Russland-Reisende aus Höchstadt blicken hinter die Kulissen
Autor: Johanna Blum
Höchstadt a. d. Aisch, Montag, 23. Juni 2014
Dank ihrer einheimischen Freunde erleben Besucher aus Höchstadt in der Partnerstadt Krasnogorsk nicht nur das touristische Russland. Das Verkehrschaos in Moskau, politische Plakate oder die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs bleiben ihnen ebenso im Gedächtnis.
Die Freude, die die Gastgeber über den Besuch einer Reisegruppe aus Höchstadt zeigten, war groß. "Wir sind glücklich, dass ihr unter diesen schwierigen Bedingungen zu uns kommt", sagte Elena Dildina, Deutschlehrerin am Gymnasium Opalicha, das eine Schulpartnerschaft mit Höchstadt unterhält. Dank der guten Kontakte zu den Einheimischen erlebte die 41-köpfige Reisegruppe unter der Führung von Sibylle Menzel, der Vorsitzenden des Freundeskreises Höchstadt-Krasnogorsk, nicht nur das touristische Russland, sondern lernte auch Land und Leute besser kennen.
Den "Tag Russlands" beispielsweise, einen offizieller Feiertag zur staatlichen Unabhängigkeit, feierten die Besucher zusammen mit den Russen auf dem Podmoskowje-Platz in Höchstadts Partnerstadt Krasnogorsk mit Tanzen und Singen. Natürlich stand auch ein Besuch Moskaus - sowohl bei Tag als auch bei Nacht - auf dem Programm.
Auch die vielen Kirchen mit ihrer Farbenpracht, ein Besuch im Staatszirkus und die unterirdischen, palastartigen Metro-Stationen blieben den Besuchern im Gedächtnis. Exkursionen mit dem Bus nach Kolomenskoje, einer Fürstenresidenz, nach Neu-Jerusalem und nach Archangelskoje rundeten das reichhaltige Programm ab.
Am meisten machte aber allen die "Sprachlosigkeit" zu schaffen. "Es ist schwer, wenn ich kaum etwas sagen und auch nichts lesen kann", bemerkte Dagmar Wennmacher. "Man kommt sich fast vor wie ein Schüler, der stammelnd die ersten Wörter erliest." Dank Sibylle Menzels Einführungskurs in die russische Sprache kämpften sich aber alle tapfer durch.
Viele Plakate, die die Reiseleiterin übersetzte, machten die Gruppe auch versteckt auf die politische Lage aufmerksam: "Russland vorwärts!" oder "Wir haben die Krim zurückgeholt, jetzt machen wir Moskau ohne Stau!" konnte man lesen.
In Krasnogorsk selbst waren die Gäste aus Höchstadt zu einem offiziellen Empfang ins Gebäude der Administration eingeladen. Bürgermeister Pavel Starikov begrüßte alle zusammen mit Landrat Boris Rasskasov und weiteren Mitarbeitern.
Krasnogorsk zählt rund 150 000 Einwohner. Der Name Krasnogorsk bedeutet "Roter oder Schöner Hügel". Der Landrat gab Einblicke in die Verwaltung und die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Der Wahnsinnsverkehr müsse gebändigt werden. Moskau sei ein "wachsender Moloch" und sauge wie ein Staubsauger alle guten Kräfte aus dem Umland auf.
Zu einem musikalischen Highlight begaben sich alle in die Musikschule Alyje Parusa, wo eine deutsche Orgel von Manfred Thonius aus Roßtal steht, die 2009 mit einem Konzert von Gabriel Konjaev eingeweiht wurde. Die Idee zu dieser Orgel hatten Adolf Wedel und Boris Rasskasov, sie ist eine Frucht der Freundschaft zwischen den beiden Städten.
Der junge Organist Vladimir Korolevsky, Solist in der Philharmonie Wolgograd, erweckte das Instrument mit Bachscher Musik zum Leben, und sie erfüllte den Raum mit erhabenem Wohlklang. Für Alexander Krisch (17), Schüler von Konjaev, war es ein Highlight, ebenfalls dieses Instrument zu spielen. "Gabriel Konjaev hatte mich auf die Orgel gut vorbereitet. Trotzdem war es aufregend, auf einem nahezu unbekannten Instrument zu spielen", erklärte er strahlend. Ein "Großer Gott" mit Manfred Müller an der Orgel beendete das Konzert.
Der Besuch des Museums der deutschen Antifaschisten - oder einfacher der deutschen Kriegsgefangenen - war ein weiterer Höhepunkt der Reise. Nach der Kapitulation und dem Kriegsende am 8. Mai 1945 wurde das Lager weiter genutzt, und in Krasnogorsk wurden vor allem deutsche Wissenschaftler im Rahmen der russischen Reparationsforderungen interniert.
"Für mich war ein Reisegrund die Tatsache, dass mein Vater hier nach dem Krieg bis 1949 als Spezialist in Gefangenschaft war. Trotz der schwierigen Bedingungen hat er in Krasnogorsk die Menschen und das Miteinander geschätzt", erzählte der evangelische Pfarrer von Lonnerstadt, Martin Müller. "Für meinen Vater war das Kriegsende eine Befreiung, die Arbeit ein Stück Wiedergutmachung für das Unrecht." Man habe hier für seine Gesundheit gesorgt und die deutschen Kriegsgefangenen im Lohn den russischen Arbeitern gleich gestellt. "Mich hat der Moment beim offiziellen Empfang sehr bewegt, als ich diese Botschaft den russischen Freunden überbringen konnte", erklärt er.
Hermann Proksch ist seit 1993 "Russland-Reisender". In diesem Museum habe er zum ersten Mal die verheerenden Kriegsberichte zum Zweiten Weltkrieg erfahren. "Die dargestellten Dokumentationen über die deutschen und russischen Soldaten, aber auch über die Bevölkerung haben mich sehr bewegt." Das Klassenzimmer der Antifa-Schule, der politischen Kaderschmiede der späteren DDR-Verwaltungsorgane, ist bis heute erhalten.
Dem Besuch des Gymnasiums in Opalicha schloss sich noch eine Führung durch die Martin-Bauer-Werke KLS an, die seit 1994/95 im Besitz der Vestenbergsgreuther Firma sind. Von 600 Mitarbeitern und einem Umsatz über 50 Millionen Euro erzählte Andrej Karmanov in perfektem Deutsch, bevor die Gruppe zu einem russischen Imbiss mit Bliny, Piroggen und Obst in die Werkskantine eingeladen wurde.