Rektor Ulbrich spricht über das finnische Schulsystem
Autor: Sarah Seewald
Höchstadt a. d. Aisch, Dienstag, 20. Oktober 2015
In Finnland gibt es längere Pausen, weniger Schulstunden und Mittagessen für alle. Rektor Michael Ulbrich ist vom finnischen System begeistert und verrät, dass sich die deutschen Schüler nicht verstecken müssen.
Wenn der Schulleiter Michael Ulbrich einmal mit den Unterschieden anfängt, hört er so schnell nicht mehr auf. Nicht erst seit den internationalen Schulleistungsuntersuchungen, den Ergebnissen der Pisa-Studie, werfen viele Lehrer einen Blick in Richtung skandinavische Länder, wenn es um Schulbildung geht.
Was machen die Finnen anders? Wieso schneiden die Schüler dort besser ab in der Studie? Michael Ulbrich, der mit der Ritter-von-Spix-Schule eine Partnerschaft nach Ruka bei Kuusamo in Finnland pflegt, kennt die Stellschrauben:
1.Schüler bleiben zusammen
Die einen sind besser, die anderen schlechter - aber mit dem Ende der neunten Klasse haben alle ihren Schulabschluss. Die neunte Klasse im finnischen Schulsystem sei mit der Zehnten in Deutschland vergleichbar, der allgemeine finnische Schulabschluss ungefähr mit dem deutschen Mittelschulabschluss.
Den Leistungsdruck, mit dem die Kinder hierzulande oft ab der dritten, vierten Klasse zu kämpfen hätten, gebe es dort nicht. In Finnland herrsche eine wesentlich größere Gelassenheit. Bei Schülern und Lehrern, auch im Umgang miteinander. Diese Beobachtung hat der Schulleiter Ulbrich bei seinen drei Finnlandreisen gemacht. Aus seiner Sicht ist es für die Kinder "was Natürliches" zusammenzubleiben. Spitzenschüler könnten auch in gemischten Klassen wachsen und gefördert werden. Und nach dem allgemeinen Schulabschluss haben die Finnen die Möglichkeit weiter ins Gymnasium oder eine Berufsschule zu gehen. Schon während der Schulzeit werde herausgefiltert: "Was machst du danach?" Dafür sei in Rukan eigens eine Berufsberaterin fest angestellt.
2.Schulalltagentzerren
Immer mittwochs haben die Schüler der Ritter-von-Spix-Schule eine längere Pause: von 9.30 bis 10 Uhr. Damit alle Höchstadter Schüler - auch von den anderen Einrichtungen - gemeinsam Schulschluss haben, müsse diese längere Pause zwar wieder in der zweiten, kürzeren Pause reingeholt werden, trotzdem komme die halbe Stunde nach einer Eingewöhnungsphase mittlerweile gut an.
In Finnland ist jeder Schultag mit vielen Verschnaufpausen gespickt: Von neun bis 15 Uhr sind alle Schüler in Ruka eingespannt. Jeder Tag besteht aus sechs Schulstunden von je 45 Minuten. "Die Schulen in Finnland sind autarker als bei uns", sagt Ulbrich und erklärt, dass in Deutschland die Rahmenbedingungen - von den Schulzeiten bis zum Lehrplan - kaum verändert werden können. Für die Kinder in Finnland ist Schule ein Lebensraum. "Schule hat in Finnland eine unglaublich hohe Stellung in den Familien."
3. Mittagessen für alle
Nach zwei Schulstunden dürfen sich die Finnen erst einmal stärken. Der Staat bezahlt in Finnland jedem Schüler eine warme Mahlzeit. Das Essen wird nicht über einen Cateringservice bezogen, sondern im Hauptort Kuusamo in einer Großküche für die umliegenden Schulbetriebe gekocht. "Das mit dem Essen hat mich sehr beeindruckt", sagt Ulbrich.
Deshalb hat der Rektor eine finnische Besonderheit in der Ritter-von-Spix-Schule umgesetzt: Die Schüler schöpfen sich ihr Essen mittlerweile selbst auf den Teller, jeder so viel und was er mag. Der Buffet-Betrieb funktioniere einwandfrei.
4.Natur erleben
Der Blick aus dem Lehrerzimmerfenster fällt auf die Sprungschanze. Skifahren im Winter, Kanufahren im Sommer: Die Finnen "spielen mit ihren Stärken", sagt Ulbrich. Kuusamo liegt im Nordosten Finnlands, nahe der russischen Grenze.
Der Hauptort Kuusamo sei mit Höchstadt vergleichbar, erklärt Ulbrich. Und noch dazu ein Naturerlebnis. In der Nähe der Partnerschule sei zum Beispiel gleich das finnische Skizentrum. Als Ulbrich in Finnland war, habe er mitbekommen, wie einige Schüler ein kleines Survivaltraining gestartet haben.
Seine Begeisterung für das Schulsystem in Finnland hält Ulbrich nicht zurück. Ins Jammern verfällt der Höchstadter Schulleiter aber nicht. Denn er hat ebenso die Erfahrung gemacht, dass seine Schüler und Lehrer mithalten können. Der Nachwuchs, wenn es darum geht, sich auf Englisch mit den Partnerschülern zu verständigen. Die Lehrer, wenn es um Unterrichtsmethoden geht. Seit der Generalsanierung könne die Ritter-von-Spix-Schule auch technisch mithalten.
Wenn Ulbrich drei Wünsche frei hätte, sagt er, dann gehöre ein Schulsystem-Wechsel dazu. Aber er sei Realist. Ein einheitlicher Ganztagsbetrieb mit geregelten Zeiten und einem Mittagessen für alle, das könne er sich schon gut vorstellen.