Werkstatt der Barmherzigen Brüder in Gremsdorf arbeiten.
In der Werkstatt des Berufsbildungsbereichs der Barmherzigen Brüder in Gremsdorf herrscht fröhliches Treiben. Die Bewohner sind damit beschäftigt, ihren wöchentlichen Eintrag ins Berichtsheft zu schreiben, Fotos ihrer Erlebnisse auszuschneiden und einzukleben.
Mit ihnen am Tisch sitzt Jan-Dirk Peters. Im Gegensatz zu den anderen Angestellten hier betreut er als Vertriebsingenieur eigentlich Großkunden bei der Siemens-Tochterfirma Winergy und keine behinderten Menschen.
Was ihn aus dem am Niederrhein gelegenen Voerde nach Gremsdorf verschlagen hat, ist die Aktion "Seitenwechsel". Seit 2000 sind dafür Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung eine Woche als Praktikanten in einer sozialen Einrichtung tätig.
Dies können unter anderem Psychatrie, Suchthilfe oder Strafvollzug sein. Peters entschied sich ganz bewusst für die Behindertenwerkstatt.
Das Ziel des "Seitenwechsels" ist, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und durch die vielfältigen Erfahrungen neue Fähigkeiten im Umgang mit Kollegen, Mitarbeitern und Kunden zu gewinnen. Außerdem soll der "Seitenwechsel" als Persönlichkeits- und Kommunikationstraining fungieren.
Dass diese Ziele bei "Seitenwechsler" Peters erreicht sind, steht für ihn außer Frage. "Nach den ersten beiden Tagen war ich erst einmal wie erschlagen. Die Bewohner waren dermaßen offen und haben mir teilweise gleich einen Abriss ihrer Lebensgeschichte erzählt", berichtet er. So eine Offenheit sei er vor allem aus dem Wirtschaftsbereich nicht gewohnt. Auch seine anfänglichen Berührungsängste verschwanden sehr schnell. Er erzählt von einer ähnlichen Einrichtung für behinderte Menschen in seiner Nachbarschaft und ist sich sicher: "Beim nächsten Nachbarschaftsfest wird es mir leichter fallen, auf diese Menschen zuzugehen."
Nach fünf Tagen Praktikum kann Peters ein Resümee ziehen, inwiefern ihn dieses Projekt auch in seinem Job beeinflussen wird. "Sicherlich wird sich meine Kommunikation mit den Kollegen ändern. Ich glaube, dass ich jetzt viel intensiver auf den 'Menschen hinter der Aufgabe' eingehen werde."
Auch wenn es sicherlich kein Urlaub im herkömmlichen Sinn war, bereut Jan-Dirk Peters den Seitenwechsel nicht und würde es jederzeit wieder machen. Und aus den Gesichtern der Bewohner ist zu lesen, dass sie auch nichts dagegen einzuwenden hätten, wenn er noch ein wenig länger bliebe. Doch wenn sie Glück haben, wird schon im nächsten Jahr ein anderer Seitenwechsler für Abwechslung im Werkstätten-Alltag sorgen. Seit 2008 waren immerhin schon fünf Führungskräfte in sämtlichen Bereichen der Barmherzigen Brüder für eine Woche zu Gast.
Dies ist Projektleiterin Katrin Heinz-Karg zu verdanken, die die Aktion in Gremsdorf eingeführt hat und gemeinsam mit Betreuern und Bewohner dafür sorgt, dass sich Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung aus ihrer persönlichen Komfortzone herauswagen.